Eine Pleite auf ganzer Linie

Facebook hat 2022 nicht nur die Anleger enttäuscht, sondern auch seine eigene Ursprungs-Vision verraten und in Sachen Metaversum fast nichts Handfestes geliefert.

2022 war kein gutes Jahr für Facebook bzw. Meta.

Um zu diesem Schluss zu kommen, brauchen wir uns nur den Aktienkurs anzuschauen, der von 340 US-Dollar auf ein Tief von 88 Dollar im November gefallen ist. Das Geschäft mit der Werbung lief dieses Jahr lausig. Schuld daran ist nicht nur die Inflation und die schlechte Stimmung bei den Konsumenten.

Auch die strengeren Datenschutzregeln bei Apple haben in diesem Jahr durchgeschlagen. Wir erinnern uns: Apple hat mit iOS 14 die Tracking-Transparenz-Initiative umgesetzt und in den Einstellungen bei Datenschutz & Sicherheit > Tracking die Option Apps erlauben, Tracking anzufordern eingeführt. Die können wir generell abschalten. Falls wir das Tracking zulassen, dürfen wir pro App bestimmen, ob sie persönliche Daten sammeln darf oder nicht.

«Meta gewinnt am Ende des Jahres an Glaubwürdigkeit»

Das führte dazu, dass in diesem Jahr der Gewinn und die Marge rückläufig waren, woraufhin Mark Zuckerberg auf die Weise reagiert hat, wie grosse Konzerne in solchen Fällen immer reagieren: Sie führen knallhart Entlassungen durch. Bei Meta wurde anfangs November eine gewaltige Zahl von Leuten auf die Strasse gestellt. Dafür gab es Lob bei der Wirtschaftspresse. Die «Handelszeitung» etwa schreibt:

Mit der überraschenden Entlassung von 11’000 Mitarbeitern zeigt Meta Konsequenz in der Kostenbewirtschaftung und gewann wieder an Glaubwürdigkeit.

Nicht bei mir, würde ich anmerken. Jedenfalls findet der Autor dieses Beitrags, der schwache Aktienkurs sei gar nicht so schlimm und Meta womöglich unterbewertet. Vor allem auf Instagram ruhen seine Erwartungen: Die Bedeutung der ehemaligen Foto-Plattform steigt noch immer und dürfte inzwischen die Hälfte des Gesamtumsatzes ausmachen. Und bei den Videos, den Reels, sei noch mehr herauszuholen, findet die «Handelszeitung».

Soweit die Finanzen, die mich nur bedingt interessieren. Worum es hier zentral gehen soll, ist die Innovation. Und da stehen bei Meta zwei Dinge im Raum:

Wer hat Angst vor Tiktok? (Der Mark hat Angst vor Tiktok)

Erstens die radikale Vertiktokisierung von Instagram und Facebook. Ich stehe der kritisch gegenüber: Meta scheint kein soziales Medium mehr sein zu wollen. Daraus folgt eine Entmündigung von uns Nutzerinnen und Nutzern. Aus Sicht des Konzerns zeigt es, dass die Kernidee, die Vernetzung der Menschheit, kein hohes Ideal, sondern bloss Mittel zum Zweck war. Und der Zweck ist, natürlich, Geld zu verdienen. Wobei, kleine Randbemerkung, mir scheint, Meta hätte dieser Umbau der Plattformen aufs Jahresende gebremst oder womöglich sogar zurückgefahren. Das könnte man positiv werten, aber auch als Zeichen nehmen, dass Mark Zuckerberg völlig ratlos ist.

Trotzdem haben wir gesehen, dass Meta einen als Bedrohung wahrgenommenen Konkurrenten entweder aufkauft oder ohne jede Scham kopiert. Ich will das nicht moralisch werten. Wir sollten uns aber für die Zukunft merken, dass Mark Zuckerberg kein Innovator ist und wohl auch nie einer sein wird. Für mich ist Instagram in diesem Jahr endgültig gestorben. Wenn es euch auch so geht, können deswegen ein Tränchen verdrücken. Aber wir sollten uns keine Illusionen darüber machen, dass es so kommen musste.

