Siehe da! Schon wieder ist «Minion Rush» mein Online-Shit der Woche! Wer hätte das gedacht?
Vor einem guten Monat lieferte mir dieses Handy-Spiel die Gelegenheit für den Nachweis, dass Game-Werbung heute komplett irre ist. Und heute erlaubt es mir den Nachweis, dass sich In-App-Käufe nicht lohnen.
Im Kern ist «Minion Rush» ein sympathisches kleines Spiel des Typus Endless Runner: Wir steuern eine Figur, die wir weder abbremsen noch beschleunigen können, um die entgegenkommenden Hindernisse herum. Lanciert
Am 10. Juni 2013 lanciert, gehört das Game zur Ich – Einfach unverbesserlich-Franchise (Despicable Me). Es wird durch Heerscharen von diesen gelben Minions bevölkert, und es hält diverse Schauplätze aus den Filmen bereits. Vor 13 Jahren attestierte ich dem Spiel, dass die In-App-Käufe zwar nerven, es sich aber abgesehen davon um eine gelungene Adaption handelt. Es reflektiert die locker-freche Stimmung des Kino-Klamauks auf hervorragende Weise.
Seit Jahren ein Dauerbrenner
Vor allem ist «Minion Rush» ein epochaler Dauerbrenner. Im Juni 2021 vermeldete der französische Entwickler Gameloft eine Milliarde Downloads. Es gibt eine riesige loyale Nutzerschaft, zu der ich mich auch zähle. Zwar verleidete mir das Spiel zwischenzeitlich. Doch die Begeisterung flammte wieder auf. Das passierte, nachdem ich es am AppleTV wiederentdeckt hatte. Ich zocke es wieder regelmässig und habe viel zu viel Energie darin investiert, unzählige Spielfiguren aufzurüsten.
Gameloft tut einiges, um das Interesse wachzuhalten. Das geschieht durch grosse Updates, bei denen die Spielweise zwar unangetastet bleibt, doch das ganze Drumherum komplett verändert wird. Ein erster Radikalumbau fand 2018 zum fünften Jubiläum statt.
Verändert wurde damals die Art und Weise, wie man Fortschritte erzielt. Das Jelly-Labor, das den Spieler durch die Missionen geleitete, musste über die Klippe springen. Stattdessen gab es «Events» im «Top-Banana-Raum». Zentral waren nun die mehreren Dutzend Minions, die man freispielen und in ihren Fähigkeiten verbessern konnte: Jeder einzelne dieser Figuren hatte besondere Talente, die einem im Top-Banana-Raum nützlich waren. Die «epischen» Minions waren am begehrtesten, weil sie den Spielfortschritt für spezifische Aufgaben wie Bananen mit der Grus-Rakete oder Zahl der Durchrutscher mit aktiviertem Bananensplitter massiv beschleunigten. Und ja: Per letzter Woche hatte ich eine beachtliche Sammlung von epischen Minions beieinander.
Alles weg?!
So ist meine Schreckreaktion zu erklären, als am Mittwoch letzte Woche davon nichts mehr zu sehen war: Das Game teilte mit, ein grosses Update hätte stattgefunden und startete mit dem Tutorial, das mir die Spielweise erklärte. Nackte Panik! Gab es einen Total-Reset? Ist mein Spielstand verloren? Muss ich von vorn anfangen?

Nach einigen hektischen Google-Aktionen kam Licht in die Sache: Zum 25. Jubiläum des Entwicklers Gameloft¹ spendierte er «Minion rush» das sogenannte «massive update». Das hat die erfreuliche Auswirkung, dass die vorher beim besten Willen nicht mehr zeitgemässe Grafik dank der Unity Engine wieder frisch und knackig wirkt. Vor allem aber bringt das «massive update» nach 2018 wiederum ein neues System, um den Fortschritt zu messen.
Das heisst, dass wir unseren Spielstand migrieren müssen. Dafür sei das Transfer System zuständig, schreibt Game Loft:
Wir empfehlen Ihnen dringend, die aktuelle Version von Minion Rush mit einem Ihrer Cloud-Konten zu verbinden. Dies gilt für Benutzer, die 18 Jahre oder älter sind.
Melden Sie sich bei einem mit der Cloud verbundenen Konto an, das über genügend Speicherplatz verfügt, um Ihre Spieldaten mit einer der folgenden Methoden zu speichern und zu sichern:
- Automatische Anmeldung bei Google Play Games/Apple Game Center
- Manuelle Anmeldung bei Google Play Games/Game Center/Apple ID/Facebook.
Damit sind wir beim ersten Problem: Dieser gute Ratschlag nützt nichts, weil das Update ohne Vorwarnung ausgeführt und in der alten Version kein einziges Mal auf die entsprechenden Vorkehrungen hingewiesen wurde. Und um Spieler unter 18 Jahren scheint sich Gameloft überhaupt nicht kümmern zu wollen. Was mich angeht, stellte sich mit Verzögerung heraus, dass der Transfer dank Log-in in Apples Game Center erfolgreich war. Meine vielen Minions sind noch vorhanden. Uff!

