Mozilla begibt sich auf den Holzweg

So gross mein Ver­ständ­nis auch ist, dass die Stif­tung hinter Fire­fox und Thun­der­bird Geld ver­dienen muss: Die Methoden, die sie dazu an­wen­det, erschüt­tern mein Ver­trauen.

Beitragsbild: Mozilla braucht mehr davon (Money von Tony/Flickr.com, CC BY 2.0).

Laura Chambers ist seit Februar die Interims-Chefin bei der Mozilla Corporation. Das ist die eine steuerpflichtige Tochterorganisation der gemeinnützigen Stiftung. Sie soll einen Gewinn machen, mit dem die Mozilla-Projekte finanziert werden.

Anfangs Oktober hat Chambers einen bemerkenswerten Blogpost veröffentlicht. Sie und ihr Unternehmen wollen auf Online-Werbung setzen. Zu diesem Zweck hat Mozilla im Juni das Unternehmen Anonym übernommen, einen «Wegbereiter für datenschutzfreundliche digitale Werbung»:

Durch diese strategische Übernahme kann Mozilla dazu beitragen, die Messlatte für die Werbeindustrie höher zu legen, indem wir die Privatsphäre der Nutzer schützen und gleichzeitig effektive Werbelösungen anbieten.

Man fragt sich: Werbung? Das klingt nach einer wirklich dummen Idee: Die Werbung ist die Domäne des grossen Konkurrenten Google, der mit seinem Chrome-Browser dem Internet den Tarif durchgibt.

Mozilla braucht neue Einnahmequellen

Aber Mozilla hat keine andere Wahl, als sich nach neuen Einnahmequellen umzusehen. In den USA hat ein Gericht die Entscheidung getroffen, Googles Suchmaschine halte eine Monopolstellung inne. Ein Teil des Problems ist die Tatsache, dass Google in vielen Browsern als Standard-Suchmaschine voreingestellt ist. Auch in Firefox. «Fortune» bringt das Problem auf den Punkt:

Von den 593 Millionen Dollar Umsatz [der Stiftung 2021 bis 2022] stammen 510 Millionen Dollar aus den Suchzahlungen von Google.

Sollte Google keine solchen Zahlungen mehr leisten dürfen, sieht es mehr als duster aus. Bis dieser Fall eintritt, dürfte es noch ein paar Jahre dauern, weil Google alles tun wird, um das Urteil in höheren Instanzen umzustossen. Trotzdem wäre es fatal, wenn Mozilla nicht alles tun würde, um sich aus dieser Abhängigkeit zu befreien. Der Vorwurf scheint mir gerechtfertigt, dass es nie so weit hätte kommen dürfen.

Womit könnte Mozilla Geld verdienen? Einige andere Methoden werden bereits erprobt: Abo-Dienste wie das Mozilla VPN (hier besprochen) oder das Firefox Relay (siehe hier). Ich vermute allerdings, dass die nicht das grosse Geld abwerfen – zumindest nicht in der Grössenordnung der 510 Millionen Dollar, die Mozilla ersetzen müsste, um sich von Google zu emanzipieren.

Die Verlockungen des Werbegeschäfts

Aus der finanziellen Perspektive ist die Online-Werbung naheliegend. Mit ihr werden im Netz riesige Umsätze erzielt. Google soll 2024 netto über 189 Milliarden US-Dollar einfahren – bei einem Marktanteil von 27,4 Prozent. Die Hoffnung liegt auf der Hand, für Mozilla könnten ein paar Krümel abfallen.

Firefox Relay ist ein kostenpflichtiger Dienst, mit dem Mozilla Einnahmen generieren möchte.

Das grosse Dilemma ist nun, dass viele Aspekte der Online-Werbung den Werten der Mozilla-Stiftung diametral widersprechen. Sie ist für viele Nutzerinnen und Nutzer der Mozilla-Produkte untrennbar mit exzessivem Tracking und übergriffigen Datensammel-Methoden verbunden. Mozilla hingegen wirbt mit der Privatsphäre und mit einem Gegenmodell zu den Praktiken der grossen Tech-Konzerne wie Alphabet und Meta, die ihre Einnahmen erzeugen, indem sie ihre Nutzerinnen und Nutzer in ihr Produkt verwandeln.

«Die Zukunft des Internets finanzieren»

Laura Chambers ist sich der Vorbehalte in der Community bewusst. Ihr Ausweg besteht darin, dass sie versucht, wie oben zitiert, die Messlatte höher anzusetzen. Laura Chambers versucht, den Nachteil in einen Vorteil zu verwandeln:

Wir glauben fest daran, dass der Aufbau einer besseren Zukunft für Online-Werbung entscheidend für unser Gesamtziel ist, eine bessere Zukunft für das Internet zu schaffen. Ich ziehe eine Welt vor, in der Mozilla an positiven Lösungen für schwierige Probleme beteiligt ist, als eine, in der wir nur von der Seitenlinie aus Kritik üben. Wir werden weiterhin mit anderen zusammenarbeiten, um uns der grossen Frage zu nähern, wie wir mit alternativen Werbeformen die Zukunft des Internets finanzieren können. Doch wir können es uns nicht leisten, die Realität zu ignorieren, in der wir heute leben.

Wenn ich das zuspitzen darf: Mozilla soll ein leuchtendes Beispiel für die ganze Branche sein und vorführen, wie man Online-Werbung auf eine gute, ethisch einwandfreie Weise betreibt.

