Lasst uns das Internet einstampfen und von vorn beginnen

«Das Inter­net macht keinen Spass mehr», hiess es neulich im Inter­net. Müssen wir mit der Tristesse leben oder können wir Ab­hil­fe schaf­fen? Ich habe mir überlegt, was die Freude zurück­bringen könn­te.

Das Internet macht keinen Spass mehr: Diese Wehklage habe ich neulich bei der «Computerworld» gelesen. Das Klageweib, Pardon für diese Zuschreibung, heisst Scot Finnie. Er ist einer, der anscheinend auch schon (fast) seit Adam und Eva mit dabei ist. Jedenfalls hat er seinerzeit ein dickes Buch zu Windows 95 geschrieben.

Finnie führt folgende Gründe für seine Diagnose an:

  1. Den Aufwand, den wir betreiben müssen, um online sicher zu bleiben.
  2. Die Bezahlschranken, hinter denen ein grosser Teil des guten Inhalts im Web verschwindet.
  3. Und die Verrohung durch die sozialen Medien.

Natürlich fallen uns sogleich weitere Dinge ein, die uns den Spass im Netz nachhaltig verderben:

  1. Das ständige Tracking, das – wie SRF neulich anschaulich darlegte – völlig aus dem Ruder geraten ist.
  2. Die Online-Werbung, die zu einem brutalen Medienwandel und zum Niedergang der Qualitätsmedien führt.
  3. Die immer grössere Anziehungskraft der grossen Plattformen, die mit einer Verkümmerung des unabhängigen Netzes einhergeht.
  4. Der nutzlose KI-Content, der aus allen Ritzen quillt und zur Vermüllung des Netzes beiträgt.
  5. Der digitale Stress, der durch ständige Benachrichtigungen ausgelöst wird.
  6. Die Benachteiligung von Original-Inhalten, die stattfindet, während ein Überdruss an geklauten und abgekupferten Memes herrscht.
  7. Der gigantische Energieverbrauch und dessen ökologische Konsequenzen.

Reichen diese zehn Punkte, um uns dazu zu bringen, das Internet abzuschalten? Oder – und das wäre meine Idee – uns zu überlegen, wie wir mit dem heutigen Wissen einen Neustart hinlegen? Wie müsste das Internet 2.0 aussehen, damit die gröbsten Mängel ausgebügelt würden und der Spass zurückkehrt?

Auf vernünftige Weise Geld verdienen

Meine Überzeugung besagt, dass dieses Internet 2.0 kleinteiliger, vielfältiger und unabhängiger sein müsste. Selbstverständlich darf hier auch Geld verdient werden: Eine von Anfang an mitgedachte Möglichkeit zur Monetarisierung guter und originärer Inhalte ist absolut zentral. Sie muss sicherstellen, dass unabhängige Anbieter die Möglichkeit haben, mit ihren Inhalten Geld zu verdienen. Das beseitigt den Zwang, sich einer grossen Plattform wie Youtube, Tiktok oder Facebook an die Brust zu werfen. Das wiederum verhindert, dass diese Giganten im Netz so viel Macht aggregieren, dass sie die Spielregeln zu ihren Gunsten verändern und ihren kleineren Konkurrenten die Luft zum Atmen nehmen.

In einem dezentralen Netz hätte er weniger Möglichkeiten, die Menschen «verstehen zu wollen» (Snowscat, Unsplash-Lizenz).

Wie könnte das gehen? Natürlich fallen uns sofort jene Technologien ein, die eine echte Dezentralisierung bringen. Stichworte dazu sind das Fediversum und auch die Blockchain. Das Problem bei denen besteht allerdings in ihrer Komplexität. Sie sind schwer zu verstehen und es ist eine Herausforderung, sie sicher anzuwenden. Wie können unerfahrene Nutzerinnen und Nutzer sicher sein, nicht auf Betrüger hereinzufallen? Und wie sollen sie breites Vertrauen gewinnen, wenn wir sehen, dass Milliardäre wie Elon Musk ihre Kryptowährungs-Spielchen spielen?

Viele frühere Anläufe sind gescheitert

An dieser Stelle kommen wir nicht um die Feststellung herum, dass viele Anläufe gab, das offene und freie Netz zu fördern, die viel einfacher als das Fediversum und die Blockchain waren, sich aber dennoch nicht durchgesetzt haben. Ich denke an RSS und die Möglichkeit, Inhalte aus dem freien Netz zu aggregieren. Doch so simpel die auch ist, waren die Leute trotzdem überfordert: Statt selbstbestimmt einen RSS-Reader zu benutzen, konsumieren sie lieber die News, die ihnen Facebook und Twitter servieren. Und auch die Podcasts haben nicht abgehoben, als man sie noch über einen RSS-Feed abonnieren musste. Der Erfolg kam, nachdem eine grosse Plattform (Spotify) sich dafür entschieden hat, sie zu vereinnahmen.

