Es ist faszinierend, welcher Schindluder mit künstlicher Intelligenz getrieben wird. Letzte Woche bin ich auf eine neue Schweizer News-Website gestossen. Sie hat die Adresse clevelnews.ch, wurde gemäss Denic erst vor knapp drei Monaten registriert (am 26. April). In dieser Zeit haben sich schon einige Beiträge angesammelt, auch in der Rubrik «Digital».
Neugierig, wie ich bin, habe ich die durchgeklickt und ein zunehmend intensives Déjà-vu-Gefühl entwickelt. Viele der Beiträge erinnerten mich an Artikel, wie ich sie selbst geschrieben habe. Beispiele:
Es gibt noch mehr davon. Ein besonders dämliches Beispiel wurde unter dem Titel Apfel zeigt, wie künstliche Intelligenz auf das iPhone gelangt veröffentlicht. Ja, die strunzdumme KI hat tatsächlich Apple auf Deutsch übersetzt. Das Original stammt mutmasslich von Kollega Rafael Zeier. Und es scheint auch noch weitere ähnliche Domains zu geben, z.B. «helvetichighlights.ch».
Es riecht auf alle Fälle komisch
Ein Verdacht drängt sich auf: Hier hat einer eine KI auf Artikel losgelassen, im Auftrag, die so umzuschreiben, dass sie als eigenständig durchgehen. Wie das klingt, zeigt ein Vergleich aus dem letzten der vier Beispiele oben. Ich schreibe Folgendes:
Microsoft scheint in eine KI-Euphorie verfallen zu sein, bei der der Datenschutz kaum eine Rolle spielt. Ebenso wenig grundsätzliche Überlegungen. Insbesondere die Frage, ob «Recall» überhaupt ein echtes Problem löst. Natürlich lässt uns das Gedächtnis manchmal im Stich. Es ist ärgerlich, wenn wir uns nicht mehr erinnern können, wo wir eine Information gelesen haben, die sich im Nachhinein als wichtig erweist. Dieses Problem liesse sich auch auf weniger gruslige Weise lösen.
Bei «C-Level-News» liest sich das so:
Es wird argumentiert, dass Microsoft möglicherweise zu sehr in die KI-Euphorie eingetaucht ist und keine ausreichenden Datenschutzüberlegungen angestellt hat. Es wird auch die Frage aufgeworfen, ob die „Recall“-Funktion überhaupt ein echtes Problem löst oder ob es weniger invasive Lösungen geben könnte.
Wir müssen an dieser Stelle jedoch nicht weiter spekulieren, ob das tatsächlich so passiert ist. Es gibt nämlich auch einen Artikel, der den Sachverhalt eindeutig belegt. Er trägt den folgenden, etwas lang geratenen Titel Analyse des Abonnements zu künstlicher Intelligenz: Das bekannte Internet könnte bald Vergangenheit sein. Peinliche Fehler und Nutzer, die nichts anklicken: Die KI von Google verschlechtert die Suchmaschine. 6 Gründe, warum das freie Web in Gefahr ist. Matthias Schüssler 29.05.2024.
Die «Inspiration», wenn wir so wollen, stammt aus diesem Text hier. Und ihr habt richtig gelesen: Im Titel ist tatsächlich mein Name stehen geblieben. Was die KI-Verschleierungsaktion ad absurdum führt.
Nebenbei bemerkt hat sich die künstliche Intelligenz auch durch den Hinweis «Abo» übertölpeln lassen. Sie erwähnt ein «Abonnement zu künstlicher Intelligenz». Gemeint ist aber einfach, dass der Tagesanzeiger-Text hinter der Paywall steht.
Darf man es Plagiat nennen?
Womit haben wir es hier zu tun? Ist das ein legitimes Angebot, bei dem Kurzfassungen längerer Artikel angeboten werden? Die Texte sind im Schnitt um ein Viertel kürzer als im Original und leicht verdichtet, wie auch das zitierte Beispiel zeigt.
Oder handelt es sich schlicht um Plagiate? Ich bin kein Jurist und kann das nicht rechtlich verbindlich beurteilen. Aber sehen wir uns mal die Definition der ETH an:
Ein Plagiat liegt vor, wenn Sie Informationen aus einer fremden Quelle in den eigenen Text übernehmen, ohne die Quelle und die Urheberin bzw. den Urheber anzugeben.
Nun nehme ich an, dass der Betreiber von «C-Level-News» sich vor dem Plagiatsvorwurf schützen will, indem die Texte umgeschrieben und verkürzt werden. Es gibt auch Formulierungen en masse wie «Es wird argumentiert» und «Es wird die Frage aufgeworfen», die vermutlich das Hintertürchen öffnen sollen, es werde jeweils einfach sehr ausführlich zitiert. Aber auch für ein Zitat müsste die Quelle angegeben werden – und zwar konsequent und vollständig, nicht bloss versehentlich, wie beim Google-Beispiel.
