Gibt es für 2023 überhaupt etwas über Meta zu berichten? Mark Zuckerberg hat im Oktober 2021 das Metaversum ausgerufen. Davon ist zwei Jahre später nichts zu sehen.
Das sollte uns nicht verwundern, weil sich der Meta-Chef fünf bis zehn Jahre zur Realisierung seiner grossen Vision ausbedungen hat. Eine scheue Frage sei aber trotzdem erlaubt: Wären nicht regelmässige Lebenszeichen notwendig, damit Zyniker wie ich die Idee nicht für einen Rohrkrepierer halten?
Gut, es gab neue Hardware: Im Oktober ist die Meta Quest 3 auf den Markt gekommen. Mein Tagesanzeiger-Kollege Rafael Zeier hat sich sogleich eine besorgt. Er hat sie verdienstvollerweise in die Redaktion mitgenommen und mir die Gelegenheit verschafft, sie auszuprobieren: Wie ich das tue, ist in diesem Video zu sehen.
Oha! Die Meta Quest 3 macht tatsächlich Spass!
Das war ein aufschlussreiches Erlebnis; deutlich besser, als ich erwartet hatte. Ich habe das Spiel First Encounters ausprobiert, ein Mixed-Reality-Titel, in dem sich die tatsächliche Umgebung und die Spielwelt vermischen. Konkret darf man sich das so vorstellen, dass sich Löcher in den realen Wänden auftun, durch die virtuelle Wesen eindringen. Es handelt sich um knuffige Aliens, die anscheinend nicht als Invasoren kommen, aber trotzdem eingefangen werden müssen – wohl zu ihrer Rettung.
Um sie einzufangen, verwenden wir zwei Oculus Touch-Controller. Mit denen zielen wir auf die kugeligen Ausserirdischen und packen sie mit einem Traktor-Strahl – oder so ähnlich.
Das hat auf Anhieb funktioniert: Weder war meine Brille ein Problem, noch habe ich die Latenz als Problem wahrgenommen. Denn wie bei solchen Brillen üblich wird die reale Welt durch Kameras eingefangen und auf den Displays vor den Augen mit den künstlichen Objekten vermischt.
Spiele ja – Sitzungen nein
Bei einer statischen Szene wie einer Sitzung mit Avataren würden einen womöglich die Ungereimtheiten stören – wie zum Beispiel Darstellungsprobleme, bei denen die Löcher in der Wand plötzlich Objekte überlagert haben, die eigentlich im Vordergrund angesiedelt waren und hätten weiterhin sichtbar bleiben müssen. Doch während des Spiels sind sie mir zwar aufgefallen, aber haben den Spass nicht nachhaltig getrübt.
Dieser kleine Probelauf hat für mich die Vision der virtuellen bzw. gemischten Realität fassbarer gemacht. Ich kann mir vorstellen, dass im Vergleich dazu Apples Vision Pro noch eine dicke Portion Realismus obendraufsetzt: Schliesslich wird sie ungefähr das Siebenfache kosten (3499 US-Dollar statt 500 Franken).
Jetzt wäre die Zeit, die Leute anzufixen
Der Test hat mich auch in meiner Ansicht bestärkt, dass die Tech-Konzerne alles daran setzen müssen, dass möglichst viele Leute die Gelegenheit haben, die Brillen auszuprobieren. Denn im Vergleich zum Erlebnis sind Beschreibungen oder die flachen Bilder der 3D-Welten wenig attraktiv und eher abschreckend.
Für Mark Zuckerbergs Vision des Metaversums ergibt sich daraus eine klare Erkenntnis: Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, die Leute anzufixen und die Freude aufs Metaversum zu schüren – und wenn das bedeutet, dass Millionen solcher Brillen zu Dumpingpreisen unters Volk gebracht werden. Aber wenn das Metaversum bis 2030 tatsächlich fantastische fünf Billionen US-Dollar umsetzen wird – wie McKinsey behauptet – dann wäre das eine unbedeutende Investition für eine überaus lukrative Zukunft.
2023 ist die Vision vom Metaversum verblasst, statt greifbarer zu werden. Auch sonst hinterlässt dieser Konzern einen orientierungslosen Eindruck. Mein Eindruck ist, dass sich die sozialen Medien nicht nur wegen des Zerfalls von Twitter in einem desolaten Zustand befinden.
Auch bei Facebook und Instagram ist das nicht anders: Vom Zauber der Anfänge ist nichts mehr geblieben. Wir besuchen Facebook noch aus Gewohnheit, aber die Wahrscheinlichkeit, dort irgendetwas Erfreuliches zu sehen, tendiert gegen null. Die jahrelange Methode, die Nutzerinnen und Nutzer emotional anzustacheln, um die Verweildauer zu erhöhen, fordert ihren Tribut.
Soziale Medien? Da war doch mal was
Falls jemand bei Meta noch an die Vision der sozialen Medien glaubt, dann läge auf der Hand, was zu tun ist: Facebook, aber auch Instagram und Whatsapp müssten freundlicher werden. Statt Beiträge nach oben zu spülen, die an negative Gefühle appellieren, müssten die Algorithmen Konstruktives fördern.
Dafür gibt es nicht die geringsten Anzeichen. Mark Zuckerberg setzt auf die Tiktok-Methode, den Nutzerinnen und Nutzern Dinge vorzusetzen, die sie vielleicht sehen mögen, die aber nicht aus ihrem Freundeskreis stammen. Die jüngste Idee bei Whatsapp sind Kanäle, bei denen es fast keine soziale Interaktion mehr gibt. Ich orte erste Anzeichen einer Weiterentwicklung zu einer «Everything-App», in der die soziale Komponente vielleicht noch eine Rolle spielt – vielleicht aber auch nicht.
Damit sehen wir Mark Zuckerberg als Opportunist, der sich in die Richtung bewegt, wo er die grössten Verdienstmöglichkeiten ortet. Und ja, so neu ist diese Erkenntnis nicht. Dass der Umsatz über allem steht, wissen wir spätestens seit 2021 und den Enthüllungen von Frances Haugen.
Fazit: Meta hat 2023 keine grossen Sprünge gemacht. Der Twitter-Klon Threads ist zwar vergleichsweise erfolgreich, aber nicht originell – konzeptionell ein Flop: Mark Zuckerberg will vom Niedergang Twitters profitieren, aber die Gelegenheit, der Idee der Kurznachrichten neue Impulse zu verleihen oder eine solche App positiver und freundlicher aufzustellen, hat er verpasst.
Beitragsbild: «Das Metaversum ist derzeit noch geschlossen» (Adobe Firefly zum Prompt «A closed glass door, behind which there is a mysterious glow and a plaque with the words ‹Metaversum closed, please come back later› attached at the dor. A man wearing virtual reality goggles stands in front of the closed door and looks unhappy. The image is in a futuristic visual style.»).