Vor gut einem Jahr habe ich behauptet, die KI kenne Filme und Bücher, die sich wirklich lohnen. Die Empfehlung lautete, ChatGPT oder Claude als Berater einzusetzen, wenn wir uns nicht für einen Film, eine Serie oder ein Buch entscheiden können. Die Erkenntnis damals: Die Tipps sind nicht schlecht – aber oft auch nicht wahnsinnig überraschend.
Zumindest, wenn man einen simplen Prompt verwendet. Aber wie sieht es aus, wenn wir eine raffiniertere Herangehensweise wählen? Klappt es, sich mittels aktueller Möglichkeiten einen persönlichen Berater zu kreieren, der treffsichere Tipps abgibt?
Diese Idee trage ich schon länger mit mir herum: Ich traf vor längerer Zeit erste Vorbereitungen, indem ich mir meine Audible-Hörbuch-Historie inklusive Bewertungen als säuberlich aufbereitete CSV-Datei besorgte. Die Idee war, sie ChatGPT zu unterbreiten und Empfehlungen zu verlangen, die dazu passen.
Das klappte überhaupt nicht. Erstens berücksichtigte ChatGPT bloss die ersten paar Zeilen aus der Historie und merkte darum nicht, dass seine Empfehlungen Bücher enthalten, die in dieser Liste bereits enthalten sind. Ich lernte daraus, dass auch eine künstliche Intelligenz Eulen nach Athen tragen kann. Das zweite Problem mit diesem Ansatz besteht darin, dass er die KI dazu bringt, mehr vom Gleichen zu empfehlen. Ein generelles Manko von Netflix, Amazon und Konsorten: Die Algorithmen wandeln auf ausgetretenen Pfaden und liefern uns keine Neuentdeckungen.
Nichts Altbekanntes, bitte!
Darum also der Versuch, die Audible-Historie lediglich als erster Anhaltspunkt zu verwenden und mit ihrer Hilfe dafür zu sorgen, dass mir die KI nichts vorschlägt, was ich schon kenne. Der Kern dieses Ansatzes besteht darin, die Essenz von dem, was mir an Geschichten gefällt, in Worte zu fassen.
Damit sind wir bereits bei der ersten Schwachstelle dieser Methode: Wie will man in Worte fassen, was sich nicht in Worte fassen lässt? Es ist das Wesen von Büchern, Erzählungen und Kultur überhaupt, dass sie in uns eine Saite zum Schwingen bringt, ohne dass wir uns erklären könnten, wie und warum das geschieht. Ich glaube zwar nicht an Hokuspokus, aber ein wenig Magie ist schon dabei, wenn sich ein solches Werk quasi in unsere Seele schleicht und uns auf eine Weise berührt, die sich intellektuell nur ansatzweise erfassen und nicht vollständig dekonstruieren lässt. Und überhaupt: Wie soll man einer KI verständlich machen, was einen zu Tränen rührt, wie auf Nägeln sitzen lässt, in Euphorie und Lebenslust versetzt oder Gefühle weckt, die man zum letzten Mal während des Frühlingserwachens als 15-Jähriger empfunden hat?
Einen Versuch ist es wert

Trotzdem: Probieren sollten wir es!
Was mich angeht, finde ich es spannend, darüber nachzudenken, was eine gute Geschichte ausmacht. Was haben viele der Geschichten gemeinsam, die ich nicht nur als unterhaltsam, sondern auch bedeutsam für mein Leben empfinde? Herausgekommen ist ein imposanter Prompt, der mehr als 1500 Zeichen¹ aufweist und den ich über die Zeit zu erweitern und zu verfeinern gedenke.
