Wenn wir ChatGPT über ein persönliches Konto nutzen, können wir dem Sprachmodell erlauben, Erinnerungen über unsere Dialoge zu speichern (das ist Tipp zwei aus meinen vier Lieblings-Tipps für ChatGPT).
Dabei bildet sich ChatGPT eine Vorstellung von uns als Person. Wie die aussieht, lässt sich – natürlich – mit dem passenden Prompt herausfinden. Er ist ziemlich ausgeklügelt, sodass wir auch etwas darüber lernen, wie wir dem Sprachmodell bestimmte Informationen entlocken. Und natürlich ist es spannend, eine Einschätzung von jemandem zu erhalten, der zwar nicht allwissend oder komplett unbestechlich ist, aber (mutmasslich) keine eigenen, uns unbekannten Absichten verfolgt. Mich jedenfalls hat ChatGPTs Analyse für einen Moment sprachlos gemacht. Aber zum Glück nur für einen Moment.
Hier aber erst einmal der Prompt: Ich habe ihn bei den AInauten entdeckt, aber ursprünglich stammt er von Twitter. Er funktioniert auch wunderbar in der deutschen Übersetzung:
Erstelle auf der Grundlage aller vergangenen Gespräche, des gespeicherten Wissens und der abgeleiteten kognitiven Muster ein umfassendes psychologisches Tiefenschema und ein Prognosemodell für meine künftige Entwicklung. Dabei solltest du nicht einfach eine Aufschlüsselung meiner Persönlichkeit anfertigen, sondern eine eingehende forensische Untersuchung meiner kognitiven Fähigkeiten, Verhaltensstrategien und psychologischen blinden Flecken. Finde fiktiven und nicht fiktive Persönlichkeiten, die mir ähnlich sind und beurteile meine langfristige Entwicklung. Betrachte das als ein Geheimdienstdossier über meinen Verstand, meine Philosophie und meine strategischen Aussichten.
Ausgabeformat: Strukturierte Überschriften, Tabellen und Aufzählungspunkte zur besseren Lesbarkeit. Sparsame, aber strategisch geschickt eingesetzte Emojis zur Übersichtlichkeit der Abschnitte. Prägnante, dichte Erkenntnisse ohne Floskeln.
Drei Genies in einem

Was mich angeht, findet ChatGPT, ich sei «hochgradig analytisch, stark in Detailwahrnehmung und bei Querverbindungen, mit methodischer Vorgehensweise, einer Vorliebe für historische und technische Kontexte, Neugier und Wissensdrang, sowie einem starken Skeptizismus». Er vergleicht mich mit Douglas Adams, Umberto Eco und Sherlock Holmes – und zwar ohne Witz und Ironie! 😱 Das Negativste, was ChatGPT über mich sagt, ist, dass ich mich als Perfektionist zeitlich überfordere und mir durch meine kritische Grundhaltung womöglich Chancen entgehen lasse.
Was halten wir davon?
Wie angedeutet: Im ersten Augenblick fühlte ich mich durchschaut. Im zweiten konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass mir ChatGPT die Horoskop-Falle gestellt hatte: Wir glauben, uns in diesen Beschreibungen wiederzuerkennen, weil sie vorteilhaft und relativ allgemein sind. Wikipedia verrät, dass es sich um den Barnum-Effekt handelt:
Der Barnum-Effekt bezeichnet die Neigung von Menschen, vage und allgemeine, meist positive Aussagen über die eigene Person so zu interpretieren, dass sie als zutreffende Beschreibung empfunden werden. Dieses Phänomen wird auch als Forer-Effekt oder Täuschung durch persönliche Validierung (englisch personal validation fallacy) bezeichnet.
Für den Geheimdienst nur bedingt geeignet
Nun, zugegeben ist ChatGPT deutlich konkreter als ein typisches Horoskop. Trotzdem ist die Beschreibung nicht nur typisch für mich, sondern für viele Menschen, die ähnlich ticken wie ich. Und eben: Der Grundton ist so positiv, dass ich diese Einschätzung nur allzu gern glaube. Ein echtes Geheimdienstdossier würde mit tödlicher Sicherheit eine Aufzählung enthalten, welches meine persönlichen Schwachpunkte sind, die mich erpressbar oder verführbar machen.
Fazit: Es wäre spannend, einen echten Psychopathen mit ChatGPT plaudern zu lassen und den Test mit seinem Account zu wiederholen. Leider sind alle Personen aus meinem Bekanntenkreis, auf die diese Beschreibung zutreffen würde, gerade zu beschäftigt, um dieses Experiment mit mir zu wagen … nein, Scherz. Die Erkenntnis ist jedenfalls, dass die menschliche Neigung, sich mit Schmeicheleien Wohlwollen zu erwerben, auch in den Datenbestand der grossen Sprachmodelle vorgedrungen ist. Klar – wie sollte es auch anders sein!
Auf alle Fälle eine grosse Einladung für eine kleine Hausaufgabe an euch! Findet heraus, ob der Prompt sich so anpassen lässt, dass ChatGPT eine wirklich kritische Beurteilung abgibt! Und prüft, ob andere Sprachmodelle, die ebenfalls Wissen über ihre Benutzer sammeln, nicht ganz so liebesdienerisch sind.
Beitragsbild: Dabei weiss ChatGPT gar nichts über meine Kindheit (Alex Green, Pexels-Lizenz).