Braucht eine perfekte Geschichte eine Fortsetzung?

«Ready Player one» war ein grossartiger, popkultureller Nerdgasmus. Nun ist der zweite Teil erschienen. Ich habe ihn gelesen und beschreibe, wie gross meine nerdischen Glücksgefühle dieses Mal waren.

Von Kevin habe ich in unserer letzten Sendung im letzten Jahr gehört, dass es von «Ready Player one» einen Nachfolger gibt. Dieses Buch hat einen naheliegenden und trotzdem originellen Titel. Es heisst Ready Player Two (Amazon Affiliate). Die deutsche Ausgabe trägt den gleichen Titel und wird ab 24. März 2021 erhältlich sein.

Naheliegender, und trotzdem origineller Titel.

Die erste Folge habe ich seinerzeit im Beitrag Nerd­gasmus und Pop­kultur­klimax kurz be­spro­chen. In So geht das mit den Aliens ging es um ein anderes Werk des Autors, Ernest Cline, nämlich «Armada».

Und jetzt eben ein unerwarteter Nachfolger. Unerwartet zumindest für mich: Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es ein weiteres Abenteuer mit Wade Watts, Samantha Cook und den anderen High Five-Gunters geben würde.

Denn das erste Buch endet mit einem grossartigen Happy End.  Nach der erfolgreichen Jagd nach James Hallidays Easter-Egg und dem Aufstieg von Watts alias Parzival zum Erbe Hallidays und zum Herrscher über die Oasis-Simulation gibt es keine Aufgaben mehr zu erledigen. Auch für die Liebe ist gesorgt; Samantha und Wade kommen zusammen. Was bleibt da noch, ausser, dass sie, wenn sie nicht gestorben sind, auch noch heute leben?

Ein ungutes Bauchgefühl

Bei dieser Ausgangslage konnte ich nicht anders, als mich mit einem unguten Gefühl diesem zweiten Band zu nähern: Hat der Autor nach dem unerwartet riesigen Erfolg des ersten Buches – es war ein weltweiter Bestseller und wurde von Steven Spielberg verfilmt – den Rufen des Verlags nachgegeben und sich breitschlagen lassen, obwohl die Geschichte eigentlich auserzählt ist?

Der erste Teil wurde verfilmt – gesehen habe ich den bislang aber nicht.

Wenn man dem Bericht hier glauben darf, hatte der Autor von Anfang an die Vision einer Trilogie im Kopf. Aber gut, das behauptet jeder Autor, der eine Fortsetzung schreibt – oder kennt ihr einen, der sich dazu bekennen würde, sich nur wegen des Honorars lustlos eine Fortsetzung aus dem Kreuz geleiert zu haben?

Doch natürlich ist die Motivation des Autors völlig egal, solange das Resultat stimmt. Und da ist es leider trotz allem so, dass die Magie des ersten Teils in der Fortsetzung weitgehend fehlt. Es ist eine unterhaltsame Geschichte geworden, die ich gerne gelesen bzw. gehört habe – das Hörbuch wird wiederum von Wil Wheaton gelesen. Doch die Stimmung des locker-leichten Popcorn-Abenteuers mit den unzähligen liebevollen Anspielungen an alte und uralte Computerspiele fehlt fast vollständig. Und es gibt nichts, was sie ersetzen könnte.

Wie eine abgeschlossene Story fortsetzen?

Und das Problem liegt tatsächlich darin, dass es am Schluss des ersten Buches kaum lose Enden gibt, an der sich die Geschichte nahtlos weitererzählen liesse. Der Held muss erst einmal tief fallen: Er kommt nur schlecht mit seiner neuen Rolle als Hüter der Oasis zurecht. Er verkracht sich mit seiner grossen Liebe, Samantha. Und er verhält sich nicht gerade sympathisch gegenüber seinen Fans und Nacheiferern.

Das ist aus dramaturgischer Sicht natürlich nachvollziehbar: So erschafft Ernest Cline die Ausgangslage für ein weiteres Abenteuer. Aber er beschädigt damit seinen Helden: Aus dem sympathischen Taugenichts wird ein einsamer Aussenseiter, der nur noch wenig mit seinen Freunden zu tun hat. Und er mutiert zu einem Machtmenschen, der die Dominanz seines Firmenimperiums im Bereich des digitalen Unterhaltungswesens ausbaut. Er verhält sich genauso wie ein x-beliebiger Manager, der nur mit wenigen Skrupeln ausgestattet ist.

Ja, es ist dem Buch zugute zu halten, dass es eine gute Motivation für diese Veränderung gibt. Das ist das Oasis Neural Interface (ONI): Diese Schnittstelle erlaubt es, sein Gehirn direkt mit der virtuellen Welt, der Oasis zu verbinden. Statt mittels einer Virtual-Reality-Ausrüstung erlebt man die Simulation nun direkt und kann sie auch riechen, schmecken und fühlen. Es ist sogar möglich, die aufgezeichneten realen Erlebnisse anderer Nutzer in sein Gehirn einzuspeisen und sie zu seinen eigenen zu machen – ganz egal, ob es sich um ein sportliches Abenteuer, ein Konzert aus der Perspektive des Bühnenstars oder eine Ausschweifung sexueller Natur handelt.

Nebenbei den Tod besiegt

Am Ende erfährt man – und das ist nun ein dicker Spoiler! –, dass ONI routinemässig eine Sicherheitskopie des Gehirns anfertigt. Diese Kopie erlaubt es, tote Spieler in der virtuellen Umgebung auferstehen zu lassen oder lebendige Menschen als Duplikate ihrer selbst in der Simulation auftreten zu lassen.

