Als die Schweizerinnen und Schweizer das Wort «Harddisk» lernen mussten

Der Com­puter hält Einz­ug, und den Eid­genos­sen ver­schlägt es die Sprache. «Der Bund» be­haup­tete im Sep­tem­ber 1987, das grösste Hin­der­nis zum Ver­stän­dnis der tech­ni­schen Ent­wick­lung sei das «Kau­der­welsch», das sie mit sich bringt: Eine in­te­re­ssante These auf dem Prüf­stand.

Neulich ärgerte (und amüsierte) ich mich über den Schindluder, den Microsoft mit der Sprache treibt. Kurz danach fand ich in der Ausgabe der Zeitung «Der Bund» vom 29. September 1987 einen Artikel, der zum Thema passt: Er dreht sich darum, wie der technische Fortschritt die Gesellschaft nötigt, sich sprachlich weiterzuentwickeln und neue Begriffe zu lernen.

Ich mag den Artikel, weil er ein Thema anschneidet, das wichtig wäre, aber im weiteren Verlauf der Entwicklung komplett unter die Räder kam. Den «Bund»-Leserinnen und -Lesern standen 1987 noch viele der grossen Veränderungen bevor: Das World Wide Web, das Smartphone, die sozialen Medien und die künstliche Intelligenz, um nur einige zu nennen. Die tauchten in so schneller Abfolge auf, dass gar keine Zeit dazu blieb, sich gross Gedanken darüber zu machen, wie wir sie sprachlich verarbeiten und verkraften. Ein Phänomen unserer schnelllebigen Zeit, das in anderen Feldern ebenso zu beobachten ist. Während der Coronapandemie poppte die Feststellung auf, dass wir uns alle ins Vokabular der Virologen einarbeiten müssen.

Der PC sollte eigentlich «Arbeitsplatzcomputer» heissen

Die Worte, die die Schweizerinnen und Schweizer in den 1980er-Jahren lernen mussten, sind aus heutiger Sicht banal: Programmieren, Speichern oder Daten, und natürlich der Computer selbst. Für Leute, die tiefer eintauchten und zu einem Produktkatalog griffen, kam es auch damals schon dicker. Sie mussten sich mit Disketten, Harddisks, ROM, RAM, Desktop-Publishing und Megabytes herumschlagen. Und ja, auch sie begegnet uns in dieser Aufzählung bereits: Sie, die künstliche Intelligenz. Es ist unübersehbar, dass sie sich wie ein roter Faden durch die Computerhistorie zieht.

Was ist die Lehre aus diesem Artikel? Und hat die aus heutiger Sicht noch Bestand?

Dieser Artikel ist in einer zwanzigseitigen Beilage zur Bürofachausstellung (Büfa) erschienen.

Der Autor, Rudolf Weber, kritisiert u.a. den Hang zu Anglizismen:

Amerikanische Ausdrücke wurden schlecht oder sogar falsch übersetzt. Schlecht bzw. gar nicht übersetzt ist etwa Personal Computer, denn gemeint ist der persönliche Computer am Arbeitsplatz, der Arbeitsplatzcomputer (im Unterschied zu einer gemeinsamen zentralen Datenverarbeitungsanlage).

Nicht ganz zu Unrecht. Allerdings haben sich für viele der wichtigen Begriffe – Festplatte, Maus, Betriebssystem – durchaus passende deutsche Begriffe etabliert. Es gibt natürlich auch Gegenbeispiele wie das Smartphone. Aber mit der Eindeutschung des schlauen Telefons hätten wir nichts gewonnen.

Der grosse KI-Irrtum

Ins Auge stach mir diese Behauptung:

Falsch übersetzt wurde beispielsweise «artificial intelligence» mit «künstlicher Intelligenz», weil «intelligence» in diesem Zusammenhang nicht Intelligenz bzw. Verstand oder Erkenntnisvermögen bedeutet, sondern etwa «Nachrichtenerfassung» im Sinne der Darstellung und Verarbeitung von Wissen mit Hilfe von Symbolen im Computer.

Das deckt sich zumindest teilweise mit der anfänglichen Verwendung des Begriffs. Damals wurde er tatsächlich auch für Expertensysteme gebraucht, die nichts mit der aktuellen KI gemeinsam haben, sondern als simple Datenbanken gelten würden. Heute erwarten wir von der künstlichen Intelligenz klar die Imitation kognitiver Vorgänge, also Intelligenz im eigentlichen Sinn. Die Kritik ist dennoch valide: Auch heute weckt der Begriff zu weitreichende Erwartungen und bringt die Leute dazu, von der KI Kreativität, Bewusstsein oder gar eine Seele zu präsupponieren.

Ein Verlust an sprachlicher Schönheit?

Aus heutiger Sicht greift die Analyse zu kurz. Wir müssen uns zwar hüten, auf den Rückschaufehler hereinzufallen. Doch im Text schwingt mir zu viel Kulturpessimismus mit, zum Beispiel in einem Satz wie diesem:

Aber auch Nichtpuristen argwöhnen, die Verarmung unserer Umgangssprache unter dem Einfluss vor allem des Fernsehens werde durch die Computerbegriffe noch beschleunigt, vom Verlust an Schönheit einmal abgesehen.

