Vom Niedergang der Computer-Berichterstattung

Warum sich die deutsch­spra­chi­gen Tech-Medien selbst über­flüs­sig machen? Weil sie einen in die Click­baiting-Hölle schicken, nach Reste­rampe riechen und unter akutem Native-Adver­ti­sing-Verdacht stehen.

Neulich habe ich erzählt, wie es dazu kam, dass ich an Computern einen Narren gefressen habe. Dabei ist mir eingefallen, dass der Mann, der in der Hypobank Winterthur fürs Management EDV-Projekts zuständig war, mich mit einer besonderen Form der Lektüre bekannt gemacht hat: den Computerzeitschriften. Die haben sich anfangs der 1990er-Jahre an den Kiosken breitgemacht und waren – vermutlich nicht zufällig – oft in der Nähe der Herrenmagazine zu finden.

Ich habe mich von seiner Leidenschaft anstecken lassen:  Um die 15 Jahre lang waren diese Zeitschriften ein unverzichtbarer Bestandteil meines persönlichen Medienmixes. Ich hatte nie ein Abo, sondern gehörte zu den Durchblätterern. Das ist jene Kundschaft, die von den Kioskbetreibern nicht gern gesehen wird. Aber meistens fand ich ein Heft, das genügend interessante Themen hatte, um mich zum Kauf zu verleiten.

Tempi passati. Es ist schon ewig her, dass ich eine Computerzeitschrift gekauft habe. Und daran ist noch nicht einmal nur das Internet schuld. Zwar gibt es dort mehr Informationen, als sich je in ein Magazin drucken liessen. Dennoch halte ich die klassische Darreichungsform nicht für obsolet: Erstens hält sich meine Begeisterung für Tech-Youtuber und -Tiktoker in Grenzen. Zweitens spricht mich eine sorgfältige, journalistische Aufbereitung nach wie vor an. Und drittens mag ich Publikationen wie Zeitungen und Zeitschriften, weil die in sich abgeschlossene Werke mit einer inneren Logik sind – was einen beruhigenden Unterschied zum Internet macht, bei dem man beim Scrollen niemals am Ende ankommt.

Die Computermagazine haben das Internet verschlafen

Wenn ich so über diese Sache nachdenke, dann komme ich leider zum Schluss, dass es ausgerechnet die Computermagazine sind, die den Medienwandel besonders schlecht gemeistert haben¹. Der erste Grund, weswegen mir den Spass nachhaltig vergangen ist, ist allerdings nicht auf das Genre der Tech-Hefte beschränkt: Das ist die Abzockerei der deutschen Verlage an Schweizer Kiosken. Dass Zeitschriften hierzulande doppelt so viel kosten wie in Deutschland, habe ich hier und hier kritisiert. Genützt hat es nichts.

Dagegen wollte der Preis­über­wacher vorgehen: Eine Zeitschrift («Mac & i»), die in Deutschland 12,90 Euro und in der Schweiz 21.90 Franken kostet – leider ist anscheinend nichts daraus geworden.

Eine Zeitlang bin ich deswegen auf die elektronische Variante ausgewichen. Das war auch keine reine Freude, denn nebst technischen Mängeln lässt sich das Problem nicht wegdiskutieren, dass sich Zeitschriften nicht gut auf die iPad-Grösse schrumpfen lassen und am Tablet kein optimales Lesevergnügen bieten.

Lieblos hingerotzter Webmüll

Der eigentliche Grund ist aber ein dritter: Es sind die schrottigen Websites. Es ist dieser lieblos hingerotzte Webmüll, der in meiner Wahrnehmung auch die Print-Erzeugnisse nachhaltig beschädigt. Das lässt sich meiner Überzeugung nach auch gar nicht trennen: Eine Redaktion, die über die digitale Revolution berichtet und mit ihrem Online-Auftritt eine abgrundtiefe Verachtung für Internetnutzerinnen und Nutzer demonstriert, die ist nicht mehr glaubwürdig. Das Gegenteil sollte der Fall sein: Die Kompetenz in digitalen Belangen muss auf Tech-Websites durch souveräne Beherrschung des Mediums Internet spürbar sein.

