«Digital Detox» kann fatal enden

Ist es nötig, dass der moderne, von seinen Kom­muni­ka­tion­smitteln gepie­sackte Mensch sich zur Selbst­rei­ni­gung in die digitale Aske­se begibt? Ich teile Arno Strobels Ansicht, der in seinem Thriller «Offline» Offliner mit dem Tod be­straft.

Wenn schon, dann würde man das als E-Book lesen wollen.

Bei dem Titel konnte ich nicht widerstehen: Offline – Du wolltest nicht erreichbar sein. Jetzt sitzt du in der Falle, heisst das Werk, das im Genre des Psychothrillers angesiedelt ist.

«Fünf Tage ohne Internet» stellt der Klappentext in Aussicht. Allein bei dieser Vorstellung stecke ich schon mitten im Psychothriller – ohne die Notwendigkeit eines verrückten Täters, der irgendwoher um die Ecke kommt, um die Leute reihenweise zum Schweigen zu bringen. Ich bin kein Fan von selbst verordnetem Internetverzicht und das Digital Detox, um das es hier gehen soll, halte ich für esoterischen Unsinn.

Doch im Fall des vorliegenden Buchs ist der Offline-Status erst der Anfang des Psychrodramas. Eine Gruppe von Leuten will aus freien Stücken (bzw. teils auch auf Anordnung des Arbeitgebers) dem digitalen Stress entsagen. Damit sie nicht erreichbar sind, ziehen sie sich in ein leerstehendes Bergsteigerhotel zurück, das auf zweitausend Metern Höhe auf dem Watzmann in den Berchtesgadener Alpen steht. Und wie es der Zufall will, fängt es justament nach Ankunft so zu schneien an, dass an eine vorzeitige Abreise nicht zu denken ist. Ohne Handys und ohne Netz gibt es keine Möglichkeit der Kontaktaufnahme. Zumal auch das einzige Kommunikationsmittel – ein Funkgerät, mit dem man die Bergwacht hätte rufen können – dem Irren zum Opfer fällt.

Wie bereits absehbar ist, sind mehrere klassische Versatzstücke in diese Geschichte eingeflossen: Man erkennt Anleihen eines Survival Thrillers, bei dem ein Protagonist oder eine Gruppe in feindlicher Umgebung überleben muss. Bei «Offline» ist die unfreundlich gestimmte Natur mit ihren massiven Schneefällen jedoch nicht viel mehr als Kulisse. Wichtiger ist das Motiv, das Agatha Christie in Und dann gabs keines mehr zelebriert hat: Von zehn Leuten wird einer nach dem anderen um die Ecke gebracht, weil sie es, salopp gesagt, nicht besser verdient haben.

Es birgt Risiken, Agatha Christie nachzueifern

Das 1939 geschriebene Buch befindet sich in der Top-20 der meistverkauften Bücher und es trifft auch heute noch einen Nerv. Es leuchtet daher unmittelbar ein, dass ein Autor in Versuchung geraten kann, sich für ein eigenes Werk inspirieren zu lassen.

Allerdings gibt es zwei Probleme: Erstens muss man sich an Agatha Christie messen lassen – und bei diesem Vergleich kann man nur schwer gewinnen. Zweitens ist es eine Herausforderung, das Setting in die Gegenwart zu transferieren: Wegen der Handys, des drahtlosen Internets und der Satellitentelefonie muss ein Autor einige Verrenkungen vornehmen, um die passende Ausgangslage zu schaffen und die Protagonisten in eine Umgebung zu versetzen, in der es unmöglich ist, Hilfe zu rufen oder sich in Sicherheit zu bringen. Da braucht es schon eine abgelegene Bergspitze und viel Schnee – und trotzdem gibt es das Problem, dass das in Zeiten des Klimawandels je länger je weniger nachvollziehbar ist.

Da war die Idee von Arno Strobel nicht so schlecht, aus der Not eine Tugend zu machen und das Digital Detox, also die absichtliche Flucht vor moderner Technologie, zum Ausgangspunkt der Geschichte zu erklären. Und Strobel macht sich auch die Mühe, den Leser mittels eines Prologs einzustimmen, in dem eine Frau durch ihren smarten Lautsprecher mit dem Tod bedroht wird – das lässt darauf hoffen, dass auf fiktionaler Ebene eine interessante Auseinandersetzung mit den digitalen Mitteln stattfindet.

