Warum erhitzt der UKW-Abschied die Gemüter bloss sosehr?

UKW adé – und schein­bar allen tuts weh. Ich hatte neulich inten­sive Dis­kus­sionen mit Leuten, die sich von meiner Pro-DAB+-Hal­tung per­sön­lich an­ge­grif­fen fühlten. Doch es ist und bleibt sinn­los, das Un­ver­meid­liche hinaus­zu­zögern.

Die UKW-Abschaltung hat in mir zwei komplett widersprüchliche Gefühle ausgelöst.

Einerseits Nostalgie: Ich war in meiner Jugend ein Dauergast auf der Ultrakurzwelle. Als DRS3 1983 auf Sendung ging, war das ein radiofoner Urknall für mich. Ich hatte eine innige parasoziale Beziehung zu vielen der Moderatoren der ersten Stunde. François Mürner wird immer eine Art schräger Onkel für mich bleiben und viele der anderen Namen von wecken Erinnerungen, wie per Funkwellen die grosse weite Welt – oder zumindest ein Hauch der urbanen Schweiz in das Kaff im Züricher Weinland wehte, in dem ich damals wohnte: Jasmin Kienast, Martin Eggenschwyler, Ernst Buchmüller, Christoph Schwegler «am Regler», Christoph Alispach und natürlich der unvergessene Musikredaktor Urs Musfeld.

Radio ist auch meine Herzensangelegenheit

Überhaupt war Radio in meiner Jugend das coolste Medium überhaupt. Fernsehen – das ich in Ermangelung eines Empfangsgeräts bei der Familie nur bei meinen Freunden und Grosseltern geniessen konnte – zwar bunter und abwechslungsreicher, aber doch irgendwie biederer und viel zu erwachsen. Noch heute wundere ich mich manchmal darüber, dass meine berufliche Karriere mich zur Zeitung und nicht zum Rundfunk geführt hat. Weil ich seit 2009 ehrenamtlich für Radio Stadtfilter in Winterthur arbeite, habe ich doch eine Ahnung, dass die Wahl meiner Karriere nicht völlig verkehrt war. Ich bin zwar, so hoffe ich, nicht der allerschlechteste Sendungsmacher der Welt. Aber das geschriebene Wort entspricht meinen Talenten etwas besser als das gesprochene.

Leider haben wir uns auseinandergelebt, DRS3 – bzw. SRF3, wie der Sender seit 2011 heisst – und ich. Vielleicht liegt es daran, dass das Rauschen und Knacksen im analogen Äther mich etwas nostalgisch stimmen und an die damals so heile Radiowelt erinnern.

Zugegeben: Die meisten DAB-Radios sehen vergleichsweise hässlich aus.

Die Umstellung auf DAB+ ist nicht gut gelaufen. Aber war sie deswegen falsch?

Trotzdem gibt es auch das andere Gefühl: Das des Digitalfans, der überzeugt ist, dass die technischen Möglichkeiten selbstverständlich auch beim linearen Radio ausgeschöpft werden müssen. Ich habe vor vier Jahren konstatiert, dass Roger Schawinski den falschen Kampf kämpft. Bei dieser Umstellung von UKW auf DAB+ sehen die meisten Akteure, wie kürzlich beim Tagesanzeiger dargelegt, nicht gut aus: weder die SRG noch die Zuhörer und schon gar nicht die Autoindustrie.

Auf diesen Beitrag gab es einen wahnsinnigen Haufen Kommentare. Mich haben auch diverse Mails und Messenger-Nachrichten direkt erreicht. Heinz W. warf mir vor, die «Tagi-Brille» aufzuhaben. Das soll wahrscheinlich heissen, dass ich Kritik bloss um der Kritik willen übe. Das ist, wie dieser Blogpost hier sicherlich deutlich gemacht hat, nicht der Fall: Ich will, dass die SRG sich Mühe gibt, verflixt noch eins!

