Das Problem mit den Internet-Einschaltquoten

Endlich, eine Statistik, die auf­zeigt, wie beliebt Netflix, Amazon Prime Video, Disney+, Sky und Swisscom in der Schweiz sind! Leider stellt sich wie immer bei Statis­tiken zum Inter­net die Frage: Wie ver­läss­lich sind die Zahlen?

Bei Justwatch arbeitet eine Mediendame namens Christina S., der ich so wichtig bin, dass sie gestern Donnerstag persönlich nachhakte, weil ich ihre E-Mail-Mitteilung vom Dienstag noch nicht verdankt hatte. Das sei hiermit öffentlich nachgeholt: Vielen Dank, Christina, für dein Mail zu den «SVOD market shares in Q1 2022».

Nicht nur das: Ich greife die Meldung gern auf, weil sie im Kern interessant ist, darüber hinaus aber einige Fragen aufwirft – die mir Christina vielleicht mit einem Kommentar beantworten wird.

Also, es geht um die Marktanteile im Markt für Videostreaming (SVOD) in der Schweiz: Nach dieser Analyse hat Netflix seinen Anteil um zwei Prozent auf 35 Prozent erhöht. Prime Video von Amazon folgt an zweiter Stelle mit einem Wachstum von einem Prozent im ersten Quartal 2022. Der einzige Anbieter, der einen Verlust hinnehmen musste, ist die Swisscom. Die anderen Anbieter konnten ihre Marktanteile halten.

Marktanteile in der Schweiz: Primus ist Netflix mit 35 Prozent, Disney+ auf Platz zwei mit 23 Prozent, Amazon mit Prime Video steht mit zwanzig Prozent auf Platz drei, danach kommen Sky mit neun und die Swisscom mit drei Prozent. Die anderen haben zehn Prozent.

Klugscheisserische Zwischenfrage: Wenn Netflix zwei Prozent dazugewinnt, die Swisscom ein Prozent verliert und alle anderen gleich bleiben – woher ist dann das zweite Prozent Zugewinn bei Netflix gekommen?

Ein Rundungsfehler?

Naja, vielleicht war es ein Rundungsfehler. Interessanter und wichtiger erscheint mir die Frage, wie diese Daten erhoben werden. Die Streaminganbieter selbst werden sich kaum in die Karten blicken lassen. Um verlässliche Daten zu erheben, müsste man entweder die Datenströme bei grossen Internet-Providern analysieren oder aber auf Smart-TVs tracken, welche Streaming-App wie lang in Betrieb ist.

In dem Zusammenhang würde mich auch interessieren, was genau verglichen wird: die Dauer der Nutzung oder aber die Anzahl der Abos? Ersteres wäre viel aufschlussreicher als letzteres. Ich hatte beispielsweise einmal ein Probeabo bei Sky, das aber kaum genutzt, weil mich just in der Zeit eine Serie auf Netflix in Beschlag genommen hat.

Ich vermute, dass die Sache viel banaler ist: Justwatch ist bekanntlich eine Plattform, bei der man sich ein Nutzerkonto anlegen und über mehrere Streaminganbieter hinweg nach seinen Lieblings-Inhalten suchen kann. Ich habe ihn erst vor zwei Wochen in meinen drei Tipps für Netflix-Müde erwähnt. In seinem Konto wählt man die Streamingdienste aus, die man überwachen will.

Hier wählt man aus, welche Anbieter man nutzt. Ist das die Grundlage für die Berechnung der Marktanteile?

Nun könnte es sein, dass Justwatch hingegangen ist, und ausgewertet hat, welche Dienste die Schweizer Nutzer ausgewählt haben.

Daraus liesse sich so etwas wie einen Marktanteil berechnen. Allerdings wäre die Aussagekraft gleich null: Viele Nutzer aktivieren nicht nur die Dienste, die sie abonniert haben, sondern auch diejenigen, die potenziell interessant sein könnten. Denn wenn man sieht, dass Prime Video ein paar vielversprechende Serien im Angebot hat, dann würde man sich dafür entscheiden, das Netflix-Abo zugunsten von Amazon zu pausieren. Das ist schliesslich der Sinn und Zweck des «subscription hoppings».