Immerhin konstatiert Rudolf Weber, es zeige sich hier auch die Lebendigkeit der Sprache. Der grösste Irrtum zeigt sich jedoch bei der folgenden Passage:

Zweifellos ist das Computerkauderwelsch das grösste Hindernis beim Zugang zu EDV und Elektronik. Ein Fachmann mit dreissig Jahren Erfahrung meint: «Im Bereich der EDV ein bestimmtes Gebiet zu beherrschen ist nur zu 15 Prozent eine Frage der Technik, aber zu 85 Prozent eine der Terminologie.»

Dem ist vehement zu widersprechen. Das Phänomen, das wir heute als digitale Kluft bezeichnen, ist längst keine rein sprachliche Angelegenheit. Das richtige Vokabular allein hilft nicht weiter, zumal die technischen Zusammenhänge komplex sind. Um an diesem Fortschritt zu partizipieren, braucht es den Zugang zu den Geräten, zum Internet, zu Online-Ressourcen und heute auch zu KI-Anwendungen. Das ist eine sozioökonomische Herausforderung, die sich nicht auf die Sprache reduzieren lässt. Zur Verteidigung sei gesagt, dass 1987 sich die allermeisten Leute nicht mit Computern beschäftigen mussten, wenn sie nicht wollten.

Konzerne verwenden Sprache oft widersinnig

Zurück zu Microsoft und der eingangs erwähnten Sprachkritik. Wenn mir an hier ein kleiner Exkurs gestattet ist, dann würde ich gerne ein paar Gedanken dazu äussern, warum der Technik-Jargon über all die Jahre nicht zugänglicher geworden ist. Denn wie dieser Text glasklar aufzeigt, erkannten einige Leute das Problem schon vor 37 Jahren.

Warum also haben die Tech-Konzerne nicht reagiert? Sie müssten doch allen voran ein Interesse daran haben, die Hürden für alle zu senken. Warum produziert z.B. Microsoft in seinen Dokumentationen, Marketingmaterialien und in der Unternehmenskommunikation einen Jargon, der für die breite Masse kaum fassbar ist? Das geht sogar so weit, dass selbst Leute, die sich von Berufes wegen mit diesen Themen befassen, oft nicht auf Anhieb kapieren, was gemeint ist.

Ich erkenne drei Gründe, die zu diesem Sprach- und Verständnisgraben führen:

Konzerne verwenden die Sprache reglementiert und als Instrument für ihre geschäftlichen Ziele. Entsprechend erfüllen Begriffe einen klaren Zweck. Es gehört zur Kommunikationsstrategie, dass gängige sprachliche Begriffe zum eigenen Nutzen neu definiert werden. Das kann kleinere oder grössere Bedeutungsverschiebungen zur Folge haben, die sich Aussenstehenden nicht unbedingt erschliessen.

Man will beeindrucken, nicht verstanden werden

Ein plattes Beispiel dafür ist die «Innovation»: Umgangssprachlich versteht man darunter eine bahnbrechende Erfindung, einen grossen Wurf. Unternehmen brauchen den Begriff als Synonym für die Produktpflege: Selbst winzige Verbesserungen zählen als Innovation. Auch die «Nachhaltigkeit» gehört in diesen Bereich. Wir würden annehmen, dass das eine umfassende Strategie zur Schonung von Ressourcen bezeichnet. Doch die Konzerne nennen schon absolut banale Änderungen nachhaltig, weil das Greenwashing zum Geschäft gehört.

Leichte, allgemeine Verständlichkeit ist nicht das vorrangige Ziel. Im Gegenteil: Es kann gewünscht sein, dass ein Begriff kryptisch wirkt: Wie eine Geheimsprache, die signalisieren soll, dass das Unternehmen der Allgemeinheit weit voraus ist. Man will beeindrucken, nicht verstanden werden.

Schliesslich ist der Umgang mit der Sprache oft unreflektiert: Selbst Leute, die von sich behaupten, professionell Kommunikation zu betreiben, scheinen sich nicht bewusst zu sein, dass nach aussen auf andere Art formuliert werden muss als in internen Memos. Botschaften adressatengerecht oder sogar barrierefrei zu verfassen, ist ein beträchtlicher Aufwand – und den spart man sich lieber, selbst wenn das Firmenleitbild etwas anderes vorsieht.

Beitragsbild: Der Apple II – zum Zeitpunkt der Sprachdebatte bereits zehn Jahre alt – hat auch zum Sprachwandel beigetragen (Piotr Baranowski, Pexels-Lizenz).

One thought on “Als die Schweizerinnen und Schweizer das Wort «Harddisk» lernen mussten

  1. Tja, nicht vergessen: das erste Axiom derKommunikationswissenschaft heisst immer noch „Die Botschaft entsteht beim Empfänger“ (oder Empfängerin). Da kann man sich jetzt überlegen, ob die Herren udnwenigen Damen in diesen Konzernen bewusst oder eben unbewusst nicht verstanden werden wollen… 😉

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