Warum Apple viele seiner Programme so vernachlässigt

Warum spen­diert Apple manchen Apps über Jahre keine re­le­van­ten Updates? Und warum lanciert Google ständig Produkte, nur um sie kurz darauf wieder ein­zu­stel­len? Die Ant­wort liegt bei den An­reiz­syste­men für die Mit­ar­beiter.

Software ist kein Produkt, wie jedes andere. Sie unterscheidet sich von einem Stuhl oder einem Automobil, weil sie niemals wirklich fertig ist. Zwar lässt sich auch ein Stuhl durch ein weicheres Polster in seinem Sitzerlebnis verbessern und ein Motorfahrzeug durch ein DAB+-Radio für die neue Situation in der Schweizer Rundfunklandschaft rüsten. Doch diese Produkte werden nach ihrem Verkauf nicht routinemässig durch den Hersteller verändert, wie das bei der Software wegen der Updates der Fall ist.

Diese Aktualisierungen erfolgen manchmal kostenlos, manchmal nicht. Sie bringen die Software auf den neuesten Stand, schliessen Sicherheitslücken, reagieren auf neue Bedürfnisse und Anforderungen oder verpassen ihr eine neue Optik. Ja, und manchmal spielen auch Marketing-Überlegungen eine Rolle.

Das ist unsere Erwartung, und die wird auch häufig erfüllt. Doch es gibt die Ausnahmen; Softwareprogramme, die vor sich hindümpeln. Der Vorwurf der Vernachlässigung richtet sich besonders an Apple:

Ein jahrzehntelanges Siechtum

Ein eigentliches Siechtum ist bei Applescript zu beobachten. Die eingebaute Scriptsprache war für mich seit jeher eine der grossen Stärken des Mac; und prominentere Stimmen als meine waren der gleichen Ansicht. Doch bei Apple kümmerte sich nur ein einziger Mann mit Herzblut um diese Perle: Sal Soghoian. Er verliess den Konzern 2016, weil seine Stelle «aus geschäftlichen Gründen» eingespart wurde. Damals hiess es, die Automatisierung beim Mac sei nicht tot. Die Durchhalteparole scheint heute noch zu gelten, auch wenn vermutlich niemand mehr ernsthaft die Empfehlung aussprechen würde, ein grösseres Projekt mit Applescript in Angriff zu nehmen. Ins Bild passt, dass der Debugger eines Drittherstellers im Verlauf des Jahres eingestellt wird.

Die Frage drängt sich auf: warum diese Nachlässigkeit? Für einen Weltkonzern wie Apple wäre es ein Klacks, ausreichend Ressourcen bereitzustellen, damit in all diesen Bereichen (und in denen, die ich übersehe habe) mehr geht. Warum passiert es dann nicht?

Die Antwort liegt, so vermute ich, in einem einzigen Wort: Prioritäten.

Apple Mitarbeiterinnen müssen liefern – und zwar Umsatz

Eine interessante Statistik dazu liefert Statista. Sie zeigt die Zahl der Angestellten bei Apple zwischen 2005 und 2024. Natürlich sind hier auch die Buchhalter und PR-Expertinnen eingerechnet, während ich lieber nur die Zahl der Leute sehen würde, die direkt an den Produkten arbeiten. Trotzdem erhalten wir einen wichtigen Eindruck: 2005 arbeiteten 14’800 Leute für Apple. Die Zahl stieg in den Jahren danach kontinuierlich an, mit dem stärksten Wachstum zwischen 2010 und 2015. Vermutlich waren das iPhone und iPad der Grund. Ab dann wurde die Zunahme geringer und seit 2022 stagniert sie bei 164’000 Leuten.

