Google in diesem Jahr kein Bösewicht, aber auch nicht innovativ

Der grosse Suchmaschinenkonzern stagniert auch 2022: Ausser einer mässig spannenden Smartwatch und der Einstellung des Gamingdienstes Stadia hat er nichts zustande gebracht.

Google kam in meiner letzten Jahresmusterung nicht gut weg. Der Konzern sei auf dem Weg zum «Evil Empire».

Der Grund für diese Einschätzung lag darin, dass der Konzern in meiner Wahrnehmung die eigenen Einnahmen über die Bedürfnisse der Nutzerschaft stellt: Google forciert das Youtube-Premium-Abo, indem bei der Gratisnutzung auf Youtube nervtötend viel Werbung ausgespielt wird. Bei Google Fotos wurde der unbeschränkte Gratis-Speicherplatz abgeschafft. Wer mehr als 15 GB nutzt, muss zahlen. Das lässt keinen Zweifel daran, dass die ursprüngliche, grosszügige Regelung vor allem den Zweck hatte, die Konkurrenz aus dem Weg zu räumen. Dieser Plan ist aufgegangen.

Der Internet-Umbau nach Googles Gusto ist vorerst gescheitert

Das allein sind keine aussergewöhnlichen Geschäftspraktiken – denn wir haben es hier mit einem kommerziellen Unternehmen und nicht mit einer Wohlfahrtsorganisation zu tun.

Aber das war nicht der Hauptgrund für mein Urteil, Google sei inzwischen böse. Nein, das basierte auf Googles Absicht, das Web umzubauen. Dazu wurde die Floc-Initiative ins Leben gerufen (Federated Learning of Cohorts). Die hatte vordergründig das Ziel, das Tracking im Netz zu verringern: Nutzer wären nicht mehr persönlich identifiziert worden, sondern bloss in bestimmte Interessens-Kategorien eingeteilt worden.

Das klingt gut – aber Google verfolgt auch das Ziel, gegenüber der Konkurrenz einen wesentlichen Vorteil herauszuholen, sprich: Noch weniger angreifbar zu werden. Das war 2021 der Grund für massive Kritik (auch im Nerdfunk).

Für die Jahresmusterung 2022 ist jetzt natürlich interessant, wie sich diese Geschichte weiterentwickelt hat. Und da dürfen wir vermelden, dass Floc gescheitert ist: Ende Januar 2022 hat Google das Projekt beerdigt, wohl nicht zuletzt wegen der breiten Kritik.

2024 erfolgt ein neuer Anlauf

Google hat die Pläne nicht aufgegeben, die Cookies von Drittparteien (Third party cookies) abzulösen. Der Floc-Nachfolger heisst Google Topics, und er schneidet in der öffentlichen Beurteilung besser ab. Er soll die Privatsphäre der Nutzerinnen und Nutzer besser schützen und Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts oder der Ethnie verhindern. Doch bis wir uns mit diesen Topics herumschlagen müssen, dauert es noch. Gemäss den «Hacker News» werden die Drittparteien-Cookies erst in etwa zwei Jahren aus dem Chrome-Browser verbannt.

Das heisst: Die Frage, ob Google endgültig auf die böse Seite gewechselt ist, lag 2022 auf Eis. Aber sie wird uns in der nächsten Zeit weiter begleiten.

Stadia hats nicht geschafft

Abgesehen davon ist bemerkenswert, dass Google 2022 medial fast gar kein Thema war. Es gab im Oktober einen schrägen, aber wohl nicht ernst gemeinten Prototypen für neue Tastaturen zu sehen. Nebst diesem humoristischen Einwurf hat Google nur mit der Einstellung von Stadia von sich reden gemacht. Der Gaming-Streaming-Dienst, der erst  2019 lanciert worden war, wurde Ende September abgekündigt und wird Ende Jahr endgültig eingestellt. Google ist derzeit dabei, den zahlenden Kunden ihr Geld zurückzuerstatten.

Damit liegen alle Fakten für Googles Beurteilung auf dem Tisch: Der Konzern ist weiter dabei, das Geschäft auf die rentablen Bereiche zu konsolidieren. Experimente und Neben-Betätigungen sind abgeklemmt worden. Damit ist Google leider nicht mehr sonderlich interessant – und wirkt auch nicht mehr innovativ.

Smartwatch-Fans werden an dieser Stelle einwenden, dass der Konzern im September einen entsprechenden Effort gezeigt hat. Bei «The Verge» liest sich das vielversprechend, indem die Pixel Watch als offenerer Konkurrent zur Apple Watch gesehen wird. Ich finde die Uhr optisch ansprechend, funktionell aber nicht interessant. Darum würde ich diesen Schauplatz im grossen Ganzen als nebensächlich einordnen.

Fazit: 2023 müsste Google – Pardon für die grobschlächtige Formulierung – dringend den Finger rausnehmen! Zumal neues Ungemach droht. Ich habe neulich beschrieben, dass ich Innovationen wie ChatGPT von Google als existenzielle Bedrohung wahrgenommen werden müsste.

Beitragsbild: 2022 war von Google nicht sehr viel zu sehen (Mitchell Luo, Unsplash-Lizenz).

Kommentar verfassen