«Bananenmünzen können nicht übertragen werden»
Auch die hart erarbeiteten violetten Marken sind noch da. Aber sonst fehlt es an allen Ecken und Enden: Die aufgesparten Bananen sind weg, ebenso die gelben Münzen. Wiederum liefert Gameloft einen Tipp, der im Nachhinein nichts mehr nützt:
Wichtig: Bananenmünzen werden in der aktualisierten Version nicht mehr als Währung verwendet und können nicht übertragen werden. Wir empfehlen euch, sie bis dahin in der aktuellen Version auszugeben. Bitte beachtet, dass es sich bei dem «Massive Update» um ein permanentes Update handelt, sobald es installiert ist. Das bedeutet, dass ihr nicht zu der älteren Version des Spiels zurückkehren könnt.
Und das ist das zweite Problem: Diese Münzen konnte man sich erarbeiten, wie ich es getan habe. Es gibt aber auch Leute, die den Weg über die In-App-Käufe gegangen sind. Man stelle sich vor, dass jemand ein paar Tage oder Wochen zuvor ordentlich Geld in die Hand genommen hat, um Bananenmünzen anzuschaffen, die sich alle in Luft aufgelöst haben. Das nur als Beispiel: Mit In-App-Käufen konnte man sich in der alten Version viele weitere Vorteile verschaffen, die in der neuen Version keine oder nur mehr eine geringe Rolle spielen.
«Sehr viel Geld ausgegeben»
Das war ein grosser Kritikpunkt beim Update 2018, z.B. auf Reddit:
Die Minion-Kostüme sind so ziemlich die gleichen wie vorher. Aber sie wurden nicht ins neue Spiel übernommen. Genau sowenig wie die Bananen und die Jetons. Ich habe nie Geld für «Minion Rush» ausgegeben, aber die Token konnte man bis gestern Abend kaufen. Und jetzt sind sie alle weg, ohne die Kunden gewarnt worden wären. Meine Befürchtung: Was ist, wenn Gameloft eines Tages beschliesst, DMK [Disney Magic Kingdoms] zu erneuern und man alle seine Charaktere, Gebäude und Edelsteine verliert? Ich habe sehr viel Geld für dieses Spiel ausgegeben.
Eine schönere Grafik und Abwechslung bei der Spielweise könnte die Begeisterung bei langjährigen Spielerinnen und Spielern neu entfachen. Bei der radikalen Umkrempelung des Store-Sortiments ist das offensichtlich nicht der Fall: Die sorgt für Verunsicherung, Frustration und Ärger. Es liegt auf der Hand, dass Gameloft die nicht im Interesse der User vornimmt, sondern die Verkäufe ankurbeln will – indem zwar kein vollständiger, aber ein teilweiser Reset² erfolgt.
Lohnt sich das? Da Gameloft diesen «Stunt» nach 2018 zum zweiten Mal durchzieht, ist das mutmasslich der Fall.

Für Spielerinnen und Spieler ergibt sich eine andere Lektion: Beim Kauf solcher digitalen «Güter» ist nicht gewährleistet, dass sie ihren Wert auch behalten. Sie können über Nacht entwertet werden.
Aber ist das auch rechtens? Achtung, für den letzten Teil dieses Blogposts sind starke Nerven gefragt.
Denn ich bin bei der Recherche über die «Richtlinie (EU) 2019/770 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2019 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen» gestolpert. Interessant ist der Artikel 7:
Die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen sind vertragsgemäss, wenn sie, soweit zutreffend, insbesondere a) hinsichtlich der Beschreibung, Quantität und Qualität, der Funktionalität, der Kompatibilität, der Interoperabilität und sonstiger Merkmale den Anforderungen entsprechen, die sich aus dem Vertrag ergeben …
Dann halt zum dritten Mal von vorn
Auf «Minion Rush» angewandt, verstehe ich diesen umständlichen Juristensprech so, dass wir Konsumentinnen und Konsumenten das Recht haben, unsere Bananenmünzen in «Minion Rush» so auszugeben, wie wir das beim Kauf beabsichtigt hatten. Aber ich liege sicherlich auch nicht falsch in der Annahme, dass die Nutzungsbestimmungen diesen Fall vorwegnehmen. Beispielsweise durch den Hinweis, dass sich Inhalte jederzeit ändern können und In-Game-Güter nicht gekauft, sondern lizenziert werden.
Es bleiben uns zwei Möglichkeiten: Entweder ein solches Spiel nur zu spielen,
- nachdem wir ein Studium in EU-Recht erfolgreich abgeschlossen haben oder
- aber auf In-App-Käufe komplett zu verzichten.
Fussnoten
1) Gemäss Wikipedia wurde das Unternehmen schon 1999 gegründet. Vielleicht hatte das «Massive Update» eine ziemlich massive Verspätung. Oder die Zeitrechnung beginnt erst mit der Veröffentlichung des ersten Spiels «Valdo and the Pirates», wie es auf der Firmen-Wevbsite heisst. ↩
2) Zum Reset zählt auch, dass die diversen Spielwelten (locations) bis auf das Startgebiet (Grus Labor) wieder gesperrt sind. Treue Spielerinnen und Spieler müssen sie nach dem grossen Update von 2018 nun zum zweiten Mal freispielen. Das ist angesichts der Zahl massiv frustierend. Gemäss Zählung des Despicable Me Wiki handelt es sich um Grus Labor, das Wohngebiet, der Minion-Strand, El Machos Anwesen, Eduardos Haus, die Pyramiden, das Einkaufszentrum, das Gefängnis, das Super Spassland, Pier 12, die arktische Basis, der Minion-Park, Bratts Anwesen, der Vulkan, Vectors Festung und Anti-Villain League. Plus das wirklich hässliche Freedonia und die leider 2018 beseitigte Innenstadt. ↩
Beitragsbild: Die wahren Lakaien sind die, die dieses Spiel spielen (Alexas_Fotos, Pixabay-Lizenz).