Das ist zwar mehr als eine Verzehnfachung in knapp zwanzig Jahren. Doch der Umsatz stieg zwischen 2005 und 2024 von 13,9 Milliarden auf 391 Milliarden US-Dollar an. Das bedeutet, dass Apple heute mit jedem Angestellten fast 2,5-mal den Umsatz von damals macht. Und ja, mir ist klar, dass zu dieser Entwicklung viele Faktoren beitragen. Trotzdem macht dieser Vergleich deutlich, welchen Stellenwert die Produktivität des Personals bei Apple spielt. Genauso liegt auf der Hand, dass die oben aufgezählten Produkte nicht das grosse Geld in Apples Kassen spülen.

Bemerkenswert ist eine Sache: Apple stellt derzeit nicht viele Leute neu ein. Dabei gäbe es triftige Gründe, genau das zu tun. Apple hat mit der Vision Pro und mit Apple Intelligence zwei Projekte mit einem erheblichen Entwicklungsbedarf laufen. Wir dürfen vermuten, dass es Baustellen gibt, von denen wir derzeit nichts wissen. Mark Gurman, der den «normalerweise gut informierten Kreisen» zugerechnet wird, spekuliert von einem «grundlegenden Redesign» bei iOS 19, iPadOS 19 und Mac OS 16.

Wenn wir das bedenken, kann es nicht anders sein, dass weniger prestigeträchtige Bereiche derzeit mit wenig bis null Aufmerksamkeit auskommen müssen.

Die Nadel bewegen

Eine interessante Erklärung zur Frage, warum Tech-Konzerne wichtige Projekte vernachlässigen, las ich auf Twitter. Peter Yang ist Produktchef bei der Spielplattform Roblox und zitiert Google-Insider zur gleichen Thematik:

Der berufliche Aufstieg und die Beförderung bei Google basieren auf «move the needle», auch bekannt als «launches». Man führt einen Dienst neu ein oder stellt ihn grundsätzlich neu auf und führt das zu seinen Gunsten an. Niemand wird jemals befördert, weil er «etwas gewartet» oder «etwas Kaputtes repariert» hat. Nein, es geht darum, einen neuen Dienst zu lancieren und den als Werbeargument für die eigene Karriere zu nutzen.

Ein zweiter Google-Insider kleidet diese Unternehmenskultur in noch etwas drastischere Worte:

Google straft niemanden, der etwas vermasselt. Habt ihr eine Ahnung, welche Strafe die Leute erwartete, die zwei Jahre auf Allo verschwendet haben, nachdem es eingestellt wurde? Nichts! Einige von ihnen wurden sogar befördert!

Bei Google werden die Fehlanreize besonders deutlich

Allo war ein Messaging-Dienst von Google, der 2016 mit viel Tamtam auf die Öffentlichkeit losgelassen wurde, aber keine nennenswerte Resonanz erzielen konnte.

Google ermutigt solche Launches. Und denkt dran, keine Strafen, wenn der Scheiss unausgegoren ist, nicht funktioniert, nur auf Chrome funktioniert, oder so ein Unfug! Das ist die Norm!

Und warum? Beförderung. Man kann hier nicht über eine bestimmte Stufe hinaus befördert werden, es sei denn, man «launcht» etwas Grosses. Was erhält man also, wenn man all diese perversen Anreize zusammenzählt? Neuntausendachthundertdreiundachtzig Chat-Apps und eine nicht enden wollende Reihe von Redesigns und Neueinführungen, damit einige Leute befördert werden können.

Wissen Sie, wie viele Fehler Sie beheben müssen, um befördert zu werden? Unendlich viele. Egal, wie viele Sie beheben, Sie werden nie genug «Wirkung» für eine Beförderung erzielen. Niemals.

Die Tirade geht noch etwas weiter, aber ich denke, die Botschaft ist angekommen. Google setzt die falschen Anreize. Und auch wenn sich die Firmenkulturen von Apple und Google sich deutlich unterscheiden, so lässt sich doch sagen, dass One more thing an einer Apple-Keynote selten ein frisches Update eines schon etwas in die Jahre gekommenen Programms war …

Beitragsbild: Final Cut Pro könnte auch wieder einmal etwas Schmierfett vertragen – Symbolbild (terimakasih0, Pixabay-Lizenz).

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