In diesem Zusammenhang darf ich aus Martin Steigers Blogpost Zitatrecht und andere Irrtümer im Urheberrecht zitieren:
Rechtskonformes Zitieren setzt voraus, dass ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen den eigenen Inhalten und den verwendeten Zitaten besteht. Der Zitatumfang bemisst sich nach dem Zitatzweck und muss den eigenen Inhalten immer untergeordnet bleiben.
Damit können wir festhalten, dass nicht rechtskonform ist, einen ganzen Artikel ohne Quellenangabe zu zitieren und das Werk mit etwas KI-Grütze anzureichern.
Gutschweizerische Wertarbeit
Natürlich hat mich interessiert, wer hinter «C-Level-News» steckt. Ich hatte die Befürchtung, die Nachforschungen würden im Sand verlaufen, weil der Betreiber irgendwo fernab in einem Land sitzt, wo er kaum belangt werden kann. Aber siehe da, in der Fusszeile heisst es, das Angebot sei «ein Teil der First Consulenza AG», und in der Datenschutzrichtlinie ist die Schweizer Fachmedien GmbH, Pfeffingerstrasse 19, 4153 Reinach aufgeführt. Es gibt eine Teamseite, auf der es über den Chef heisst, Francesco J. Ciringione bringe zwanzig Jahre Erfahrung in der Verlagsbranche mit.
Zugegeben, an dieser Stelle war ich baff. Sollten zwanzig Jahre Erfahrung in der Verlagsbranche nicht Grund genug sein, die Finger von einem so fragwürdigen Projekt zu lassen? Oder ist es im Gegenteil so, dass man mit zwanzig Jahren Erfahrung in der Verlagsbranche sicher ist, mit einer solchen Nummer durchzukommen? Ich muss wohl an dieser Stelle nicht speziell ausführen, dass ich als Autor es nicht schätze, wenn meine Arbeit auf diese Weise verwurstet wird – selbst wenn das rechtlich gerade noch so knapp zulässig sein sollte.
Ich habe Francesco J. Ciringione natürlich um eine Stellungnahme gebeten. Eine Antwort habe ich bislang nicht erhalten, werde sie aber gern nachliefern, falls sich das ändert.
Ein Anfang – mehr wird folgen
Es ist meine Überzeugung, dass der Fall «C-Level-News» erst der Anfang macht. Mit der KI im Rücken werden noch viele andere Verlagsleute mit jahrelanger Erfahrung auf die Idee kommen, ein auf fremden Inhalten fussendes Geschäft aufzubauen. Jetzt werden erst einmal die Grenzen ausgelotet: Wird jemand einschreiten oder gelingt es, mit einem solchen Projekt unter dem Radar zu bleiben?
Es dürfte schwierig sein, diesen Versuchen juristisch beizukommen und wir müssen uns auf eine weitere, gigantische Vermüllung des Webs gefasst machen. Das passende Bild wäre wohl das eines andauernden Murgangs an KI-Schlamm, -Schutt und -Unrat.
Weil die rechtliche Handhabe schwierig ist, stehen die Suchmaschinenbetreiber in der Pflicht. Bei Google gibt es einen Leitfaden zu KI-generierten Inhalten. Hier heisst es:
Die Ranking-Systeme von Google belohnen Originalinhalte mit hoher Qualität, die sich durch Erfahrung, Sachkompetenz und Vertrauenswürdigkeit auszeichnen – kurz E‑E‑A‑T (Experience, Expertise, Authoritativeness, Trustworthiness).
Das ist genau der richtige Ansatz. Wird er konsequent umgesetzt, werden «C-Level-News» und Konsorten nie jemals in einer Trefferliste auftauchen. Das Problem ist allerdings, dass Google – entgegen dem Eigenlob in diesem Leitfaden – meiner Erfahrung nach nicht gut darin ist, den Spam aus den Resultaten fernzuhalten.
Zugegeben: Es ist für mich unmöglich zu erkennen, was ich alles nicht sehe, weil Google es erfolgreich von mir ferngehalten hat. Doch aus meiner Warte ist es offensichtlich, dass noch immer viel zu viel Spam übrig bleibt. Denn wenn Googles Spambrain tatsächlich funktionieren würde, wäre es für Francesco J. Ciringione niemals attraktiv gewesen, sein absonderliches «C-Level-News»-Projekt überhaupt zu starten.
👉 Weitere Einsichten, was hinter Francesco J. Ciringiones seltsamem Projekt stecken könnte:
Beitragsbild: Eine KI im Web – Symbolbild (Andrea Piacquadio, Pexels-Lizenz).
Unglaublich
Das tut Ringier auch. Sie nennen ihr Tool „BliKI“. Im Gegensatz zu den in Deinem Beitrag erwähnten Sites schaut aber noch ein Mensch drüber. Faktenfehler bleiben zwar mitunter unentdeckt (was beim Blick nicht so schlimm ist), aber zumindest stehen keine fremden Autoren mehr drin.
https://www.woz.ch/2428/auf-allen-kanaelen/fehler-mit-system/!92CQSTBZ4TT4