Mein Eindruck ist, dass die grossen Plattformen in den letzten Jahren immer grösser geworden sind und die Verlierer das unabhängige Web ist: Die kleinen Blogs und die mittelgrossen News-Plattformen haben verloren – also jene Anbieter, die keinen der ganz grossen Tech-Konzerne im Rücken haben. Gewachsen sind die «Gravitätszentren» im Netz: Google, Meta, Tiktok – und vielleicht einige Porno-Sites.
Aber stimmt diese Vermutung? Ich habe versucht, dazu verlässliche Daten aufzutreiben. Das ist mir nicht gelungen – aber ich blogge trotzdem darüber: Denn vielleicht habt ihr, geschätzte Leserinnen und Leser, eine Idee, wie man diese Vermutung erhärten, widerlegen oder relativieren könnte. Mir scheint das wichtig, damit wir uns überhaupt eine akkurate Vorstellung des Webs machen können.
Also, ich erkläre euch, was ich probiert habe:
Das globale Netz ist eintönig

Als Erstes habe ich nach Statistiken gesucht, die den prozentualen Anteil der unabhängigen, kleinen Websites am globalen Web-Traffic zeigen. Was wir bei einer solchen Recherche finden, sind Ranglisten der populärsten Sites, die typischerweise von Google, Youtube, Facebook, Instagram und Twitter dominiert werden. Diese Statistik hier zeigt Google und Youtube auf Platz eins und zwei, mit 88,4 bzw. 74,8 Milliarden Visits im November 2022. Platz drei ist Facebook abgeschlagen mit 10,7 Milliarden. Diese Statistik scheint einigermassen verlässlich zu sein, zumal Pornhub mit 10,2 Milliarden gleich auf Platz vier folgt – geschönte Statistiken erkennt man daran, dass die Porno-Websites irgendwie untergegangen oder weggerechnet worden sind.
An dieser Stelle können wir festhalten, dass die Dominanz der grossen Anbieter beträchtlich ist. Allerdings ist das global gesehen auch nicht anders zu erwarten. Da es diesen Top-Irgendwas-Listen an Tiefe mangelt, sehen wir zu wenige Plätze, als dass wir Aussagen über das unabhängige Web zu treffen könnten, zumal sich das auch durch grosse regionale Unterschiede auszeichnet.
Wenn die Listen länger wären, könnten wir ausrechnen, wie viele kleine Websites es braucht, um gleichviel Traffic zu generieren, wie die grossen. Wenn diese Zahl über die Zeit zugenommen hat, wäre das ein starker Beleg für unsere These.
Einen Tatebstand können wir indes festhalten: Die Grossen sind in den letzten Jahren überproportional gewachsen – Google plus 52,9 Prozent, Twitter plus 67,1 Prozent, Youtube plus 42,3 Prozent, Wikipedia plus 30,3 Prozent und Instagram plus 89,1 Prozent zwischen Juni 2019 und November 2020. Das zeigt der Abschnitt «Reaching New Heights» von «Visual Capitalist» in der Übersicht der fünfzig meistbesuchten Websites der Welt.
Der Teufel scheisst auf den grössten Haufen
Doch wir wollen es genauer wissen. Da helfen uns vielleicht die Top Website Statistics for 2023 von «Forbes» weiter. Hier heisst es:
21 Prozent der Unternehmer haben mit geringem Website-Traffic zu kämpfen, was eine grosse Herausforderung für ihre Online-Präsenz darstellt.
Das ist ein schwacher Beleg für unsere These und passt dazu, dass Google nicht die Resultate zuvorderst anzeigt, die am besten zu einer Suche passen, sondern die einen hohen Pagerank haben – also gut verlinkt sind und daher als wichtig erachtet werden.
Dieser Mechanismus hilft tendenziell den Starken und benachteiligt neue und kleine Anbieter – denn wer einen niedrigen Pagerank hat, wird nicht gefunden und ist nicht in der Lage, seinen Pagerank zu steigern. Allerdings funktioniert Google seit den Anfangszeiten so – diese Benachteiligung hat schon immer existiert. Man kann sich aber fragen, ob die Benachteiligung über die Jahre grösser geworden ist, weil in der Pionierphase des Webs noch mehr im Fluss war und sich die Kräfteverhältnisse danach immer mehr verfestigt haben.
