Neulich hat mich Jan auf Bluesky auf eine Übersicht von Microsoft zu Office aufmerksam gemacht. Eigentlich wollte ich deren Zweck nüchtern und sachlich vorstellen. Doch daraus wird heute leider nichts¹.
Stattdessen muss ich mir Luft verschaffen, was die schwurbelhafte Ausdrucksweise dieses Unternehmens angeht. Die Tech-Konzerne neigen seit jeher zu abschreckenden Wortschöpfungen, mit denen sie – um es zurückhaltend auszudrücken – einen abgehobenen Eindruck hinterlassen. Doch die sprachlichen Ungetüme, die Microsoft in die Welt setzt, sind von einer ganz eigenen Qualität. Drei exemplarische Beispiele mit 25, 29, 39 Zeichen sind …
- Benutzerzugriffssteuerung,
- Vertraulichkeitsbezeichnungen und
- Richtlinienkonfigurationsdienstanbieter.
Was die von Jan erwähnte Übersicht angeht, ist die Wortwahl auf den ersten Blick harmlos: Microsoft spricht in Englisch von connected experiences in Office. Daraus wird in Deutsch die verbundene Erfahrung.
Doch je länger ich mich mit dieser Nomenklatur beschäftige, desto mehr geht mir die Düse. Denn schon die Wortwahl «experience» ist ein Manipulationsversuch: Sie impliziert, dass uns der Gebrauch eines Microsoft-Produkts ein Erlebnis vermitteln würde – einen besonderen Moment in unserem Leben. Dank Microsoft würden wir einer Begebenheit mit Tragweite beiwohnen, soll uns weisgemacht werden.
Das Aha-Erlebnis ist nicht Microsofts Verdienst
Das ist eine hanebüchene Verdrehung der Tatsachen: Die Software ist ein Instrument, ein passives Werkzeug. Sollten wir zu einem Erkenntnisgewinn oder sogar zu einem Aha-Erlebnis gelangen, dann ist das die Folge unserer Arbeit und unser eigenes Verdienst. Das einzige Erlebnis, das mir eine Software eigenmächtig beschert, ist der Wutanfall, der von einem Absturz oder unerwarteten und unproduktiven Verhaltensweise herrührt.
Also, statt «Experience» wäre Feature oder Funktion das richtige Wort. Muss ich erwähnen, dass die deutsche Übersetzung als «Erfahrung» nochmals extra affig ist? Erfahrung ist nicht etwas, das man sich aneignet, indem man in Office ein bisschen herumklickt. Erfahrung entsteht durch intensive Auseinandersetzung, durch Lernen und auch Scheitern.
Opfer der eigenen Gehirnwäsche
Fazit: Viele werden jetzt vermutlich finden, dass ich ein Depp bin, mich über diese eigentlich entlarvende Wortwahl aufzuregen. Und selbst schuld, deswegen meine Zeit zu vergeuden. Vielleicht stimmt das sogar. Sprachlicher Schindluder ist schliesslich nicht nur in der Tech-Welt an der Tagesordnung, sondern ein integraler Bestandteil unserer Wirtschaftsordnung.
Andererseits: Warum nicht mal ein Exempel statuieren, wenn sich eine gute Gelegenheit ergibt? Zumal nicht nur Microsoft die «experience» ständig zweckentfremdet. Bei Apple gibt es die fully wireless experience und bei Google die multi-device experiences, um nur zwei Beispiele zu nennen.
Was das konkrete Beispiel angeht, erscheint diese sprachliche Entgleisung auf einer Plattform namens learn.microsoft.com: Sie richtet sich an Bestandskunden, die lernen, nicht in Kaufrausch verfallen sollen. Dass selbst an so einem Ort diese überzogene Tonalität nicht mehr abgedreht werden kann, lässt nur einen Schluss zu: Die Leute bei Microsoft sind zu den ersten Opfern ihrer eigenen Gehirnwäsche geworden …
Fussnoten
1) Damit ich dem Service-Aspekt dieses Blogposts dennoch Rechnung trage, hier eine kurze Erklärung, welche Informationen besagte Übersicht liefert: Sie zeigt auf, welche Funktionen in Word, Excel, Powerpoint und Co. einen Online-Zugriff erfordern oder zu Downloads führen.
Mit anderen Worten: Diese Liste hilft abzuschätzen, wann wir Nutzerinnen und Nutzer mit Microsofts Servern in Kontakt geraten. Wer Wert auf Datenschutz legt und dennoch Office verwenden muss oder will, der sollte sich genauer mit ihr beschäftigen. Für Leute, die keine oder wenig Berührungsängste haben, ist es eine spannende Zusammenstellung von Features, die sie kaum schon alle kennen. Ich habe zwei, drei interessante Dinge entdeckt: die 3D-Karten in Excel etwa oder die Möglichkeit, eine Powerpoint-Präsentation in ein Video zu konvertieren.
Wir müssen allerdings festhalten, dass diese Übersicht einer Minimallösung entspricht. Besser wäre es, wenn Nutzerinnen und Nutzer direkt beim Gebrauch der Software transparent darüber informiert würden, was mit ihren Daten passiert und wann welche Informationen wohin gelangen. Auch wäre es zu begrüssen, dass sich solche Online-Auswertungen in einem sensiblen Umfeld komplett abschalten liessen. Das scheint aber Microsofts Interessen zuwiderzulaufen. Die laufen darauf hinaus, dass Nutzerinnen und Nutzer möglichst viele der Online-Features einsetzen, selbst wenn sie sich dessen nicht immer bewusst sind. ↩
Beitragsbild: Für den Unfug, den die Tech-Konzerne seit Jahren mit dem Wort «experience» betreiben, gibt es die rote Karte (Boom💥, Pexels-Lizenz).
Microsoft verwendet gerne wörtliche Übersetzungen. Das führt dann zu Sachen wie „Paketrundsendesturm“ (für „Broadcast Storm“). Ein „ping“ ist eine „Echoanforderung“.
Manchmal sind die Begriffe in Englisch schon nichtssagend, wie „User Account Control“. Damit kann man genauso wenig anfangen wie mit „Benutzerkontensteuerung“. Ich würde das „on-demand privilege elevation“ oder so nennen.
Bei Office hat man kürzlich versucht, auf die lokale Kultur einzugehen und dabei unleserliche Sätze wie „Möchten Sie dem*der Organisator*in der Besprechung antworten?“ erzeugt.