Twitters Wandlung zur Jauchegrube des Internets

Elon Musk war 2023 der falsche Mann am fal­schen Ort: Es bleibt uns zu wün­schen, dass X im nächsten Jahr Kon­kurs geht oder in der Be­deu­tungs­lo­sig­keit ver­schwin­det.

Traditionsgemäss würde ich an dieser Stelle die Jahresleistung des fünften grossen Tech-Konzerns besprechen. Doch über Amazon fällt mir fürs Jahr 2023 ausser den Entlassungen nichts ein. Im Januar wurden Leute auf die Strasse gestellt, und Mitte November wars wieder so weit. Es trifft anscheinend erneut die Abteilung der digitalen Assistentin Alexa. Das ist, wie schon Ende 2022 festgehalten, kein sinnvoller Umgang mit der Entwicklung im KI-Bereich.

Also investiere ich meine analytische Energie an dieser Stelle doch lieber in ein Unternehmen, das zwar zu den kleinen Tech-Konzernen zählt, dieses Jahr aber enorm viel Aufmerksamkeit erhalten hat: Es handelt sich natürlich um Twitter, das heutzutage X heisst und mit seinem stinkreichen Chef auf alle Fälle eine Relevanz aufweist.

Darf man Elon einen Antisemiten nennen?

Um es kurz zu machen: Ich habe Ende 2022 befürchtet, dass es schlimm werden würde. Ich habe aber nicht geahnt wie schlimm. Und Elon Musks Wandlung hatte ich nicht auf dem Schirm.

Muss man an dieser Stelle haarspalten? Muss man von einem «gefährlichen Spiel mit dem Antisemitismus» sprechen, so wie es Watson tat? Oder kann man Musk auch fadengerade einen Antisemiten nennen? Ich verstehe die Zurückhaltung grosser Medien, das unverblümt und in der Überschrift zu einem Artikel zu tun. Aber hier im Blog verleihe ich meiner persönlichen Haltung Ausdruck. Und gemäss der hat Musk die Grenze schon überschritten, als Musk sich im Mai an der Hetze auf George Soros beteiligt hat.

Dass er nun Leuten recht gibt, die der die Great Replacement Theory (Grosser Austausch) nachhängen, ist für sich genommen schockierend und Grund genug für diese Zuschreibung. Aber es ist nur eine von vielen Aussagen. Wir können nicht davon ausgehen, dass Musk es «nicht besser weiss» und auf seiner eigenen Plattform in den falschen Kreisen verkehrt.

Meinungsfreiheit? Pustekuchen!

Am Anfang des Jahres konnte Musk noch mit einer gewissen Glaubwürdigkeit in Anspruch nehmen, dass es ihm um die Meinungsfreiheit geht und er die «fundamentalistisch» auslegt. Heute ist es offensichtlich, dass es ihm nur darum ging, seiner eigenen, radikalen Weltsicht Gehör zu verschaffen und moderate Stimmen zu übertönen.

Ich war noch im September der Ansicht, dass die vernünftigen Leute auf Twitter ausharren müssen. Ich finde es wichtig, dass Musk nicht unwidersprochen bleibt, selbst wenn er die Algorithmen zu Hilfe nimmt, um lauter als alle anderen zu sein.

Dank Elon Musks tatkräftiger Unterstützung sind die sozialen Medien Ende 2023 an einem neuen Tiefpunkt angekommen. In den Jahren zuvor mussten wir zur Kenntnis nehmen, dass die Massen der Social-Media-Nutzerinnen und Nutzer nicht so konstruktiv und freundschaftlich gestimmt sind, wie wir das in einer ersten Euphorie geglaubt hatten. In diesem Jahr kam die Erkenntnis dazu, dass auch die Plattformen selbst nicht davor gefeit sind, abzudriften.

Entgegen jede Logik

Das war eine implizite Annahme: Wenn eine solche Plattform wirtschaftlich erfolgreich sein will, dann muss sie für möglichst viele Menschen ein angenehmes Aufenthaltsklima bieten. Das heisst, dass viele unterschiedliche Meinungen toleriert werden, aber Störenfriede in die Schranken gewiesen werden. Und natürlich sollte die Plattform selbst politisch möglichst neutral sein.

Nun wissen wir aus der Geschichte, dass Inhaber von Medienhäusern nicht immer neutral sind. Den Medien von Rupert Murdoch merkt man die Gesinnung ihres Besitzers durchaus an. Das ist problematisch genug, aber ich bin überzeugt, dass ein robustes Mediensystem das aushalten kann. Was Musk dieses Jahr getan hat, halte ich für extrem gefährlich. Zumal es in eine Zeit fällt, wo mit den Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten und dem Aufstieg der autoritären Kräften allenthalben gesellschaftlich vieles fragiler geworden ist.

Elon Musk ist der falsche Mann am falschen Ort. Und ich bedauere aufrichtig, was er mit Twitter angestellt hat. Ich hoffe, dass Twitter 2024 entweder den Besitzer wechselt, Konkurs geht oder in der Bedeutungslosigkeit verschwindet. Und ich würde mich freuen, wenn Bluesky oder auch Mastodon zu einer echten Heimat für die Menschen wird, die die Idee der sozialen Medien noch nicht für endgültig gescheitert halten.

Beitragsbild: It’s dead, Elon (Microsoft Image Creator zum Prompt «a dead Twitter-like bird lying on the ground, above a blue sky with a small white cloud, in comic style»).

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