Elon Musk: Twitters Untergang oder Rettung?

Der Tesla-Chef wird zum Gross­aktionär und Verwal­tungs­rat bei Twitter. Möglich, dass er nun die abso­lute Meinungs­frei­heit einführen will – was man ihm als Heu­che­lei auslegen müsste. Plus: Sechs Prozent Offliner in Deutschland.

Die wichtigste Tech-Meldung diese Woche ist Elon Musks Coup, sich an Twitter zu beteiligen, bzw. eine bestehende Beteiligung massiv auszubauen. Drei Milliarden hat er in die Hand genommen, um sich 9,2 Prozent des Aktienkapitals und einen Sitz im elfköpfigen Verwaltungsrat zu beschaffen. Nach dem Rückzug von Jack Dorsey ist es nicht verkehrt, wenn dort wieder eine charismatische Persönlichkeit Einzug hält. Ob Musk die richtigen Akzente setzt, darf allerdings bezweifelt werden.

Das vermutet auch Philipp Löpfe (einer meiner Ex-Chefs) bei «Watson»:

Politisch gesehen ist Musk eine unberechenbare Zeitbombe. Er neigt zu libertären Ansichten, die sich nicht selten mit rechtem Gedankengut verbinden.

Gut denkbar, dass er die Bemühungen bei Twitter, die Lügner, Propagandisten und Fakenewsverbreiter einzuhegen, zunichtemachen will. Musk hat sich in der letzten Zeit immer mal wieder die völlige Meinungsfreiheit eingesetzt. Nicht sehr glaubwürdig, wie «Business Insider» berichtet: Obwohl er sich als «Absolutist der Meinungsfreiheit» bezeichne, habe er in des Öfteren Vergeltung gegen Mitarbeiter und Kritiker geübt.

John Bernal ist ein Ex-Mitarbeiter, der offenbar am eigenen Leib erfahren hat, wo Musks Liebe für die Meinungsfreiheit endet. Hier in diesem Video erzählt er, er sei im Februar auf die Strasse gestellt worden, wobei ein Youtube-Video als Begründung für die Entlassung herhalten musste. Bernal sagt, er habe seine Videos während seiner Freizeit mit privaten Mitteln erstellt.

Fastcompany.com wiederum rollt den Fall des Bloggers «Montana Skeptic» auf, der es darauf abgesehen hatte, mit fallenden einem fallenden Aktienkurs Geld zu verdienen – was man als Leerverkauf oder Short kennt. Das ist zwar legal, hat Musk aber offenbar nicht in den Kram gepasst. Jedenfalls hat «Montana Skeptic» aus dem Netz verabschiedet, weil Musk herausgefunden habe, wer er sei, sein Unternehmen angerufen und mit der Juristenkeule gedroht habe. Das liest sich in seinem Blog «Seeking Alpha» wie folgt:

Mein Kollege hat dann mit Elon Musk telefoniert (er war es tatsächlich). Herr Musk beschwerte sich bei meinem Kollegen über meine Beiträge bei «Seeking Alpha» und auf Twitter. Herr Musk sagte, wenn ich weiter schreiben würde, würde er einen Anwalt einschalten und mich verklagen.

Das riecht etwas danach, als ob Musk die Meinungsfreiheit hauptsächlich für sich beansprucht – was leider scheinheilig wäre.

Das ist noch nicht die ganze Geschichte. Es sieht auch so aus, als sei Musk günstig zu seinem Anteil an Twitter gekommen. Matt Levine von «Bloomberg» erklärt diesen Sachverhalt wie folgt:

Die Leute hätten ihre Aktien zu 50 Dollar verkaufen können, wenn sie gewusst hätten, dass Musk ein grosser Anteilseigner werden will. Musk wäre verpflichtet gewesen, diese Information offenzulegen, doch her hat das nicht getan und hat sich stattdessen zu 39 Dollar pro Aktie eingedeckt. Wäre ich Direktor der Elon-Musk-Abteilung bei der US-Börsenaufsichtsbehörde, ich würde ihn auf jeden Fall deswegen belangen.

Kara Swisher bei der «New York Times» kommentiert das wie folgt:

Ob versehentlich, clever, ein Taschenspielertrick, ungezügelte Gier oder ein ungeheuerlicher Verstoss – je nachdem, wie man zu Musk steht –, die verdächtige Offenlegung passt genau zu seiner ablehnenden Haltung gegenüber der Börsenaufsichtsbehörde.

Ich hoffe, dass Musks Einfluss bei Twitter gering bleiben wird. Mir ist zwar klar, dass das Bild, das Musk in der Öffentlichkeit abgibt, stark verzerrt und vielleicht auch komplett falsch ist. Trotzdem sehe ich die Gefahr, dass er seine persönlichen Interessen über die der breiten Nutzerschaft stellt.

Es kann auch sein, dass er – unabhängig von seinen Motiven – einfach nicht die richtigen Ideen für Twitter hat. Denn wie der Podcast Schlecht beraten in der Folge Visionär mit Sehschwäche darlegt, fahren dem Tesla-Gründer nebst seinen mitunter genialen Gedanken auch immer mal wieder Furzideen ins Gehirn…


Es gibt sie noch, die Offliner

3,8 Millionen Deutsche waren noch nie im Internet, habe ich diese Woche bei «Die Zeit» gelesen. Das sind sechs Prozent der Einwohner im Alter zwischen 16 und 74 Jahren. Bei den 65- bis 74-Jährigen beträgt der Anteil der Abstinenten acht Prozent, unter 55 Jahren um die drei Prozent.

Das fand ich beeindruckend. Es zeigt, dass man im gleichen Land bzw. Sprachraum existieren und doch in unterschiedlichen Welten leben kann. Denn so lange ich nicht schlafe, nutze ich das Internet. Quasi alles, was ich an Arbeit verrichte, geschieht online. In der Freizeit sind Netflix, Podcasts, Hörbücher, Blogs, News-Websites und IP-TV angesagt. Und sogar beim Essen, wo das Handy normalerweise ausser Reichweite liegt, hören wir oft Musik via Spotify.

Was es heisst, alle Tätigkeiten offline zu erledigen, kann man nur erahnen. Der Beitrag erwähnt, das «Leben der Offliner sei in der Corona-Pandemie noch umständlicher geworden», weil man fürs digitale Zertifikat das Handy braucht und Termine immer öfters online bucht. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die das «Digital Detox» propagieren oder gar glorifizieren würden – siehe hier –, aber vielleicht wage ich das Experiment doch einmal: Eine Woche lang wieder leben wie vor dreissig Jahren. Allerdings stellt sich in der Tat die Frage, wo man noch ein Kurs- oder Telefonbuch herbekommt.

In der Schweiz sieht es gemäss dieser Grafik von Statista ähnlich aus: Nach der waren 2019 8,2 Prozent Offliner. Seitdem ist die Zahl, nicht nur, aber auch wegen der Pandemie, sicherlich noch deutlich gesunken.

Beitragsbild: Mir schmeckt Musks Twitter-Beteiligung nicht sonderlich (Edgar Moran, Unsplash-Lizenz).

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