Kann dieser Plan aufgehen?

Es tut mir leid für Laura Chambers, die ich wahrlich nicht um ihre Aufgabe beneide. Aber ich glaube, dass das ein fataler Holzweg ist.

Es ist leider nicht so, dass irgendjemand in der Branche auf Mozilla als den weissen Ritter in der glänzenden Rüstung gewartet hätte. Natürlich könnte Google das Geschäft auch auf weniger intrusive Weise betreiben – das würde der Konzern, wenn er wollte, garantiert auch ohne Chambers’ Hilfe schaffen.

Doch er tut das Gegenteil: Google versucht mit seinem Browser Chrome, die Geschäftsbedingungen zu den eigenen Gunsten zu verbessern. Stichworte sind die Privacy Sandbox und das Manifest V3. Das heisst: Niemand wird sich von Mozilla belehren lassen. Diese Initiative hier bringt uns der «besseren Zukunft fürs Internet» keinen Millimeter näher.

Mit Google-Methoden gegen Google

Hingegen birgt sie das Risiko, das Vertrauen von Nutzerinnen und Nutzern nachhaltig zu erschüttern. Mir geht es so: Gerade, weil Google via Chrome versucht, die Spielregeln zu den eigenen Gunsten zu verändern, müsste Mozilla umso vehementer dagegenhalten. Stattdessen wird Mozilla selbst zum Datensammler. Denn das neue Unternehmen Anonym hat es nämlich ebenfalls auf Informationen über die User abgesehen. Das wird wiederum mit den besonders hohen Datenschutz-Anforderungen gerechtfertigt. Konkret existiere eine «sichere Umgebung» für die Ausbeute des Trackings:

Datensätze werden in einer hochsicheren Umgebung abgeglichen, um sicherzustellen, dass Werbetreibende, Publisher und Anonym keinen Zugriff auf Daten auf Nutzerebene haben.

Aber liegt die Latte wirklich höher? Google verspricht mir nämlich exakt das gleiche:

Die Privacy-Sandbox-Technologien zielen darauf ab, die derzeitigen Tracking-Mechanismen überflüssig zu machen und verdeckte Verfolgungstechniken wie das Fingerprinting zu blockieren.

Ehrlich: Für mich ist es an dieser Stelle fast unmöglich, Google und Mozilla überhaupt auseinanderzuhalten. Eine Möglichkeit zu überprüfen, wie effektiv der Datenschutz ist, haben wir Nutzerinnen und Nutzer nicht: Einem Werbebanner sieht man nicht an, ob es die Privatsphäre respektiert oder nicht – gleichgültig, von wem es ausgespielt wird. In beiden Fällen müsste ich blind vertrauen. Aber wieso sollte ich? Weil Mozilla in der Vergangenheit verlässlicher war als die gewinnorientierten Tech-Unternehmen?

Nein, messen können wir auch die Mozilla-Stiftung nur an ihren Taten. Darum ist das hier eine denkbar dumme Idee. Denn mit Google-Methoden gegen Google zu kämpfen, überzeugt mich nicht, egal was Laura Chambers in ihrem Blogpost schreibt.

5 Kommentare zu «Mozilla begibt sich auf den Holzweg»

  1. Bin ganz Deiner Meinung! Firefox braucht Geld, aber die einfachste Variante haben sie noch nicht ausprobiert (oder nur so versteckt, dass ich es nicht mitbekommen habe): Sie könnten die User um Geld bitten.

    Vorbild könnte Wikimedia sein, allerdings mit einem etwas weniger dramatischen Spendenaufruf. Einmal im Jahr ein Banner anzeigen und einfache Spendenmöglichkeiten anbieten. Bei Wikimedia scheint das gut zu funktionieren. Auch ich bezahle jedes Jahr, komfortabel per TWINT und auf Wunsch mit Spendenbestätigung für den Abzug bei den Steuern.

    Ob es reicht, um über 500 Millionen Dollar pro Jahr zu generieren, weiss ich nicht, aber es wäre einmal ein Anfang.

    Wenn sie einen Werbedienst einführen, ist die Verlockung gross, dass sie wie Google bei Chrome die Erweiterungen „aus Sicherheitsgründen“ einschränken und davon die Adblocker besonders betroffen sind.

    Man muss sich bewusst sein, dass die Gecko-Engine von Firefox die einzige Browser-Engine ist, hinter der kein Konzern mit kommerziellen Interessen steht! Das freie Internet hängt wesentlich davon ab, dass Firefox einen nennenswerten Marktanteil hat.

    1. Ja, das sollten sie ernsthaft probieren. Ich Thunderbird habe ich ein Banner gesehen, in dem ich zu einer Spende aufgefordert wurde. Aber warum es nicht etwas attraktiver machen? Zum Beispiel, indem Spenderinnen und Spender über künftige Features mitentscheiden dürfen. Für einen echten Splitview in Firefox würde ich ernsthaft was springen lassen. 😉

      1. Eine sehr gute Idee! Man sollte Features vorschlagen können und deren Umsetzung könnten die Spender priorisieren. Vielleicht sogar so wie bei Lokalhelden etc.: Feature „Splitview“ kostet $500’000, $351’743 sind erreicht, Button „jetzt mitfinanzieren“.

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