Als Journalist landet man immer mal wieder auf dem Mailverteiler eines besorgten oder erregten Bürgers. Man erhält Aussendungen, in denen es um Sachverhalte geht, die der Absender unbedingt in der Zeitung lesen oder über die elektronischen Medien verbreitet haben möchte. Meistens erhält man auch gleich eine Anleitung mitgeliefert, mit welchen Worten und Vorwürfen ein bestimmter Politiker, Wirtschaftsboss, Promi oder Behördenvertreter eingedeckt werden muss.
Typischerweise werden solche Mails an sehr viele Empfänger versandt: Dutzende oder sogar Hunderte Leute. Und meistens sind die Absender nicht sehr wählerisch, an wen sie die Mails verschicken: Adressiert wird jeder, der mehr als zwei Artikel für irgend ein Käseblatt geschrieben und seine Mailadresse im Internet hinterlassen hat.
Ich kann vorwegschicken, dass das Giesskannenprinzip keine zweckdienliche Methode ist, um Medienvertretern eine Information zukommen zu lassen. Um Erfolg zu haben, muss man als angehender Whistleblower zwei Bedingungen erfüllen: Erstens muss man Informationen vorzuweisen haben, die für die Öffentlichkeit auch tatsächlich relevant sind und einen nicht bloss persönlich umtreiben.
Und zweitens muss man sich die Mühe machen, denn passenden Journalisten für die Publikation zu finden. Edward Snowden hat sein NSA-Material auch nicht in einem Massenmail in der Weltgeschichte herumgeschickt. Im Gegenteil: Er hat sich viel Mühe gemacht, bis er sich sicher war, dass Laura Poitras und Glenn Greenwald die richtigen beiden Personen für seine Enthüllungen sind.
Investigativer Journalismus braucht viel Zeit, Geduld und ein gutes Spesenkonto
Das ist auch logisch: Die Aufdeckung jeglicher Skandale ist mit einer beträchtlichen journalistischen Leistung verbunden: Die Vorwürfe müssen überprüft und belegt werden. Es ist unabdingbar, die Angeschuldigten anzuhören und den Sachverhalt aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu prüfen. Eine solche Arbeit erledigt selbst ein geübter Rechercheur nicht locker nebenher.
Aus diesem Grund will sich ein Journalist einigermassen sicher sein, dass er mit seiner Recherche einen Primeur landen kann – und nicht von einem womöglich weniger seriös arbeitenden Kollegen auf die hinteren Ränge verwiesen wird. Mit anderen Worten: Er will der einzige sein, der im Besitz der brisanten Informationen ist.
Und ja, die Suche nach der passenden Person kann sich schwierig gestalten. Es muss jemand sein, die regelmässig investigativ arbeitet und mit entsprechenden Kapazitäten aufwarten kann. Und natürlich muss er mit dem Themengebiet vertraut sein – je intimer, desto besser.
Ein Tipp aus der Praxis: Eine gute Anlaufstelle sind die Recherchedesks, die es bei den meisten grossen Medienhäuser gibt. Und sehr praktisch auch die Liste der Investigativjournalisten, die sich auf investigativ.ch findet – zusammen mit dem Infoblatt für Informanten (PDF), das auch Tipps zum Selbstschutz bereithält.
Also, nach dieser grundsätzlichen Einleitung gelange ich zu dem konkreten Fall, über den es hier gehen soll – und bei dem der Absender keinen einzigen dieser Ratschläge hier befolgt hat.
Täglich ein Dutzend Mails mit immer dem gleichen Geleier

Im Gegenteil: Ich erhalte seit gut zwei Wochen auf meine berufliche E-Mail-Adresse täglich eine Handvoll Mails, die mutmasslich allesamt von der gleichen Person stammen. Wer die Person ist, kann ich nicht sagen, da sie die Nachrichten unter wechselnden Absendern verschickt. Ich diese nicht allesamt überprüft, aber es ist naheliegend, dass sie durchs Band falsch sind.
Diese Mails zeichnen sich durch Merkmale aus: Sie sind ellenlang, mit Links durchsetzt und diversen Anhängen angereichert und sodass immer mehrere Megabytes zusammenkommen. Sie werden an knapp zweihundert Adressaten versendet, unter denen sich nicht nur Journalisten, sondern auch Wissenschaftler, Politiker, Behördenvertreter und mehrere Bundesräte befinden.
Das entscheidende Attribut ist inhaltlicher Natur: Die Mails enthalten wildeste Anschuldigungen quer durch das Panoptikum der Verschwörungstheorien:
Definitiv überall nur noch Teufel – wo man hinschaut – Lügner und Betrüger mit Grössenwahn.
Und sie sind äusserst aggressiv im Tonfall: Leute werden als «Illuminati-Tranny», als «elendiges Satanistengesindel», als «Medienhuren», «Sodomiten und Propagandisten», als «weltweites Freimaurer-Jesuiten-Zionisten-Pack» bezeichnet, usw. Und natürlich: Es geht ums Impfen, ums Virus, um 5G, um Bill Gates und auch ein bisschen um den ganzen Schwachsinn, den man unter QAnon rubriziert. Und zwischendurch findet man auch eine dicke Portion antisemitische Kackscheisse.
Besondere Hassobjekte sind sämtliche Parteien, die meisten Bundesräte, Klaus Schwab und das WEF, sämtliche Journalisten und letztlich Gott und die Welt. (seufz)
Nun könnte man sich auf den Standpunkt stellen, dass sich eine Beschäftigung mit derlei Quark nicht lohnt und die Mails löschen und ignorieren. Das habe ich auch getan, solange ich dachte, der Absender wolle uns Medienmenschen tatsächlich von seinen alternativen Fakten überzeugen – oder dass sein Ziel sei, uns Medienmenschen ein wenig auf den Geist zu gehen, weil er auf Facebook bereits von allen seinen Freunden geblockt worden ist.
Wohin mit dem Rust und der Trauer?
Doch dann bin ich diesem Abschnitt hier begegnet:
Das schreibe ich schon seit Jahren, ich weiss schon, warum ich so krank geworden bin – lange bevor sie mit diesem Virus-Bullshit gekommen sind – auch meine Kätzchen musste ich einschläfern lassen und alle meine einst wunderschönen Pflanzen sind eingegangen – wegen EMF und zusätzlich den Chemtrails. Ich weiss ja nicht, was für Metall ich in meinem zerschmetterten Bein habe – es kann sein, dass es mich dehalb mehr betrifft und auch wegen meinem Alter.
Dieser Abschnitt ist mir nicht aus dem Kopf gegangen. Und wenn ich mit einem Ratschlag an den unbekannten Mailversender enden darf:
Bleiben Sie bei diesem Thema: Ihrem Schmerz und den Schicksalsschlägen, und wie die aktuelle Situation Ihre Einsamkeit verschärft und Ihr Leiden sosehr vergrössert, dass Sie sich nur noch mit solchen Rundumschlägen und übelsten Beschimpfungen Luft machen können.
Wenn Sie das tun, werden Sie Gehör finden: Was die Pandemie mit Menschen macht, die noch nicht einmal mehr Kätzchen und Pflanzen als Gesellschaft haben, ist ein wichtiges Medienthema. Und mit etwas Distanz werden Sie vielleicht auch einsehen, dass niemand Sie sinnlos quälen will – dass es aber Leute gibt, die Ihnen helfen könnten.
Beitragsbild: So böse blickt mir meine Mailbox seit Wochen entgegen (Andre Hunter, Unsplash-Lizenz).