Aber schauen wir uns das an vier Beispielen an:

1) Chip.de

Das Paradebeispiel für das Online-Versagen ist das renommierte Magazin «Chip», das es seit 1978 (!) gibt. Das Portal chip.de ist eine Clickbaiting-Hölle, die keinerlei Bezug zur qualitativ hochwertigen Berichterstattung der Zeitschrift hat.

Auf Chip.de gibt es alles – bloss nichts, was man als Fan des «Chip»-Magazins würde lesen wollen.

Exemplarisch für diesen Befund soll der sogenannte Newsticker dienen, in der naive Menschen wie ich Meldungen zu relevanten Ereignissen aus der Tech-Welt erwarten würden. Stattdessen lesen wir hier am Stichtag (21. April 2023):

  1. An jedem Strassenpfosten: Was die blauen Reflektoren bedeuten
  2. Vodafone-Tarif mit 10 GByte für 7,99 Euro: Jetzt Gutschein als Bonus sichern
  3. Elektrokettensäge bei Aldi: Alternative zu Benzin-Modellen
  4. Für Kartenzahlungen Amazon-Gutscheine sichern – diese Bank macht’s möglich
  5. 45 Notebooks im «Chip»-Test: Das sind unsere Testsieger und Preistipps
  6. Vorsicht: Auf welchen Strassen das Rückwärtsfahren verboten ist
  7. Energie smart gespart: Das grosse «Chip»-Special als PDF zum gratis Download
  8. Anzeige; HP-Spartipps – 8 Tipps für günstige Laptops, Drucker und Zubehör

Hier finden sich zwei Eigenwerbungen (Notebooks im «Chip»-Test und das «Chip»-Energiespar-Special) und zweimal sinnloser Content-Syndizierungs-Müll (blaue Reflektoren und verbotenes Rückwärtsfahren).

Der ganze Rest sind Beiträge, die unter starkem Native Advertising-Verdacht stehen: Sowohl der Vodafone-Tarif als auch die Aldi-Elektrokettensägen, die Amazon-Gutscheine und die HP-Spartipps dürften nicht allein als redaktionelle Leistung entstanden sein, sondern dem Verlag in irgendeiner Form Provisionen oder Werbeerträge einbringen.

Was die rein journalistischen Beiträge angeht, zähen wir: genau null zwei².

Im Ticker auf der Startseite wird dieser Beitrag als «Anzeige» ausgewiesen. Im Beitrag selbst ist davon nichts zu sehen.

Schauen wir uns den achten Beitrag an, «HP-Spartipps – 8 Tipps für günstige Laptops, Drucker und Zubehör». Er ist in diesem Newsticker immerhin als «Anzeige» ausgewiesen. Im Beitrag selbst findet sich keinerlei entsprechende Markierung, weder als «Anzeige», noch als «Sponsored Content», «Advertorial» oder «Native Advertising». Der Beitrag ist als normaler Artikel aufgemacht und hat eine Autorenzeile (Christin Lensing). Nur eine Zeile zuoberst deutet auf den Charakter des Beitrags hin: «Falls Sie Angebote dieser Seite nutzen, erhalten wir evtl. eine Provision.» Und wenn wir Christin Lensing googeln, erfahren wir, dass sie bei Burda nicht als Journalistin angestellt ist, sondern als «Junior Content Marketing Manager».

Ich halte das für unredlich. Und ja, ich verwende hier auch ab und zu Amazon-Affiliate-Links, die mir eine Provision einbringen würden, wenn sie denn angeklickt würden. Ich befinde mich damit in einem Graubereich, den ich nur rechtfertigen kann, weil ich hier im Blog über meine Erfahrungen damit berichte.

Aber nach meinem journalistischen Verständnis ist das, was «Chip» hier macht, kein Graubereich mehr, sondern voll im unethischen Territorium. Und da habe ich die Machenschaften rund um den fragwürdigen «Chip-Installer» (siehe Die alte Software-Masche feiert fröhliche Urständ) noch nicht einmal mitberücksichtigt.

Fazit: So zerstört man seine Glaubwürdigkeit und sich selbst überflüssig.

Pcwelt.de

Die «PC Welt» war ebenfalls einer meiner Lieblinge. Es gibt auch hier Clickbaiting («Das sind die zehn gefährlichsten Telefonnummern») und Native Advertising – und auch hier begegnet uns ein «Vodafone-Deal». Lustigerweise gibt es hier 15 GB für nur 9,99 Euro statt 31,99 Euro, während wir uns bei «Chip» mit zehn GB für 7,99 Euro begnügen mussten.

