Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass diese Buchempfehlung ausgerechnet von ChatGPT stammt. Es handelt sich bei dieser Geschichte nämlich um eine rasante Persiflage auf unser modernes Leben: Was wäre, wenn alle Belange des Alltags von Algorithmen nach den Gesetzen des Marketings optimiert würden, sodass Konsum und Lebensgestaltung perfekt harmonieren?
In QualityLand von Marc-Uwe Kling (Amazon Affiliate) ist vieles so viel einfacher: Die Mühsal des Einkaufens wird den Menschen erspart, weil die kluge Software TheShop Bedürfnisse schon im Voraus erahnt und vollautomatisch befriedigt. Der Schlüssel zu dieser Utopie ist Big Data. Über jeden einzelnen Bürger und jede Bürgerin werden so viele Informationen gesammelt, dass völlige Transparenz hergestellt werden konnte – und zwar in allen Bereichen: Es gibt zwar noch Parteien wie die Fortschrittspartei und eine Opposition, die «Opposition» heisst. Doch weil die Bedürfnisse der Menschen so genau bekannt sind, kann das Staatswesen dynamisch daran angepasst werden.
Partnersuche ist ein gelöstes Problem

Selbst die Partnerwahl ist ein gelöstes Problem: QualityPartner übernimmt diese Aufgabe wiederum autonom. Da sie alles über alle weiss, bringt sie Menschen ohne deren Zutun zusammen – natürlich mit Umtauschrecht innert einer gewissen Zeit. Erleichtert wird diese Vermittlung durch ein Rating-System, das jeden in der Bevölkerung anhand eines ausgeklügelten Systems bepunktet. Der Wert auf der Skala entscheidet auch über Jobs – und darüber, wie man von den KIs angesprochen wird. Gesiezt werden nur Leute mit einem zweistelligen Score. Darunter gilt man als wertlos und hört selbst vom intelligenten Laufband bloss ein «Du».
Wenn das so klingt, als ob Unternehmensberater diese Gesellschaft geprägt haben, dann ist das kein Zufall: Genau das ist in QualityLand passiert. So wird dieser Vorgang, der «nach der dritten Jahrhundertkrise in einer Dekade» eingeleitet wurde, im Vorwort erklärt:
Die Unternehmensberatung beauftragte die Kreativen von WeltWeiteWerbung (WWW), nicht nur einen neuen Namen für das Land zu erarbeiten, sondern auch gleich ein neues Image, neue Helden. eine neue Kultur. kurz gesagt: eine neue Country Identity. Nach einiger Zeit und noch mehr Geld, nach Vorschlägen und Gegenvorschlägen einigten sich alle Beteiligten endlich auf den heute weltbekannten Namen, der sich so vorzüglich dafür eignet, hinter einem «Made in» auf Produkten zu stehen: QualityLand.
Es versteht sich von selbst, dass Marc-Uwe Kling eine Dystopie erzählt, die er in ein buntes, lustiges und lockeres Gewand verpackt. Die Namen der Leute sind häufig einen Lacher wert, obwohl sie – zum Nennwert genommen – extrem stigmatisierend wären. Peter ist eine der Hauptfiguren. Er heisst zum Nachnamen Arbeitsloser, weil sein Vater zum Zeitpunkt seiner Geburt keinen Job hatte. Sandra Admin ist seine Exfreundin, und Martyn Vorstand ein minderbemittelter Parlamentsabgeordneter, der das Glück hatte, aus einer wohlsituierten Familie zu stammen. Was wir hier haben, ist fröhlicher Techno-Faschismus mit einem Sozialkredit-System, das den Chinesen in Nichts nachsteht. Und auch wenn mir als Leser klar ist, dass mir mindestens jeder zweite Lacher im Hals stecken bleiben müsste, macht «QualityLand» jede Menge Spass.
Die Verkommerzialisierung von allem
Der Grund liegt darin, dass der Autor seine Pointen treffsicher setzt und offensichtlich ganz genau Bescheid über die Abgründe weiss, die sich auftun, wenn grosse Unternehmen High-Tech angeblich zum Wohle aller einsetzen, dabei aber skrupellos die Abhängigkeit der Nutzer, Kunden und Bürger vergrössert und die Kontrolle über deren Leben verabsolutiert. Die Verkommerzialisierung von allem zeigt sich beispielsweise daran, dass selbst die Nachrichten bloss ein Instrument für Schleichwerbung sind.
Das «QualityLand»-Experiment von Marc-Uwe Kling hätte gehörig in die Hose gehen können. Dass es geglückt ist, liegt meines Erachtens an den trockenen Dialogen, dem durchgängig respektlosen, hochsympathischen Humor («Knutsche deinen Duce») und an grossartigen Figuren wie Peter Arbeitsloser oder Aisha Ärztin, die trotz aller Unwägbarkeiten ihres grässlichen Lebens menschlich und zugänglich bleiben. Ein Highlight ist auch Kalliope. Sie ist eine Androidin und E-Poetin, die personalisierte Literatur ganz nach dem Geschmack der Massen schreibt, selbst im Angesicht ihres Todes (bzw. ihrer Verschrottung) einen Terminator-Witz reisst und die zwar kein Herz besitzt, es aber dennoch am rechten Fleck trägt.
Fazit: Eine unbedingte Empfehlung für alle, denen der Fortschritt im richtigen Leben zu viel wird und die von Techno-Faschismus à la Elon Musk die Schnauze voll haben. Das Hörbuch ist eine Aufzeichnung einer Lesung des Autors vor Publikum, was die Sitcom-Note des Werks noch verstärkt. Zu erwähnen ist auch, dass es das Buch in einer hellen und in einer dunklen Edition gibt. Die Unterschiede liegen beim «Newsfeed» innerhalb der Geschichte, die für die einen optimistischer und für die anderen pessimistischer ausfallen. Natürlich ist das eine Anspielung auf die personalisierte Literatur von Kalliope, die sich ihrerseits über Proust ohne homosexuelle Figuren oder Game of Thrones ohne eine einzige Leiche mokiert. Eine qualitativ hochwertige Meta-Anspielung!
Der Vergleich zum Hier und Jetzt liegt natürlich auf der Hand: Einerseits ist es tatsächlich zu beobachten, wie Technologie und autoritäre Politik eine unheilvolle Allianz eingehen. Die Unterschiede zu den wahren Tech-Oligarchen wie Musk und Bezos sind indes grösser als die Gemeinsamkeiten. Spielerisch oder humorvoll ist heute gar nichts, sondern hemdsärmliger, chaotischer und mit einer dicken Ladung Idiocracy als Hauptzutat. Als Mensch mit einer zynischen Weltsicht würde man sagen, dass das Verblüffendste am Buch die Tatsache ist, dass eine völlige Überzeichnung aus dem Jahr 2017 bereits acht Jahre von der Realität rechts überholt wird.
Beitragsbild: Wenn ChatGPT mir dieses Buch schon vorgeschlagen hat, dann soll die KI gefälligst auch die Bebilderung des Beitrags übernehmen. Prompt: «Generiere mir ein Bild, das Peter Arbeitsloser und Kalliope 7.3 aus dieser Geschichte zeigt.»