Google wird zum Totengräber des Webs

Was hat Google 2024 geleistet? Der Jahres­rück­blick fällt bitter aus: Der Such­ma­schi­nen­kon­zern greift den Kon­sum­en­tin­nen und Kon­sumen­ten immer tiefer in die Tasche und hat nur noch die eige­nen In­teres­sen im Sinn.

Googles Meisterleistung im Jahr 2024 ist ohne Zweifel die Preisgestaltung beim Premium-Abo von Youtube. Dort hat es «Anpassungen» gegeben – natürlich nach oben: Seit September kostet das Einzelabo statt 15.90 jetzt 17.90 Franken, plus zwei Franken. Um geschlagene zehn Franken teurer wird das Familienabo: Das schlägt neu mit 33.90 statt 23.90 Franken zu Buch.

Lassen sich diese happigen Preisaufschläge rechtfertigen? Im Mail mit der Ankündigung liefert Google folgende Begründung:

Wir können dadurch auch weiterhin die Premium-Mitgliedschaft verbessern und die Creator und Künstler, deren Inhalte du auf Youtube findest, angemessen unterstützen.

Aber bekommen die Inhaltsanbieter und Künstler tatsächlich mehr Geld? Auf Reddit habe ich dazu einen Kommentar gefunden, der mir einleuchtet. Ich zitiere ihn in voller Länge:

Hahahhahahhaha.

Ein anderer beschied dem Fragesteller, der nach der Lohnerhöhung bei den Youtubern fragte, er sei ein «sweet sweet innocent child». Höre ich eine gewisse Verbitterung heraus?

Youtube, wo ist mein Geld?

Klar, denn so lange Youtube nicht klar angibt, in welcher konkreten Form sich die Preiserhöhung für die Ersteller der Inhalte positiv auswirkt, bleibt das eine hohle Phrase.

Was mich als Content-Creator auf Youtube angeht, mache ich aus meiner persönlichen Verbitterung keinen Hehl: Youtube beteiligt mich weiterhin nicht am Werbeumsatz, weil ich seit sechs Jahren nicht mehr am Monetarisierungsprogramm teilnehmen darf. Ich habe mal durchrechnen lassen, welchen Betrag ich deswegen nicht bekommen habe: ChatGPT kommt auf 379 US-Dollar, Perplexity sogar auf 632 US-Dollar (bei 126’253 Aufrufen und 15’422 Wiedergabestunden seit Anfang 2018).

Tausende Wiedergabestunden ergeben Einnahmen von 0.

Aus meiner Erfahrung mit Youtube muss mir dieses Unternehmen daher nicht als hehrer Vertreter der Creator-Interessen kommen. Aber auch wenn wir diesen persönlichen Groll beiseitelassen, liefert das Statement keine Erklärung dafür, warum der Familientarif so viel stärker ansteigt als das Einzelabo – nämlich um 41,8 Prozent statt 12,6 Prozent: Diese Diskrepanz liesse sich nur rechtfertigen, wenn Youtube nachweisen könnte, dass Kinder das Angebot überproportional stärker nutzen als die Eltern.

Den grössten Preisaufschlag gibt es dort, wo der geringste Widerstand droht

Da diese Tariferhöhung weit über das hinausgeht, was sich mit der allgemeinen Teuerung rechtfertigen liesse, liegt eine andere Vermutung auf der Hand: Die Eltern getrauen sich nicht, trotz des massiven Preisaufschlags, Youtube Premium zu kündigen. Denn natürlich würden die Kinder toben und die Wohnung in Schutt und Asche legen.

Damit sind wir beim gleichen Fazit angelangt, das wir der Jahresmusterung für Google schon in früheren Jahren ziehen mussten: Google nutzt seine Marktmacht aus, um Umsatz zu bolzen.

Und um sich das Web nach eigenem Gusto zurechtzubiegen. Das exemplarische Beispiel in diesem Fall ist das Manifest V3, das nun in Googles Chrome-Browser Einzug hält. Es führt dazu, dass Tausende Erweiterungen unbrauchbar werden. Betroffen sind vor allem solche, die Werbung und Tracker blockieren und Googles Geschäftsinteressen entgegenstehen.

Die KI in der Suchmaschine bedroht das Web

Google schaut nur noch auf den Umsatz – nicht mehr auf die Bedürfnisse der User.

Was sonst? Google hat es nicht geschafft, den Rückstand im Bereich der künstlichen Intelligenz aufzuholen. Im Juni habe ich die grossen Sprachmodelle von ChatGPT, Copilot, Claude und Mistral mit Gemini verglichen und festgestellt, dass sich die von Google am leichtesten übertölpeln lässt. Allerdings ist es genau diese KI, die inzwischen auch in der Suchmaschine anzutreffen ist. AI Overview heisst die Funktion, die Google seit Mai testet.

Ich sehe diese Neuerung kritisch: Sie bedroht das Web, wie wir es bisher kennen. Denn wenn die Suchmaschine per KI uns Antworten liefert, gibt es keinen Grund mehr, die Websites aufzusuchen, von denen die zugrundeliegenden Informationen stammen.

Man kann das auch als gigantischen Content-Klau verstehen, den Google betreibt. Nilay Patel, der Chefredaktor von «The Verge», bezeichnet die Folge dieser Entwicklung als «Google zero» – für Zero vermittelte Klicks ins Web. Patel verweist auf den Blogpost der Betreiberin einer unabhängigen Website, die sagt, dass Google unabhängige Websites aus dem Markt drängt. Und:

Ich habe Google-CEO Sundar Pichai Anfang des Monats um eine Stellungnahme gebeten. Ich habe auch erfolgreiche Medienmanager wie Meredith Kopit Levien von der «New York Times» und Perkins Miller von «Fandom» gefragt, wie sich Google Zero auf sie auswirken würde. Niemand hat mir eine gute Antwort gegeben. Es scheint, dass die Medienindustrie immer noch glaubt, bei gegebener Zeit dieses Problem in den Griff zu bekommen. Aber für viele kleine Unternehmen findet Google Zero jetzt statt. Der Ereignisfall ist eingetreten und er fühlt sich unüberwindbar an.