Mir fällt auch Flattr ein: Diese Plattform hat genau auf besagte unabhängige Finanzierung abgezielt. Sie hat es nicht geschafft, abzuheben. Ich habe mir seinerzeit mit 0-Click eine Nachfolgelösung ausgedacht. Ist die Zeit nun reif für die? Ich fürchte nicht.

Welche Schlüsse drängen sich an dieser Stelle auf?

Die Vermutung steht im Raum, dass offene Technologien gegenüber einer geschlossenen, zentral kontrollierten Plattform immer verlieren: Sie sind immer komplizierter, nicht so benutzerfreundlich und weniger attraktiv. Und je mehr Nutzerinnen und Nutzer sich auf einer Plattform tummeln, desto stärker wird ihr Gravitationsfeld im Netz.

Das heutige Internet – Symbolbild (dimitrisvetsikas1969, Pixabay-Lizenz).

Der Regulierungszug ist abgefahren

Heisst das, dass wir nur mit Regulierung weiterkommen? Skeptiker werden sagen, dass dieser Zug bereits abgefahren ist, weil die Konzerne eine Grösse erreicht haben, mit der sie sich einer Regulierung immer entziehen können. Ich fände die Zerschlagung, wie anhand des Beispiels Alphabet (Google) diskutiert, ein lohnenswertes Experiment. Aber ich würde mich nicht darauf verlassen, dass es so weit kommt.

Damit dieser Blogpost nicht in Düsternis endet, ein hoffnungsvoller Gedanke: Ich bin überzeugt, dass das Missverhältnis daher rührt, dass einige wenige viel schneller als die breite Masse kapiert haben, wie das Internet funktioniert. Leute wie Larry Page, Sergey Brin, Mark Zuckerberg, Jeff Bezos und Jack Ma haben sich entschieden, diesen Vorsprung gnadenlos auszunutzen.

Wir selbst haben es in der Hand

Das heisst aber nicht, dass der Rest von uns nicht aufholen könnte. Der Wert von offenen Standards, von Datenschutz und Selbstbestimmung im Netz und das technische Verständnis wird über die Zeit zunehmen. Klar, nicht einfach so – sondern nur, wenn wir nicht müde werden zu erklären, dass wir Google nicht ausgeliefert sind, uns Tiktok entziehen können und uns niemand zwingt, uns auf Twitter an die Gurgel zu gehen.

Wir müssen unseren Kindern Medienkompetenz predigen und ihnen zeigen, wie Informationen im Web bewertet werden. Wir sollten Vorbilder sein, indem wir nicht blind den ausgetrampelten Pfaden folgen, sondern uns auch mit den Alternativen zu Google, Facebook, Microsoft und Apple auskennen. Das heisst nicht, dass wir zu Aussteigern, Cloud-Verweigerern und fanatischen Vertretern einer digitalen Gegenkultur mutieren müssen. Aber wir kommen nicht darum herum, mündige Entscheide zu treffen und erklären zu können, warum wir uns trotz gegenteiliger Argumente für Gmail entschieden haben.

Und ja, vermutlich wird es erst schlimmer, bevor es besser wird. Gegenwärtig ist für mich nicht erkennbar, dass die jüngere Generation das Internet souveräner nutzt als digitale Immigranten wie ich. Aber ich bin zuversichtlich, dass sich das ändern wird. In zehn, zwanzig Jahren, oder so.

Was meint ihr? Ich freue mich auf eine Diskussion – zumal ich nicht für mich in Anspruch nehme, dass alle diese Gedanken hier schon komplett zu Ende gedacht sind. Also, meldet euch mit euren Ideen. Das könnt ihr in den sozialen Medien tun, aber am allerliebsten bespreche ich das über die Kommentare hier im Blog.

Beitragsbild: Hier läuft das neue Internet. Oder auch nicht (Panumas Nikhomkhai, Pexels-Lizenz).

4 Kommentare zu «Lasst uns das Internet einstampfen und von vorn beginnen»

  1. „Die Online-Werbung, die zu einem brutalen Medienwandel und zum Niedergang der Qualitätsmedien führt.“ wird durch die zig-te Wiederholung leider nicht wahrer. Querfinanzierung durch Inserate gab es schon zu Printzeiten. Gerade dein Arbeitgeber zeigt, dass das finanziell auch heute noch funktionieren würde, „versteckt“ das aber in einer Holding-Struktur.

    1. Gemeint ist damit, dass Google und Meta in der Schweiz mutmasslich über 50 Prozent am Werbemarkt haben, ohne etwas Wesentliches für den Qualitätsjournalismus zu tun. Das Problem der mangelnden Querfinanzierung ist mir auch bewusst, das darfst du mir gern glauben.

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