Ist das noch Journalismus oder doch eher Werbung?

Dieser «PC-Welt»-Artikel zum Vodafone-«Deal» strotzt nur so von Werbefloskeln («Hier sollte man zuschlagen», «Diesen Tarifknaller erhalten Sie aktuell ausschliesslich beim Anbieter»). Über dem Artikel gibt es lediglich folgenden Hinweis:

Wenn Sie über Links in unseren Artikeln einkaufen, erhalten wir eine kleine Provision. Das hat weder Einfluss auf unsere redaktionelle Unabhängigkeit noch auf den Kaufpreis.

Diese Präambel steht allerdings über allen Artikeln, sodass er sich wohl nicht spezifisch auf diesen Text bezieht. Das heisst, dass er nicht als redaktionelle Werbung läuft, sondern als ganz normaler, sprich, journalistischer Beitrag.

Damit verkommt das Statement am Anfang und das Bekenntnis, die Affiliate-Links hätten keinen «Einfluss auf unsere redaktionelle Unabhängigkeit», zur hohlen Phrase. Mir drängt sich der Eindruck auf, dass dieser Artikel nur wegen der Provision geschrieben wurde, die der Verlag für die vermittelten Handy-Abos bekommt.

Dabei ginge es auch anders: Natürlich bedienen Hinweis auf besonders attraktive Mobilfunkangebote ein Leserinteresse und haben einen informativen Wert. Aber sie müssen mit journalistischer Distanz und in nüchternem Ton erfolgen; und sinnvollerweise fokussieren sich solche Artikel nicht auf einen einzigen Anbieter, sondern geben einen Marktüberblick.

Was das Angebot von «PC-Welt» angeht, gibt es viel Oberflächliches und auch einige interessante Beiträge, aber nichts, was den Erwartungen, die ich an die Zeitschrift habe, gerecht werden würde.

Apropos: Wie bei «Chip» ist das gleichnamige Magazin auf der Website nicht präsent; es gibt keine Artikel aus der Zeitschrift, die man (mit oder ohne Abo) online lesen könnte. Lediglich ein winziger Link verweist auf den «Heft-Shop».

Es mag sein, dass diese fast komplette Trennung zwischen Online-Auftritt und gedrucktem Magazin historisch zu erklären ist: Bei der Tamedia, meinem Arbeitgeber, wurden Print und Online ursprünglich ebenfalls durch getrennte Redaktionen bespielt. Das ist aber seit zehn Jahren nicht mehr der Fall. Schon vor zehn Jahren hat die Erkenntnis gegriffen, dass es der Leserschaft nicht vermittelbar ist, wenn unter dem gleichen Namen online und gedruckt andere Inhalte erscheinen, die sich sowohl in der Tonalität als auch beim Qualitätsanspruch diametral unterscheiden.

Es liegt auf der Hand, dass es einen einheitlichen und konsistenten Auftritt braucht. Unter dem Schlagwort der Konvergenz wurden die Redaktionen zusammengeführt und der publizistische Output vereinheitlicht. Aus heutiger Sicht war das richtig und wichtig – auch wenn wir heute sehen, dass die formalen Anforderungen der Kanäle unterschiedlich sind.

Was «PC-Welt» und «Chip» angeht, ist von Konvergenz weit und breit nichts zu sehen. Mein Eindruck ist, dass der Zug abgefahren ist – und zwar sowohl fürs Heft als auch für die Website.

Pcmag.com

Das traditionsreiche «PC Magazine» gab es in den USA in gedruckter Form von 1982 bis 2009. Die Website macht ebenfalls einen auf billigen Jakob, mit «Daily Deals» und «Vouchers» an allen Ecken und Enden. Auch hier gibt es die Artikel, die nach Resterampe riechen («Netflix’s Cheapest Plan Just Got a Lot More Appealing»).

Trotzdem sind diese Artikel im Vergleich zu den erwähnten deutschsprachigen Plattformen verkraftbar: Wir brauchen die nützlichen Artikel, die als offensichtlicher Dienst am Leser und an der Leserin gedacht sind, nämlich nicht mit der Lupe zu suchen: Es gibt eine prominente How-To-Rubrik, die den Erwartungen entspricht, und die News-Rubrik ist zwar für meinen Geschmack zu produktlastig, aber brauchbar.

