Mir ist etwas Verblüffendes aufgefallen. Die Erkenntnis hat mit den sozialen Medien, mit Twitter und Facebook zu tun – und mit Mastodon. Sie ist nicht neu, ganz im Gegenteil. Aber erstaunlich war die Deutlichkeit, mit der das Phänomen an den Tag getreten ist.
Also konkret: Seit Jahren veröffentliche ich meine Blogbeiträge bei Twitter und Facebook: Die Resonanz in den sozialen Medien ist oft bescheiden bis null. Es gibt viele dieser Postings, die ohne Reaktion bleiben. Das führte bei mir auch schon zum Nachdenken und zu Anflügen von Selbstzweifeln: Blogge ich derart an den Interessen meiner Freundinnen und Freunde vorbei?
Auf Mastodon tut sich was!
Seit ein paar Wochen landen meine Blogposts auch auf Mastodon (siehe Mit dem Blog ins Fediversum). Das erstaunliche ist nun, dass es dort immer Rückmeldungen gibt: Manchmal ein paar Likes, gelegentlich Retweets Boosts und immer mal wieder Antworten. Das ist schön: Und es wirft die Frage auf, ob die Nutzerschaft von Mastodon interessierter und engagierter ist.
Denn es kommt ein Faktor hinzu: Ich habe auf Twitter etwa zehnmal so viele Follower wie auf Mastodon, und auch auf Facebook gibt es viel mehr Freunde. Das verstärkt das Ungleichgewicht noch – und zwar massiv.
Der Grund liegt woanders, nämlich bei den Algorithmen. Mastodon zeigt eine chronologische Zeitleiste, doch Facebook und Twitter führen eine Gewichtung durch. Wir wissen, dass Linkposts bei Facebook seit Längerem abgestraft werden. 2017 hat Facebook am Algorithmus geschraubt, was damals als auch als «Facebook-Apokalypse» gehandelt worden ist: Die Reichweite für Medienunternehmen ist massiv eingebrochen.
Die Plattformen versus das freie Netz
Das war kein Zufall, sondern gewollt: Die Medienhäuser sollten ihre Beiträge sponsoren, um an ihr Publikum zu kommen. (Ich habe das auch einmal ausprobiert, mit inexistentem Erfolg.) Ausserdem gab es damals auch die Intant Articles: Medienhäuser sollten ihre Beiträge direkt bei Facebook veröffentlichen, statt die Nutzerinnen und Nutzer auf die eigenen Websites zu lotsen.
Facebook tut seit jeher alles, um die Leute auf der eigenen Plattform zu halten. Links auf externe Inhalte werden als kontraproduktiv eingestuft: Sie könnten die Nutzerinnen und Nutzer dazu bringen, sich ins Netz zu begeben, statt noch mehr Zeit auf Facebook zu verbringen.
Diese Mechanismen sind bekannt. Doch bisher war es schwer, sie zu quantifizieren. Denn Twitter tut offensichtlich dasselbe: In der algorithmisch sortierten Zeitleiste werden Linkposts tendenziell nach unten sortiert¹.
Wir könnten auch von einer Art Shadow Ban sprechen: Diese Bezeichnung wird normalerweise verwendet, wenn einzelne Leute in ihrer Reichweite gedrosselt werden. Man kann sie aber auch auf Inhaltstypen anwenden, weil der Effekt der gleiche ist: Die Methode ist subtiler, als wenn Personen gesperrt oder Inhalte verboten werden. Dennoch verlieren sie an Bedeutung.
Der Effekt ist stark – und das nervt
Und eben: Wie stark dieser Effekt ist, zeigt Mastodon. Darum hat mich diese altbekannte Tatsache in den letzten Zeit zunehmend geärgert. Die sozialen Medien behindern ihre direkte Konkurrenz – nämlich die klassischen Medien, zu denen ich auch die Blogs zähle –, indem sie sie per Algorithmus zu Nutzern zweiter Klasse erklären.
Klar, es gibt auch Einwände: Nämlich, dass die Betreiber dieser Netzwerke frei darin sind zu entscheiden, was sie fördern und was sie behindern – und dass in einer algorithmisch sortierten Zeitleiste es neben den Gewinnern auch Verlierer geben muss. Stärker ins Gewicht fällt für mich allerdings das Argument, dass es in der Tat langweilig wird, wenn alle die sozialen Medien bloss dazu verwenden, um ihre eigenen Blogs, Youtube-Kanäle oder was auch immer zu promoten. Dessen bin ich mir bewusst – weswegen ich auf Mastodon meine Verweise aufs Blog mit dem Hashtag #clickomaniablog versehe, sodass sie jeder stummschalten kann, der sie nicht sehen will.
Der Einwände zum Trotz komme ich zum Schluss, dass Elon Musk ein Heuchler ist: Die Redefreiheit, die ihm angeblich so wichtig ist², umfasst auch Blogposts und Medienbeiträge. Genauer gesagt: Die sind sogar von zentraler Bedeutung – und in aller Regel auch besser durchdacht und begründet als ein hingerotzter Tweet. Wenn uns an einer sachlichen und differenzierten Diskussion gelegen ist, sollten solche Posts hochgestuft werden. Und die sozialen Medien sollten jeden belohnen, der ein eigenes Blog betreibt und das Netz bereichert – auch wenn das auch ein kleiner Konkurrent für sie ist.
Fussnoten
1) Darauf deutet auch eine kurze Analyse der Zahlen, die Twitter zu den «Aktivitäten» ausweist, hin: Eine Stichprobe zeigt, dass oft selbst banale Wortmeldungen zwei-, dreimal so viel Views haben wie ein Linkpost, der meiner Einschätzung nach eigentlich interessieren könnte. ↩
2) Die politische Dimension – nämlich die Tatsache, dass Musk die Redefreiheit von Rechtsaussen-Twitterern viel toller findet als die von gemässigten Stimmen, ist hier noch nicht einmal eingepreist. ↩
Beitragsbild: Seine Vorstellung von Meinungsfreiheit ist genauso verzerrt wie dieses Bild hier (Iván Jesus Rojas, Pixabay-Lizenz).