Stefan monierte meinen «Tunnelblick». Er meinte, das Tempo der Veränderung sei zu hoch, viele seien überfordert und dem typischen SRF-Publikum im Pensionsalter sei es im Grunde egal, «welche Sau gerade durchs Dorf getrieben wird».

«Unser Publikum ist tot»

Ist dieses Argument («Unser Publikum ist alt») wirklich geeignet, sich gegen Veränderungen zu stellen? Nein, natürlich nicht. Denn dann wird die Feststellung in ein paar Jahren lauten: «Unser Publikum ist tot». Trotzdem gebe ich Stefan in vielen Belangen recht. Er meinte, unser Umgang mit den technischen Entwicklungen sei «generell verbesserungswürdig». Ich teile diese Ansicht: Bei der KI fände ich eine Drosselung des Tempos angebracht, und der ständigen Disruption fast allen Lebensbereichen sollte der Menschheit regelmässig eine Verschnaufpause gewährt werden.

Stefan kritisiert meine Pro-DAB+-Haltung auch, weil bei der Umstellung die Nachhaltigkeit auf der Strecke bleibe: Stichwort Elektroschrott, wenn noch funktionierende Empfangsgeräte auf dem Müll landen. Das ist ein valider Punkt, auch wenn die meisten von uns ihr ökologisches Gewissen gern vergessen, wenn ein bei Handys, Fernsehern und Computern ein neues Modell lockt.

Trotzdem ist das ein Punkt, den ich bei der Umstellung aufs Digitalradio auf jeden Fall bemängle. Er ist im Text der Längenbeschränkung zum Opfer gefallen, aber dass 2012 DAB durch den inkompatiblen Standard DAB+ ersetzt wurde, war ein veritables «Dabakel». Es führte dazu, dass die digitalen Radiogeräte der ersten Stunde nicht mehr funktionierten. Und ich bin überzeugt, dass das dem Digitalradio massiv geschadet hat.

Verbogene Antenne – dafür treffen die Erinnerung fadegrad ins Herz des Radiofans.

Lieber gleich Internet?

Ich habe auch Verständnis für Leute, die DAB als Brückentechnologie ansehen. Die Frage ist erlaubt, ob man die auch hätte überspringen können. Wenn das Internet und das Streaming als Zukunft des Radios betrachtet wird, hätte UKW für den Radioempfang über die Luft noch auf längere Frist den Zweck erfüllen können. Das Bakom hat sich seinerzeit anders entschieden, wofür es auch gute Gründe gab – nicht zuletzt die Programmvielfalt. Die halte ich für wichtig. Uner den Voraussetzungen halte ich es nicht für sinnvoll, die Umstellung auf DAB+ unendlich rauszuzögern. Ich verstehe, dass sich Gruppen wie die «Mittelalterlichen» (die Bezeichnung für ältere Radiohörerinnen und -hörer stammt nicht von mir, sondern aus Stefans Mail) überfordert fühlen – zu Recht.

Es gibt jedoch auch die Leute, die derartige Neuerungen generell anzweifeln oder für überflüssig halten – weil es «früher auch ohne ging». Man kann daher die Zukunftsstrategien nicht an den Zweiflern und Bremsern ausrichten; weil Fortschritt sonst niemals stattfindet.

Auch in fünf Jahren wäre Roger Schawinski kein DAB+-Fan

Im Fall von DAB liesse sich darüber streiten, wie sinnvoll der Zeitplan war. Roger Schawinski hat dazu bekanntlich eine klare Meinung. Allerdings hat sich die Branche auf den Zeitplan verständigt, der jetzt durchgezogen wird – und dass die Leute, die den Technologiewechsel heute anzweifeln, ihn morgen für sinnvoll erachten, glaube ich auch nicht.