«PC Mag»: Auch hier riecht es nach Rabatten und Resterampe – aber es gibt auch viel Nützliches.

Heise.de

Der Heise-Verlag, aus dem die Zeitschrift c’t stammt, beweist, dass es auch ohne Vereinnahmung durch die Werbebranche geht. heise.de ist denn auch nach wie vor eine wichtige Informationsquelle für mich, die ich als glaubwürdig, kompetent und informativ wahrnehme.

Es gibt ein digitales Abo namens «Heise Plus», das entweder für 12,95 Euro pro Monat oder für 119,40 Euro pro Jahr Zugang hinter die Paywall. Das ist eine Strategie, die mir einleuchtet und die anscheinend auch für den Verlag aufgeht. Einziger Kritikpunkt: Ich würde es schätzen, wenn es nicht nur das Monats- oder Jahresabo gäbe, sondern auch die Möglichkeit, Artikel einzeln zu kaufen bzw. freizuschalten.

Pctipp.ch

«PC-Tipp»: Abonnenten können PDFs von Artikeln herunterladen – und das wars dann mit der Konvergenz.

Nebst Heise gibt es ein zweites positives Beispiel. Das ist der PC-Tipp aus der Schweiz: Diese Zeitschrift zieht das Prinzip der Service-orientierten Computerberichterstattung seit 1997 durch. Sie beweist damit, dass der Ursprungsgedanke zwar heute etwas altbacken wirken mag, aber noch immer seine Berechtigung hat.

Davon bin ich auch überzeugt – und darum geniesst der «PC-Tipp» auch weiterhin mein Vertrauen, auch wenn leider bis jetzt keinerlei Anzeichen von Konvergenz zu sehen sind: Die einzige Verbindung zur gedruckten Publikation besteht auf der Website in der Möglichkeit für Abonnenten, das ganze Heft oder einzelne Artikel als PDF herunterzuladen. Artikel online freizuschalten oder in Webform zu lesen, gibt es nicht.

Fussnoten

1) Kurz bevor dieser Beitrag online geht, lese ich, dass eine Fachzeitschrift aus diesem Bereich das Erscheinen einstellt: nämlich der Publisher, für den ich von 1996 bis 2019 geschrieben habe. Das gibt diesem Thema eine bittere Note: Es wirft die Frage auf, ob diese journalistisch höchst fragwürdigen Strategien, die ich hier beschreibe, fürs Überleben notwendig sind oder als unverzichtbar angesehen werden.

2) Die beiden Beiträge, die ich als Eigenwerbung deklariert habe – also der Laptop-Vergleich und das Energiespar-Special zum Download sind zwar auch Werbung fürs Heft. Aber der Informationsgehalt ist so gross, dass der Nutzen für die Leserinnen und Lesern überwiegt und man ihnen einen journalistischen Wert zugestehen muss.

2 Kommentare zu «Vom Niedergang der Computer-Berichterstattung»

  1. Ja, das waren noch Zeiten, als ich mich jeweils auf die neue „PC Praxis“ und „PC Professionell“ gefreut habe. Und auf die „PC Games“ inkl. CD mit Demos und Videos. Danach hatte ich lange Zeit die c’t abonniert und im Büro die iX gelesen.

    Vor einigen Jahren habe ich das c’t-Abo in ein Heise+-Abo umgewandelt. Ich bin sehr zufrieden damit. Klar, die einzelnen Artikel bieten nicht das Erlebnis des Durchblätterns, aber mangels Zeit habe ich ohnehin nur noch die für mich interessanten Artikel gelesen. Bei Heise+ bekommt man meiner Meinung nach sehr viel für sein Geld und der Verlag hat es geschafft, die Redaktionen unabhängig zu belassen. Das ist leider keine Selbstverständlichkeit.

  2. Was mich immer wieder aufs Neue irritiert: Wie die Interessen und Bedürfnisse der Leserschaft überhaupt keine Rolle spielen. Du suchst Excel-Tipps? Hier hast du Aldi-Kettensägen! Besonders krasses Beispiel: Die «com!» wurde von einem Tag auf den andern von einer Zeitschrift für Heimanwender in eine Zeitschrift für Business-IT-Entscheider umfunktioniert. Ich kann’s noch heute nicht fassen.

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