Also, mit der Feststellung, dass Mark Zuckerberg nicht von grossen Visionen, sondern von der Freude an Macht und Geld getrieben wird, wenden wir uns dem zweiten Elefanten im Raum zu.

Hey Mark, was macht das Metaversum?

Das ist das Metaversum, das Mark Zuckerberg Ende 2021 ausgerufen hat. Von diesem Metaversum war dieses Jahr noch nicht viel zu spüren – ausser in meiner Inbox, wo die Pressemeldungen einlaufen. Dort gab es andauernd Ankündigungen, dass diese oder jene Klitsche sich eine Präsenz im Metaversum geleistet hat. Nur ein Beispiel:

Die Zahl der Modemarken, die sich in die Welt des Metaverse, Web3 und der virtuellen Markenerlebnisse wagen, nimmt ständig zu. Ezgi Cinar, eine Visionärin und der Zeit immer einen Schritt voraus, definiert mit ihrer ersten Kollektion auf Vivents den zeitgenössischen Glamour und die Codes der modernen Begehrlichkeit neu.

Der Banause, der ich bin, hat sich bei der Lektüre dieses Mails gefragt, ob man Cynar nicht mit Y schreibt. Ich habe meinen Irrtum aber zum Glück schnell erkannt. Übrigens, es scheint mir kein Zufall, dass in diesem E-Mail auch ein zweites Buzzword nicht fehlt. Mal sehen, ob ihr es entdeckt:

In Zusammenarbeit mit Vivents, dem sozialen Marktplatz für Kunst, Luxus und NFTs, schliessen sich die Marken zusammen, um neue Territorien zu erschließen und die begehrtesten Verkäufer und Käufer von heute und morgen zusammenzubringen.

Klar, NFTs, mit denen wir im Nerdfunk im letzten Jahr stinkreich geworden sind. Im Vergleich zum Metaversum sind die immerhin schon eine Realität.

Was Meta als Einpeitscher der Metaversums-Revolution angeht, gab es 2022 kleine Fortschritte. Mark Zuckerberg hat es geschafft, Avatare mit Beine auszustatten. Microsoft ist nun ein Metaversums-Partner. Ausserdem hat der Konzern Ende Oktober die Meta Quest Pro lanciert, eine Virtual-Reality-Brille, wie man sie fürs Metaversum benötigt.

Meta Quest Pro zieht sich doch keiner freiwillig über

Ich hatte sie noch nicht selbst auf dem Kopf, sodass ich mir keine Meinung bilden kann. Aber wenn ich mir die ellenlange Besprechung vom «The Verge» zu Gemüte führe, dann erkenne ich ein technisches Spielzeug, das meilenweit von jeder Praxistauglichkeit entfernt ist: Teuer ist sie, die Brille, schwer und so technoid, dass ich mir bei fast keinem Menschen aus meinem Umfeld vorstellen kann, dass sie es ernsthaft in Erwägung ziehen würden, so ein Ding in ihrem Alltag zu nutzen¹.

Und so gehts an die virtuelle Sitzung mit dem Verwaltungsrat (oder dem Scheidungsanwalt). Bild: Fb

Fazit: In diesem Jahr hat sich Meta von seinem Ursprung als Socia-Media-Unternehmen entfernt und ist dem hehren Ziel der Dominanz in der virtuellen Sphäre nicht entscheidend nähergekommen. 2022 war für Mark Zuckerberg ein verlorenes Jahr². Und wenn wir noch einmal auf die wirtschaftliche Seite zurückkommen dürfen: Mark Zuckerberg hat bei der Ankündigung des Metaversums «10’000 Jobs in Europa» versprochen – stattdessen sind jetzt 11’000 Jobs weltweit gestrichen worden. Wenn dieses Minus von 21’000 Arbeitsstellen aufgeholt ist, können wir ernsthaft weiterreden.

Fussnoten

1) Tech-Journalisten natürlich ausgeklammert.

2) Zum Metaversum und dessen Stagnation gibt weitere Ausführungen im Interview, das ich «Persönlich» geben durfte: «Musk hat sich als ignoranter Milliardär gezeigt».

Beitragsbild: Gestern standen wir am Abgrund, heute sind wir einen Schritt weiter (Martin Sanchez, Unsplash-Lizenz).

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