Der feuchte Finger in der Morgenluft?

Es ist eine Binsenwahrheit, aber es wäre unerlässlich, die Methodologie anzugeben, wenn man solche Zahlen veröffentlicht. Doch das ist leider fast nie der Fall. Diese Marktanalysten lassen sich kaum je in die Karten blicken. Und häufig habe ich den leisen Verdacht, dass die auch nicht viel mehr tun, als den feuchten Finger in die Luft zu strecken.

Damit sind wir beim Dilemma, in dem ich als Journalist stecke: Soll man solche Zahlen verwenden, oder nicht? Ich hatte ein ähnliches Problem neulich, als ich die Dominanz des Chrome-Browsers analysiert habe.

Denn auch hier stellt sich die Frage: Kann man die Browser-Nutzung überhaupt verlässlich ermitteln? Und wenn ja, mit welcher Methode?

Klar, die Statistik meiner Website hält eine Grafik mit einer entsprechenden Aufschlüsselung bereit. Nur ist meine Website bedauerlicherweise nicht repräsentativ für die Allgemeinheit.

Für eine aussagekräftige, universelle Angabe müsste man die Daten zwar nicht unbedingt für den gesamten globalen Webzugriff, aber doch für einen signifikanten Anteil kennen. Wer könnte diese Daten liefern? Google oder Facebook?

Eine verlässliche Internet-Hitparade gibt es nicht

Erinnern wir uns an alexa.com – inklusive einer Schweigeminute, da der Dienst anfangs Monat abgeschaltet wurde. Während 26 Jahren hat Alexa Internet mittels «Alexa Rank» eine Art Rangliste fürs Internet geliefert. Die wurde mit einer Symbolleiste für den Internet Explorer erhoben, später über ein Browser-Plugin und noch später offenbar über Scripts, die Betreiber auf ihren Websites platziert hat. Das Protokollieren der Zugriffe via Symbolleiste ist natürlich problematisch, auch wenn sie anonymisiert erfolgt, weswegen manche Alexa als Spyware bezeichnet haben.

Alexa.com verabschiedet sich in die Pension.

Dementsprechend gehen der Niedergang von Alexa und des Internet Explorers Hand in Hand. Beim Internet Explorer war es vergleichsweise leicht, den Nutzern eine Symbolleiste wie die von Datensammler Alexa unterzujubeln. Diese Möglichkeit gibt es bei Chrome, Firefox und Safari nicht, weswegen die Einstellung von Alexa.com unvermeidlich war – auch wenn es natürlich Unternehmen gibt, die von sich behaupten, in die Lücke springen zu können.

Es liegt in der Natur der Sache, dass die Anbieter selbst sich nicht mit ihren Konkurrenten vergleichen lassen wollen. Darum geben sie selbst keine Daten heraus, sodass Statistiken, Ranglisten und Vergleiche nur auf Umwegen erhoben werden können. Wie bei Meinungsumfragen sind solche Erhebungen mit einem Fehleranteil behaftet. Wie gross der ist, kann man nur erahnen. Aber meine Vermutung ist, dass er umso höher liegt, je weniger ein Analyst über seine Methode sprechen will.

Daten nicht verwenden oder kritisch einordnen

Zurück zur Frage, wie man als Journalist damit umgeht. Was mich angeht, schaue ich auf die Quelle. Wenn das ein renommierter Marktforscher ist, bin ich eher gewillt, den Zahlen zu glauben. Die leben weniger von den Medien als vielmehr von den Unternehmen, die ihnen ihre Analysen und Prognosen teuer bezahlen sollen – was sie auf Dauer aber nur dann tun, wenn die Zahlen nicht völlig an den Haaren herbeigezogen sind.

Ich versuche natürlich, mehrere Quellen zu finden. Das war bei den Browsern möglich, wo ich bei Netmarketshare und Statcounter nachsehen konnte: Da sieht man zwar signifikante Unterschiede, aber doch eine eindeutige Tendenz. Überdies verleihe ich meinen Vorbehalten Ausdruck, wann immer es die verfügbare Zeichenzahl für den Artikel zulässt.

Beitragsbild: Die Seite links könnte vollbesetzt sein (Tyler Callahan, Unsplash-Lizenz).

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