Und ja, das sind spannende Themen für eine Sciencefiction-Erzählung. John Scalzi hat ein ähnliches Szenario in «Lock in» (Wenn Körper und Geist getrennte Wege gehen) beschrieben und auch in «Hologrammatica» von Tom Hillenbrand geht es um die Möglichkeit, den Menschen von seiner physischen Erscheinung loszulösen (Identität ist dort, wo man sich gerade hochgeladen hat).

Doch zur Lebenswelt von Wade Watts will es nicht so richtig passen. Es ist eine existenzielle Angelegenheit, die nicht zu diesen Jugendlichen passt, die im ersten Band die Rätsel geknackt haben, wie wir sie aus den Computer-Adventures von unseren unschuldigen Kindheitstagen her kennen. Und ja, diese fröhliche Schnitzeljagd ist in ein düsteres, dystopisches Szenario eingebettet. Aber genau darum war es so wichtig, dass die Oasis ein Hort des unbeschwerten Eskapismus bleibt.

Doch in diesem Buch wird sie zum Gefängnis. Anorak, der Oasis-Avatar von Computergenie Halliday läuft Amok: Er nimmt nicht nur Wade als Geisel, sondern alle anderen Nutzer, die mittels ONI in die Simulation eingeloggt sind – Millionen von Leute, die sich nun nicht mehr ausloggen können, weil eine gehackte Steuerungssoftware das verhindert. Diese «Infirmware» hält die Eingeloggten in der Simulation, was nicht nur unpraktisch, sondern lebensgefährlich ist: Wenn sich ein Nutzer nach zwölf Stunden nicht ausloggt – was normalerweise automatisch passiert –, droht das Synaptic Overload Syndrome. Das beeinträchtigt das Gehirn und kann zum Tod führen.

Liebesverwicklungen über den Tod hinaus

Der Grund für diese kriminelle Aktion seitens Anoraks besteht darin, dass James Halliday besessen ist von Karen «Kira» Rosalind Underwood, deren Avatar Leucosia heisst. Sie ist im richtigen Leben die Ehefrau von Ogden, der wiederum sein Geschäftspartner und Mitentwickler der Oasis ist. Wenn es stimmt, dass als Vorbild für die beiden Computergenies und Oasis-Gründer Steve Jobs und Steve Wozniak herhalten mussten, dann wäre in dieser Konstellation also Jobs auf Woz‘ Frau scharf gewesen.

Anorak veranlasst das Shard Riddle, bei dem sieben Seelensplitter der Geliebten aufgespürt werden müssen. Wade erreicht dieses Ziel mithilfe seiner alten Freunde und auch mit fünf neuen Egg Hunters, die sich um L0hengrin scharen und sich die Low Five nennen. Nachdem er die Seelensplitter zusammenfügt, erkennt er, dass Halliday nicht nur Anorak als künstliche Intelligenz erschaffen hat, die allerdings ein paar Fehler aufweist und darum deutlich bösartiger als das Original operierte. Er erfährt auch, dass Anorak ohne ihr Wissen und ihr Einverständnis eine Kopie von Kira angelegt hat und sie in einer von der Oasis getrennten Simulation verwahrte. Seine Idee war, sie würde sich mit der Zeit mangels Alternativen in ihn verlieben.

Das klappt, wie jeder in Liebesdingen erfahrene Mensch hätte voraussehen können, natürlich nicht. Es kommt zum grossen Showdown der beiden Firmengründer, in dem Og dank des von den Low Five aufgetriebenen Artefakts namens «Dorkslayer» obsiegt. Und nachdem Wade auch Kira befreit hat, kann er die einzig verbliebene ONI-Kopie von Og auftreiben und die Kopien von Og und Kira zusammenbringen.

Also, wiederum ein Happy End. Auch Wade und Samantha alias Art3mis kommen wieder zusammen – und es wird diesmal eine ziemlich offensichtliche Spur zum dritten Teil der Trilogie gelegt, indem eine Kopie von Wade zusammen mit Kopien seiner Freunde einer isolierten Instanz der Oasis installiert wird, die auf der Vonnegut ins All aufbricht. Die Vonnegut ist ein interstellares Raumschiff, das für die Menschheit ein neues Plätzchen irgendwo in einem anderen Sonnensystem suchen soll.

Besser gar keine Fortsetzungen?

Es bleibt die Frage: Lieber keine Fortsetzung als eine nur ansatzweise geglückte? Ich finde das eine schwierige Entscheidung – tendiere aber letztlich dazu, dass ich auch dann nicht auf Mehrteiler verzichten möchte, wenn sie die Qualität nicht zu halten vermögen. Und es besteht die Chance, dass der dritte Teil wieder zulegt, nachdem die Suche nach Ostereiern und Seelenscherben nun endgültig ausgereizt ist und sich der Autor nach einem neuen Themenfeld umsehen muss.

Das Problem dieses Buchs liegt letztlich nicht nur bei der Geschichte, sondern auch in der Erzählweise, die im Vergleich zum ersten Buch statisch ist. Die Einführung (Exposition) dauert lange und man braucht viel Geduld, bis Tempo aufkommt – wobei die eigentliche Schnitzeljagd im Vergleich zum ersten Teil kurz ausfällt. Allerdings dieser dann doch amüsant mit Besuchen auf den Planeten, die John Hughes, Prince und dem Silmarillion gewidmet sind.

Beitragsbild: Beim ersten Teil brauchte der Nutzer noch eine VR-Ausrüstung, um in die Oasis abzutauchen. Dank des technischen Fortschritts ist das im zweiten Teil nicht mehr nötig (warnerbros.com).

Kommentar verfassen