Kurz und gut: Im Gegensatz zu Stefan glaube ich nicht, dass die Umstellung auf DAB+ bloss eine absatzfördernde Massnahme zugunsten des Elektronikhandels und der Autogaragen ist. Ich habe auch grosses Verständnis dafür, dass sich Leute überfahren und genötigt fühlen. Leider passiert das andauernd. Denken wir daran, dass in zehn Jahren sich Bahnbilletts nur noch übers Smartphone lösen lassen. Das Verschwinden der Billettautomaten ist ein grösseres Problem als DAB+, davon bin ich überzeugt.

Sollen wir deswegen technische Entwicklungen verzögern? Nein. Vielmehr halte ich flankierende Massnahmen für empfehlenswert: gute, persönliche Hilfestellung für Leute, die sich vom technischen Fortschritt überfahren fühlen. Das wäre ein hervorragender Service Public. Ich werde mich sofort melden, um als professioneller Erklärbär den Seniorinnen und Senioren DAB+ oder auch die SBB-App zu erklären …

Beitragsbild: Die alte Antenne kann auch neues Digitalradio (Alexander Fox | PlaNet Fox, Pixabay-Lizenz).

5 Kommentare zu «Warum erhitzt der UKW-Abschied die Gemüter bloss sosehr?»

  1. Sollte der Radio auf dem ersten Foto ein DAB-Radio sein? Ich sehe nur MP3, FM, AM und SW; kein DAB beim Funktionsschalter. Und kein Display für DAB.

  2. Ich ärgere mich sehr über die DAB+-Umstellung. Aber ich ärgere mich über Mercedes, nicht die SRG. Wenn man 2016 einen Wagen der oberen Mittelklasse aus dem Land der Ingenieure kauft, sollte man davon ausgehen können, dass dessen Radio DAB+ beherrscht. Dem ist leider nicht so. Ich kann zwar dank eingebauter SIM-Karte per App den Reifendruck prüfen, aber kein SRF mehr hören.

    Der Gipfel ist dann, dass die für ein DAB+-Modul mehr als einen Tausender verlangen. Dafür bekommt man ein Notebook inkl. SIM-Karte und kann von srf.ch streamen…

    Im Auto höre ich jetzt SWR1. Die spielen ähnliche Musik. Die Staumeldungen sind sinnlos, bis auf einen Zugewinn an Geografiekenntnissen. Aber ich vermisse Schweizer Sendungen wie „A point“ und das Quiz nach dem Mittag schon.

    Von der SRG war die Umstellung nicht falsch. Nur war es taktisch ein ungünstiger Zeitpunkt im Hinblick auf die Abstimmung zur Halbierungsinitiative. Ich habe schon Stimmen à la „wenn ich SRF nicht mehr hören kann, will ich auch nicht dafür bezahlen“ gehört.

    1. Da haben Mercedes und andere Neufahrzeughersteller es unterlassen DAB+ serienmässig anzubieten. BMW hat alle ihre Modellvarianten ab 2014 mit DAB+ ausgestattet.
      Ford: Ab Oktober 2015 waren alle Ford-Fahrzeuge ausser dem Ford Ka mit DAB+ ab Werk serienmässig ausgestattet.

  3. Sehr guter Artikel von Ihnen. Stimmt genau, was Sie sagen. Ich teile ihre Meinung zu 100%.
    Die Fahrzeughersteller hatten genug Zeit
    DAB+ serienmässig anzubieten.
    Als ich am 13.08.2008 via Medien erfahren habe, dass der Landessender Beromünster (Mittelwelle 531) am 28.12.2008 abgestellt wird, war ich enttäuscht, dass ich dann meinen Lieblingssender die DRS Musikwelle im Auto nicht mehr empfangen kann.
    Nachts wurde der Landessender
    Beromünster von 23:00 Uhr bis 05:00 Uhr
    abgestellt.
    Erst damals sagte mir die Technik DAB etwas.
    Weil ich als Hobby Oldtimer und Youngtimer habe, beschäftige ich mich seit August 2008 mit dem zusätzlichen Hobby. DAB+-Autoradio, DAB+-Nachrüstung.

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