Google hat es nicht geschafft, Bard das Lügen abzugewöhnen

Am Ende des Jahres ist Google an­ge­schla­gen: Der Versuch, im KI-Rennen auf­zu­schlies­sen, ist gran­dios geschei­tert. Und auch sonst hat es dem Such­ma­schi­nen­kon­zern an fri­schen Ideen ge­fehlt.

Vor einem Jahr habe ich in der Jahresmusterung festgestellt, Google habe stagniert. Keine neuen Produkte, dafür aber umso mehr Bemühen, die Kunden zur Kasse zu bitten: Für ein Speicher-Update, für Youtube Premium, für Google Workspace.

Aber wie lief es heuer, in dem Jahr, in dem Google immerhin seinen 25 Geburtstag feierte?

Die Trends von 2022 setzten sich auch im aktuellen Jahr fort: Google hat insgeheim die Preise für Werbung und für die geschäftlichen Cloud-Nutzer erhöht. Und Google hat auch 2023 wieder diversen Produkten den Stecker gezogen: Google Podcasts, Google Domains, Album Archive und Youtube Stories, um nur einige zu nennen.

Die Google-Gretchenfrage

Die Gretchenfrage für 2023 ist indes die, wie es Google mit der KI hält. Hat der Suchmaschinen-Primus der Revolution etwas entgegenzusetzen? Die Antwort darauf ist ohne Zweifel entscheidend dafür, ob wir unsere (hypothetischen) Google-Aktien halten oder abstossen sollten. Denn Sprachmodelle wie ChatGPT bedrohen Google im Kern: Wenn die uns jene Fragen beantworten, für die wir früher die Suchmaschine bemüht haben, dann bricht das Werbegeschäft zusammen.

Google hat eine Antwort gegeben und am 6. Februar sein eigenes Sprachmodell lanciert. Doch die Premiere war ein Debakel, Bard hat das erste Foto eines Exoplaneten fälschlicherweise dem James-Webb-Teleskop zugeschrieben, was einen massiven Kurssturz der Aktie zur Folge hatte.

Eine falsche Antwort wäre meines Erachtens kein Problem gewesen. Viel schwerer wiegt, dass Bard meiner Erfahrung nach stärker zum Halluzinieren neigt als andere Vertreter seiner Art. Bei meinem ersten Test im Mai hat Bard eine schlechte Falle gemacht: Er war parteiisch, hat einen Spielfilm und mutmasslich auch eine Studie erfunden und konnte ChatGPT im direkten Vergleich nicht standhalten.

Hanebüchener Blödsinn von Bard

Dieses Bild hat sich im Verlauf des Jahres nicht gebessert. Ich habe im September ausgetestet, wie anfällig die Sprachmodelle für Verschwörungstheorien sind. Und auch hier ging die rote Laterne an Bard.

Mitte September hat Google Bard mit den hauseigenen Diensten Gmail, Docs, Drive, Youtube, Flights und Hotels vernetzt. Vor allem aber wurde die «Double Check»-Funktion eingebaut, die eine Überprüfung der Antworten anhand von Suchresultaten ermöglicht. Die ist hilfreich für eine kritische Würdigung der Informationen, die uns Bard liefert. Doch wenn selbst Googles eigener Faktencheck in manchen Antworten die meisten Passagen in Orange als zweifelhaft markiert, dann ist das kein gutes Zeichen.

Die Frage lautete, welche Themen auf dieser Website hier behandelt werden. Die Antwort ist, äxgüsi, totaler Bullshit.

Nun, vielleicht sind das Anlaufschwierigkeiten, die Google in den Griff bekommen wird. Es steht aber ausser Frage, dass es keinen guten Eindruck hinterlässt, wenn ein führender Tech-Konzern derartig strauchelt – zumal es zu Googles Wesen gehört (oder gehörte), bei der Innovation die blutige Kante zu zeigen. Bei meinem Besuchen bei Google ist mir immer das implizite Selbstverständnis begegnet, dass bei der Innovation ihnen kein Start-up und kein Konkurrent das Wasser reichen kann.

Angeschlagenes Selbstvertrauen

Darum würde ich vermuten, dass am Ende des Jahres 2023 das Selbstvertrauen angeschlagen ist. Nicht nur gegenüber ChatGPT hat man sich Blössen gegeben. Schon gar nichts entgegenzusetzen hatte man den hektischen, fast fiebrigen KI-Aktivitäten von Microsoft. Und während Google heuer den 25. Geburtstag feierte, geht Microsoft auf die fünfzig zu. Und ja, Google hat versucht, Gegensteuer zu geben und Ende Jahr Gemini angekündigt. Aber ich bin skeptisch, ob damit die KI-Wende gelingen wird. Wenn es so wäre, hätte das Demo-Video derartig aufgemotzt werden müssen?

Zuletzt wäre zu vermelden, dass die Bedenken bei der Privatsphäre 2023 nicht geringer geworden sind. Google ist seit Längerem daran, das Tracking im Web neu zu erfinden. Die Methode per Cookies soll verschwinden. Dafür wurde die «Privacy Sandbox» erfunden, die in einer ersten Ausprägung die Nutzerinnen und Nutzer grob in Gruppen (Kohorten) einteilt (Floc), um sie so gezielt mit Werbung adressieren zu können. Dieser Plan ist gescheitert, weil niemand ausser Google in gut fand.

Alter Wein in neuen Schläuchen

Doch damit war die «Privacy Sandbox» nicht Geschichte: Im September implementierte Google eine Technik, bei der die Interessen des Surfers anhand des Browserverlaufs bestimmt werden. Bei «Ars Technica» gab es Kritik, die auch reichlich resigniert klingt:

Wollte irgendjemand auf der Welt, dass eine Funktion fürs Tracking und das Ausspielen von Werbung im Browser integriert wird? Wahrscheinlich nicht, aber es ist nun einmal so, dass Google Chrome kontrolliert, und diese Tatsache die Leute wahrscheinlich nicht dazu bringen wird, zu Firefox zu wechseln.

Ich bin nicht sicher, ob ich den Pessimismus teile, der hier mitschwingt. Klar, Google ist noch immer dominant. Aber eine solche Machtposition hält nicht ewig. Mit einem missratenen Chatbot und immer neuen Varianten des alten Datensammelgeschäfts lässt sie sich nicht aufrechterhalten. Google wird 2024 umso mehr tun müssen, um sich an der Spitze zu halten.

Beitragsbild: Bard als Pinocchio (Microsoft Image Creator zum Prompt «A small robot that looks like Pinocchio and has a long nose, in a laboratory in which a scientist looks at the robot with a raised index finger and a stern look. Three reporters stand at the edge, writing notes in their notepads as a futuristic illustration»).

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