Reset von Brian Andrews, bislang nicht auf Deutsch erschienen, ist eine Science-Fiction-Geschichte, bei der ich mich während vier Fünfteln des Buchs fragte, was der Titel zu bedeuten hat. In den letzten Kapiteln gibt es eine einleuchtende Erklärung und eine überraschende Wendung.
Das Ende bringt mich auch dazu, dem Buch eine genügende Note zu geben und es hier zu rezensieren. Zuvor, im Mittelteil, strapazierte es meine Geduld. Ich begann während des Hörbuch-Hörens schon eine Tirade zu formulieren, dass viele mir Autoren inzwischen zu sehr auf eine Verfilmung ihrer Werke spekulieren und darum ihre Geschichten über lange Action-Sequenzen erzählen, statt Mittel zu wählen, die dem Medium Buch besser anstünden: Das sind, natürlich, feinfühlige Dialoge und wilde Wortgefechte, sowie subtile zwischenmenschliche Interaktionen.

Vor allem sollte uns die Geschichte am Innenleben der Charaktere teilhaben lassen. Denn das ist etwas, was der Film im Vergleich viel schlechter bewerkstelligt. Es gibt nur wenige Schauspieler, die es schaffen, uns mittels Mimik an inneren Vorgängen teilhaben zu lassen, die sich nicht auch in Einzeilern wie «Fuck!» oder «Yeah!» ausdrücken liessen.
Die Katze früher aus dem Sack lassen?
Diese Kritik bringt mich zur Frage, ob dieses Buch nicht spannender geworden wäre, wenn es nicht auf die Überraschung am Ende hin konzipiert worden wäre. Klar, es ist für einen Autor verlockend, wenn er sein Werk mit einem Kracher abschliesst. Es bedeutet jedoch auch, dass er viele Informationen bis zum Ende zurückhalten muss und seine Charaktere der Chance beraubt, sich mit diesen entscheidenden Elementen der Geschichte auseinanderzusetzen. Das ist bei «Reset» ein offensichtlicher Mangel. Es verhindert, dass sich die Leserschaft vertiefte Gedanken über die existenzielle Frage macht, wie die Menschheit sich ihr Überleben sichert.
Um das konkret auszuführen, muss ich spoilern. Das tue ich erst am Ende des Beitrags, daher zuerst mein Fazit: Wenn ich die Website von Autor Brian Andrews vor dem Kauf des Buchs besucht hätte, dann hätte ich einen Bogen um «Reset» gemacht. Dort ist das Bild eines Soldaten in futuristischer Montur und der Hinweis zu sehen, dass Andrews ein Veteran der US Navy, Nuklearingenieur und ehemaliger U-Boot-Offizier sei. Ich kann zwar nachvollziehen, dass es eine Schnittmenge zwischen Science-Fiction und den Militärromanen gibt. Aber ich bin zu sehr Pazifist, um mich nicht ständig zu fragen, wo die Detailverliebtheit aufhört und die Glorifizierung anfängt. Das gilt explizit für Tom Clancy, der dem gleichen Dunstkreis wie Andrews zuzurechnen ist: So viel, wie der in einem Buch über militärische Ausrüstung und Taktiken preisgibt, will ich in meinem ganzen Leben nicht zu diesem Thema hören.
Das Happy End verwandelt sich in eine Niederlage
«Reset» spielt teilweise im militärischen Milieu, was zum Glück durch zivile Figuren wie der taffen Journalistin Josie Pitcher zumindest teilweise wettgemacht wird. Die Protagonisten sind okay. Stilistisch ist der Autor kein Überflieger. Beim Spannungsaufbau wäre mehr möglich gewesen. Doch die Wendungen in der Geschichte hatten mehr Raffinesse, als ich es bei dem martialischen Umfeld erwartet hätte. Ich rechnete damit, dass die Guten gewinnen, weil sie die cleversten sind und es deswegen schaffen, im wörtlichen Sinn die grössere Kanone zu bauen. Doch gefehlt: Das Problem in «Reset» lässt sich nicht mit Waffengewalt, sondern nur mit einer Verzweiflungstat von globalem Ausmass lösen. Und der Sieg, über den wir kurz vor Ende der Geschichte freuen, ist aus dieser Perspektive eine Niederlage.
Also: Nicht mein Buch des Jahres, aber dennoch eine Sci-Fi-Geschichte, die ein echtes, akutes Problem adressiert.
Aliens? Muss das sein!
Jetzt zu den Details der Geschichte – ab hier mit Spoilern:
Am Anfang der Geschichte kämpft Sergeant Michael Pitcher in den afghanischen Bergen, wo er einem mysteriösen Objekt begegnet. Eine leuchtende Kugel, die nicht von dieser Welt zu sein scheint und die auf unerklärliche Weise auf die Menschen in ihrem Umfeld einwirkt. Pitcher erleidet einen Anfall und wird nach Hause geschickt. Die Ärzte erklären ihn für gesund, doch seine Lebensgefährtin Josie traut der Sache nicht. Als plötzlich und unerklärlicherweise 14 Millionen US-Dollar auf dem gemeinsamen Konto auftauchen, behauptet Pitcher, nichts mit dieser Sache zu tun zu haben; ist am nächsten Tag aber mitsamt dem Geld verschwunden.
Schuld daran ist natürlich das geheimnisvolle Artefakt. Es ergreift Besitz von den Menschen, die ihm zu nahe kommen. Diese müssen fortan ihren Geist mit dem Eindringling teilen und sich von ihm zu Handlungen zwingen lassen, die ihnen unerklärlich scheinen oder zutiefst widerstreben. Diese Entität, die sich Eve nennt, versucht dann auch, die Menschheit auszulöschen: Sie will eine riesige Menge an Grippenimpfungen mit Pockenviren verseuchen, was mutmasslich zur Beseitigung eines Grossteils der Weltbevölkerung führen würde.
Verzweiflungstat gegen das Massensterben
Die Vermutung steht im Raum, dass diese leuchtende Scheibe ein ausserirdisches Wesen ist, das Vorbereitungen trifft, den Planeten zu übernehmen. Josie Pitcher versucht, zusammen mit dem mehr als dubiosen CIA-Agenten Dean Ninemeyer diesen Plan zu vereiteln. Mithilfe des vermeintlichen Preppers Willie Barnes gelingt das Unterfangen. Eve kann eingefangen und in einer riesigen Masse Beton eingeschlossen werden.
Das Happy End? Nein, denn nun springt die Erzählung 45 Jahre in die Zukunft. Dort fasst ein Grüppchen um den US-Präsidenten einen verzweifelten Plan: Weil die Welt wegen des Artensterbens kurz vor dem Kollaps steht, wurde Eve erfunden. Sie wird in die Vergangenheit zurückgeschickt, um – und hier könnte man sich an eine bestimmte Verschwörungstheorie erinnert fühlen – die Zahl der Menschen auf ein verkraftbares Mass zu reduzieren. Doch weil Willie Eve austrickst, schlägt die Rettungsaktion fehl. Doch wie es so ist bei Zeitreisen: Die Manipulationen der Vergangenheit bleiben nie ohne Auswirkung. Genevieve, die Tochter von Josie und Michael Pitcher, stand unter dem Einfluss von Eve. Auf dem veränderten Zeitstrahl ist sie massgeblich an der Aktion beteiligt.
Beitragsbild: Ach, hier ist er ja! (Jose Antonio Gallego Vázquez, Unsplash-Lizenz).