Was Elon Musk eigentlich sagen wollte

Keine Web­site ist eine Insel: Das Inter­net lebt von den Quer­ver­weisen. Doch Musk, Zucker­berg und andere Ego­isten stra­fen In­hal­te ab, sobald sie nur den Hauch eines Hyper­links ent­hal­ten.

«Das Hochladen Ihrer Videos auf Twitter 𝕏 erhöht die Zuschauerzahlen massiv, da der Algorithmus für die Gesamtzahl der Nutzersekunden optimiert ist», hat Elmo Elon neulich proklamiert. Er hat den Sachverhalt mit einem Balkendiagramm belegt¹, das zwar keine Achsenbeschriftungen hat, aber die Vermutung nahelegt, dass ein Video ungefähr von fünfmal so vielen Personen gesehen wird, wenn es von Twitter stammt, als wenn es von einer externen Quelle eingebunden wird.

Erste Frage: Was zum Teufel könnte mit der «Optimierung der Gesamtzahl der Nutzersekunden» gemeint sein? Etwas weniger wichtigtuerisch ausgedrückt meint es, dass Twitter versucht, die Einschaltquote zu erhöhen.

Zweite Frage: Wie würde Twitter das tun?

Die Formulierung «Gesamtzahl der Nutzersekunden» ist für diese Frage aber tatsächlich aufschlussreich: Sie impliziert, dass Twitter nicht versucht, jeden einzelnen Nutzer und jede Nutzerin dazu zu bringen, das Video möglichst bis zum Ende zu schauen. Denn ob jemand das tut, hängt vom Inhalt ab. Und auf den hat nicht einmal ein so fähiger Mann wie Elon Musk einen direkten Einfluss.

Was Elon meint: Andere werden brutal abgestraft

Heisst: Externe Links werden massiv benachteiligt.

Nein, der Trick besteht darin, das Video per Algorithmus mehr Leuten in die Zeitleiste zu spülen. Und da im Original-Tweet die Aussage in Abgrenzung zu den Videos erfolgt, die nicht bei Twitter hochgeladen, sondern z.B. von Youtube verlinkt sind, ergibt sich eine klare Schlussfolgerung: Der Algorithmus bevorzugt Twitter-eigene Inhalte ungefähr um Faktor fünf.

Man könnte auch sagen: Tweets mit externen Inhalten werden auf einen Fünftel ihres Potenzials gedrosselt.

Der Effekt, dass Plattformen externe Inhalte abstrafen, ist nicht neu. Ich habe ihn schon vor einem Jahr beschrieben und bin damals zum (nach wie vor gültigen) Schluss gekommen, Elon Musk sei ein Heuchler. Spannend finde ich indes, dass sich anhand des Tweets die Grössenordnung des Effekts quantifizieren lässt.

Der Plattform-Lock-in ist purer Egoismus

Die Betreiber der sozialen Medien wollen Nutzerinnen und Nutzer auf ihren Plattformen halten, um die Verweildauer zu maximieren. Man könnte das Plattform-Lock-In nennen. Ich beobachte diesen Effekt bei Facebook. Es gibt Anzeichen dafür, dass er bei Linkedin existiert. In diesem Beitrag (auf den ich auch hier eingehe) steht folgendes Zitat:

Linkedin-Posts, die einen Link enthalten, haben eine um 55 bis sechzig Prozent geringere Reichweite als Text- oder Bildposts, die keinen Link enthalten.

Man könnte sagen, der Name sei bei dieser Plattform Programm: «Linked in, but not linked out». Quelle dieser Angabe ist ein (mir nicht näher bekannter Herr) Richard van der Blom und seine Algorithm research.

Ich vermute die algorithmische Abstrafung ebenfalls bei Threads und in gewissem Mass auch bei Bluesky. Und es gibt sogar soziale Netzwerke, die keine Verlinkung von externen Inhalten erlauben: Instagram, Tiktok und Pinterest fallen mir spontan ein.

Können wir hier ein für alle Mal festhalten, dass das eine egoistische Strategie ist, die dem Grundprinzip des Internets zuwiderläuft?

Für die, die dieses Grundprinzip gerade nicht präsent haben sollten, gäll, Elon, erkläre ich gerne, dass es darum geht, Inhalte zu verknüpfen. Keine Website ist eine Insel. Die Querverweise tragen dazu bei, dass das Netz mehr ist, als die Summe seiner Teile. Es macht erstaunliche Zusammenhänge klar und erlaubt es uns, ein riesiges Universum des Wissens nach Lust und Laune zu durchstreifen.

Die Folgen werden deutlich sichtbar

Die Folge dieser Ignoranz zeigt sich im Netz: Viele Menschen sind dazu übergegangen, ihre Inhalte nicht mehr zu verlinken, sondern auf den jeweiligen Plattformen zu veröffentlichen. Marko Ković etwa veröffentlicht seine scharfsinnigen Analysen von gesellschaftlichen und sozialmedialen Phänomenen direkt auf den jeweiligen Plattformen, auf Twitter meist als Thread. Ein Beispiel ist diese Abhandlung zu Richard David Precht.

Die Nachteile liegen auf der Hand:

  • In den sozialen Medien verschwinden Inhalte so schnell, wie sie gekommen sind. Twitter taugt nicht als historisches Archiv.
  • Die Inhalte sind als Thread schlecht zu lesen, auch wenn es Gegenmittel gibt.
  • Wer seine ganzen Inhalte zu Twitter, Facebook und Linkedin trägt, setzt sich erstens einem oft unfreundlichen Umfeld.
  • Und er stärkt zweitens diese Plattformen und schwächt das freie, unabhängige Netz.

Deswegen ist und bleibt das Blog hier mein Hauptmedium: als Zeichen gegen die Plattformisierung des Internets. Die Frage bleibt, ob es eine Möglichkeit gibt, die beiden Dinge zu verbinden.

Und ja, es gibt solche Methoden. Ich bespreche sie und ihre Vor- und Nachteile im Beitrag Guerilla-Taktiken für Hyperlink-Fans.

Fussnoten

1) Das Diagramm wurde von einem Mann veröffentlicht, der keine offensichtliche Verbindung zu Twitter hat. Da aus dem Tweet nicht ersichtlich ist, auf welchen Daten es beruht, würde ich mich nicht darauf beziehen, weil es einer Quellenkritik nicht standhält. Doch der Retweet von Musk darf als Validierung betrachtet werden.

Beitragsbild: Eine Einstellung, die nicht einmal auf dem Mars okay wäre (Tumisu, Pixabay-Lizenz).

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