Hat Google keine andere Vision für die Suchmaschine und das Web? Ich hatte die Gelegenheit, anlässlich des zwanzigsten Geburtstags von Google Schweiz diese Frage der Chefin der hiesigen Niederlassung zu stellen. Christine Antlanger-Winter hat nichts angedeutet, was über AI Overview hinausging.

Mit Trump sinken die Chancen auf eine Aufspaltung Googles

Dabei könnte die KI das exakte Gegenteil bewirken: Die künstliche Intelligenz eröffnet die Möglichkeit, die Suchmaschinen besser und fairer zu machen und die qualitativ hochwertigen Inhalte zu fördern. Ich habe mir Gedanken dazu gemacht, wie ein völlig neues Google aussehen könnte. Ob diese Idee realistisch ist oder nicht, wird für immer im Dunkeln bleiben. Denn Google hat keinerlei Interesse mehr, das Web zugunsten der Menschheit zu verbessern. Stattdessen ist der Konzern nur noch auf den Eigennutz bedacht. Wenn dabei eine der grössten Erfindungen auf der Strecke bleibt, dann ist das anscheinend ein Opfer, das er gerne für seine Rendite bringt.

Ich bin pessimistisch. Das einzige, was die Situation verbessern würde, wäre eine Aufspaltung von Google. Dieses Szenario steht nach dem verlorenen Kartellverfahren in den USA im Raum. Doch mit Donald Trump als neu-altem Präsidenten und «Make America great again» bin ich nicht sicher, ob eine solche Forderung politisch noch opportun ist.

Beitragsbild: Hier ist Googles Ethikkommission untergebracht (Stable Diffusion).

3 Kommentare zu «Google wird zum Totengräber des Webs»

  1. Die Enshittification schreitet fort. Google wird immer schlechter, teilweise gerade wegen der KI. Ich habe kürzlich an einem Webinar zum Thema „die Zukunft von SEO“ teilgenommen. Die Marketingfritzen stellen sich als Reaktion auf „AI Overview“ vor, das Model von Google durch Unmengen an sinnlosem Inhalt zu beeinflussen. Bei SEO hat man geschaut, dass die eigenen Inhalte möglichst gut gefunden werden konnten, damit Google prominent darauf verlinkt. Jetzt gibt es Tools, die ganze „Schattenwebsites“, also Teile der Firmenwebsite, die nicht von Menschen besucht, aber von Google indexiert bzw. von der KI „gelernt“ werden, erstellen.

    Die Firma Meier Küchen AG erzeugt mit einem solchen Tool Dutzende bis Hunderte Seiten zum Thema Küchen. Von Materialien für die Abdeckung bis zu Küchengeräten. Es wird immer eingestreut, dass die Firma Meier Küchen AG solche Küchen baut, Marktführer ist, die Kunden zufrieden sind etc. Seitenweise KI-generiertes Blabla. Inhalte für KI, nicht für Menschen.

    Wenn „AI Overview“ dann bei der Suche nach „Küchenrenovation“ die Firma Meier Küchen AG erwähnt, hat die Agentur ihren Job gut gemacht. Für den normalen Internetbenutzer ist die Erfahrung wesentlich schlechter im Vergleich zu früher.

    Überhaupt wird es immer mühsamer im Web. Früher hat einmal ein Popup-Blocker gereicht. Heute benötigt man einen Cookie-Manager und einen Consent-Bar-Blocker.

    Selbst konservativere Firmen sind schamlos geworden. Besucht man tagi.ch ohne Schutz, wird man damit begrüsst, dass „wir und unsere 395 Partner“ gerne personenbezogene Daten speichern würden. Lieber Tagi, ich vertraue ja euch, aber sicher nicht euren 395 Partnern. Ok, ablehnen.

    Nach einer perfiden kurzen Verzögerung wird alles blockiert, die nächste „Information“ springt in den Vordergrund: Eine Weihnachtsaktion. Das ist, als würde sich im Laden der Verkäufer von hinten anschleichen und einen anschreien. Marketingleute haben jegliche Hemmungen verloren. (Diesbezüglich hatte Mani Matter leider unrecht.)

    Die Enshittification dehnt sich aus auf den Journalismus. Der ist mehr oder weniger tot. Es gibt in der Schweiz gefühlt noch zehn oder zwanzig Journalisten, die ihren Beruf ernst nehmen. Ich habe kürzlich gelesen, die Zeitung „20 Minuten“ werde 25 Jahre alt. Zur Zeit der Erstausgabe war ich in der Ausbildung und habe sie jeden Morgen gelesen. Da stand noch was drin. Kurz, aber relevant und wahr. Der Rätsel-Krimi-Comic war zum Teil sehr schwierig.

    Heute: Clickbait überall, Emotionalisierung, Skandalisierung ohne jede Hemmung.

    So, habe fertig. Kann ja nur noch besser werden. 😀

  2. ZUm Glück komme ich eigentlichganz gut ohne Guugel aus. Es gibt gute Suchmaschinen-Alternativen. Es gibt auf Linux Programme wie NewTube, und notfalls kann ich dank e/OS/ auf meinem Fairphone auch ganz gut ohne via Guugel bezahlte Apps leben.

Kommentar verfassen