Mit diesem Prompt ist der erste Schritt getan. Es stellt sich jetzt die Frage, wie wir unseren Literatur-Berater ausgestalten. Wir könnten einen GPT konstruieren. Aber da wir den mutmasslich nicht der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen wollen, geht es auch einfacher. Nämlich mit der neuen, hier vorgestellten Projektfunktion von ChatGPT. Bei der habe ich meine Audible-Historie deponiert, den erwähnten Prompt als Hinweis hinterlegt und dann meine Frage gestellt:
Ich bin gerade mit Volker Kutschers letztem Buch in der Gereon-Rath-Reihe durch und würde zur Abwechslung gern etwas Leichteres und Fröhlicheres lesen. Was kannst du mir empfehlen?
Das sind die fünf Empfehlungen von ChatGPT:
- Miss Merkel: Mord in der Uckermark von David Safier
- Eifersucht von Jo Nesbø
- Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand von Jonas Jonasson
- QualityLand von Marc-Uwe Kling
- Die Unverbesserlichen – Der grosse Coup des Monsieur Lipaire von Volker Klüpfel und Michael Kobr
Das könnte schon etwas werden
Womit wir bei der zweiten Schwachstelle wären: Um zu beurteilen, ob diese Tipps passen, müsste ich zuerst alle fünf Bücher lesen. Das habe ich bislang nicht geschafft; sorry! Darum bleibe ich euch an dieser Stelle ein endgültiges Fazit schuldig.
Ich bin aber zuversichtlich, dass ich im Lauf der Zeit die Erkenntnisse zu dieser Methode verdichten werden. Als erstes Fazit lässt sich sagen, dass mir ChatGPT tatsächlich nichts empfohlen hat, was ich schon kenne, und die Tipps interessant genug sind, dass ich zumindest den Klappentext lesen werde. Beim letzten Tipp hat sich die KI allerdings bei den Autoren vertan. Sie hat das Buch Valérie Perrin und Alexandra Holenstein angedichtet.
Trotzdem: Falls ihr Lust habt, fühlt euch frei, die Methode für euch zu adaptieren. Und lasst mich unbedingt wissen, was dabei herauskommt!
Nachtrag
- Ich habe Empfehlung vier in der Liste aufgegriffen, gelesen und besprochen: Der Techno-Faschismus, der einfach allen Spass macht. Das war ein Treffer.
Fussnoten
1) Du bist mein persönlicher Buch-Berater, der mir relevante und gute Tipps für Bücher und Hörbücher gibt. Bedenke, dass meine Zeit knapp ist und setze dir als Ziel, die Gefahr von Fehlkäufen möglichst auf null zu senken. Dir steht als Datei meine Audible-Hör-Historie zur Verfügung: Empfiehl mir keine Bücher, die ich bereits kenne, und orientiere dich an den Bewertungen, um dich über meine Vorlieben ins Bild zu setzen.
Ich möchte aber nicht, dass du mir bloss mehr vom Gleichen empfiehlst. Berücksichtige daher folgende Beschreibung meines «literarischen Beuteschemas»:
Ich mag Geschichten, in denen facettenreiche Hauptfiguren eine Identifikationsmöglichkeit abgeben: Sie verhalten sich eigenständig, mutig und frech, haben aber auch ihre Momente des Zweifels und der Schwäche. Mir gefallen schnelle, witzige und scharfe Dialoge, die als Teil von glaubwürdigen, differenzierten und relevanten menschlichen Interaktionen stattfinden. Die Geschichte wird klug erzählt und durch interessante Wendungen vorangetrieben. Meine Lieblingsgenres sind Krimis, Thriller, Science-Fiction-Storys, Zeitreisen, das Metaversum, aber ich lese auch gern Geschichten aus anderen Genres, wenn sie den gewissen Reiz haben. Eine actionreiche Handlung ist in Ordnung, sollte aber nicht im Zentrum stehen. Der Stil sollte sich durch Spannung, Witz und Prägnanz auszeichnen – und generell mag ich Autorinnen und Autoren, die eine humanistische Grundhaltung aufweisen, selbst wenn sie sich zynisch oder abgebrüht geben sollten. ↩
Beitragsbild: Keine Frage – ihre Lektüretipps sind und bleiben die besten (Cottonbro Studio, Pexels-Lizenz).