Nebenbei können wir uns fragen, ob Googles Pagerank in KI-Zeite noch eine Berechtigung hat. Ich bin diesem Gedanken im Beitrag Wie wärs mit einem völlig neuen Google? nachgegangen.
Die Datenlage ist mehr als prekär
An dieser Stelle drängt sich vor allem eine Erkenntnis auf: Dass die Zahlen, die wir hier vorgesetzt bekommen, mehr als schwammig sind: Beispielsweise macht die erwähnte «Forbes»-Statistiken keinen erhärteten Eindruck. Was ist «ein geringer Webtraffic» konkret? Wir müssen festhalten, dass fürs Internet keine globalen Einschaltquoten erhoben werden. Das lege ich hier dar, einerseits die Streamingdienste im Besonderen, andererseits fürs Web im Allgemeinen.
Darum habe ich mir einen zweiten Ansatz überlegt: Wie wäre es, wenn wir beim einzelnen Surfer, bei der Surferin ansetzen würden? Wie verbringen Menschen im Netz im Schnitt ihre Zeit? Wie viele Websites steuern sie im Schnitt an? Und wie wichtig sind die Platzhirsche an diesem persönlichen Medienmix?
Bei diesen Recherchen bin ich auf die Zahl gestossen, wonach «Internetnutzer in den USA im Durchschnitt über 130 Webseiten pro Tag» besuchen würden. Klingt eindrücklich, aber wenn wir nach der Quelle suchen, gelangen wir zu einem Blogpost von 2007, bei dem der Autor angibt, er habe diese Zahl «von jemandem erfahren, dem ich vertraue und der sicherlich Zugang zu dieser Art von Daten hat».
Der Surfer, das unbekannte Wesen
Ein weiterer Kommentar ist überflüssig. Es scheint diese Art von Daten nicht zu geben. Auch ChatGPT laviert sich um eine Antwort herum: «Insgesamt ist es aufgrund zahlreicher Faktoren schwierig, die genaue durchschnittliche Anzahl der von einem Internetnutzer in einer Woche besuchten Websites zu ermitteln.»
Bleibt ein letzter Versuch: Meine eigene Website. Die ist bei den Besucherzahlen über die Jahre einigermassen stabil. Das ist erfreulich, auch wenn nichts von dem Wachstum zu sehen ist, das einige der «Gravitätszentren» verzeichnen können.
Aber mein Resultat steht und fällt mit Google. Der Anteil der Surfer, die (so weit sich das anhand er Statistik von Jetpack sagen lässt) kleine, unabhängige Blogs als fester Teil ihres Medienmixes sehen, ist leider verschwindend gering. Und das ist ein Beleg für meine These: Denn je besser die grossen Plattformen mit ihren Algorithmen es schaffen, die Verweildauer zu erhöhen, desto weniger Aufmerksamkeit bleibt für den Rest des Netzes übrig – die Unabhängigen.
Beitragsbild: Google und Co. sind wie schwarze Löcher: Wer einmal drin ist, kommt nicht mehr raus (Placidplace, Pixabay-Lizenz).
Dein letzter Satz trifft es perfekt. Bei den Jugendlichen in meinem Umfeld beobachte ich das auch: Die Online-Zeit wird fast ausschliesslich auf den grossen Plattformen verbracht. Facebook weniger, meist Instagram und bei den jüngeren Tiktok. Ein Klick auf einen externen Link in einer solchen App führt zu einem „Medienbruch“ und ist nicht erwünscht. Zumindest Tiktok versucht durch einen integrierten Browser, die Benutzer nicht zu weit weg gehen zu lassen.
Allerdings steht die Vermutung im Raum, dass 80 % der Internet-Inhalte Schrott seien. Dem Schrott, aus dem dann ChatGPT seinen Inhalt fischt.