Wer kommunizieren will, der wird kommunizieren

Doch um die Katze an dieser Stelle aus dem Sack zu lassen: Dieses Versprechen wird durch das Buch nicht eingelöst. Um das zu erklären – und auch eine Idee von Strobel zu erwähnen, die mir hervorragend gefallen hat –, komme ich ums Spoilern nicht herum. Das mache ich gleich, doch hier erst einmal mein Fazit für Leute, die das Buch allenfalls lesen möchten:

Ein Tech-Thriller oder gar eine tiefgründige Auseinandersetzung mit der Rolle, die Smartphones und das mobile Internet in unserem Leben spielen, ist «Offline» nicht. Es handelt sich vielmehr um eine Art Kammerspiel, bei dem man als Leserin miträtselt, wer von der Gruppe denn der verrückte Täter sein könnte. Er bringt seine Opfer zwar nicht um, sondern macht sie blind, taub und stumm, sodass sie keine Mittel zur Verständigung mehr haben – und gewissermassen für immer «offline» sind. Das kann man natürlich philosophisch deuten, doch das Buch legt einem das nicht nahe.

Wenn man «Offline» eine Botschaft zuschanzen will, dann würde ich die in einer Laudatio auf die unstillbare Kraft der Kommunikation sehen. Wenn jemand einem anderen etwas mitteilen will – und dieser andere bereit ist zu hören –, dann gibt es einen Weg. Das ist, immerhin, eine positive Aussage für eine Geschichte, in der sich einige Figuren nicht gerade von einer menschlichen Seite zeigen, sondern zu Vorverurteilung und Selbstjustiz neigen.

Ein abgründiges Remake

Also, den Zweck der Unterhaltung erfüllt das Buch. Wobei man, wenn schon, auch gleich zu And Then There Were None greifen könnte. Übrigens ist mir aufgefallen, dass Strobel das fast gleiche Buch schon einmal für Teenager geschrieben hat. Das ist 2014 erschienen, heisst Abgründig und hat Figuren, die teils sogar die gleichen Namen tragen.

Amiramin695, CC BY-SA 4.0

Achtung, ab hier mit Spoilern:

Wie angedeutet, spielt die Technologie in dem Buch keine entscheidende Rolle. Die Antagonistin namens Katrin, die von ihrem smarten Lautsprecher Ella mit dem Tod bedroht wird, ist schizophren – alles spielt sich in ihrem Kopf ab. Sie will sich an ihrem Freund Florian rächen, weil der es auf ihr Leben abgesehen hat. Doch dieser weiss noch nicht einmal, dass es Katrin überhaupt gibt – er lernt sie erst kennen, als er mit ihren Vorwürfen konfrontiert wurde. Dazu drängt sie temporär ihren Wahnsinn zurück, ändert den Namen und fädelt alles ein, was sie für ihre Rache braucht – inklusive Kauf der Agentur, die die Digital Detox-Veranstaltung durchführt. Das erste Opfer, Thomas, war nur ein Versuchskaninchen. An ihm hat sie ausprobiert, wie sie die Sinne ihrer Opfer ausschaltet, ohne dass besagtes Opfer an seinen Verletzungen stirbt.

So einer Figur kann man alles in die Schuhe schieben

Und das ist, mit Verlaub gesagt, die billigste aller erzählerischen Finten: Einer wahnsinnigen Figur, der man ihren Wahnsinn nicht ansieht, kann man alles in die Schuhe schieben.

Wenn alles nur im Kopf der Figur stattfindet und sie im Verlauf der Erzählung nicht auf wirkliche Ereignisse Bezug nehmen kann, dann ergeben sich für den Leser und die Leserin auch keine Möglichkeiten mitzurätseln. Eine spannende Geschichte, wie sie namentlich von Agatha Christie erzählt wird, lebt hingegen davon, dass Figuren eine gemeinsame Geschichte haben. Diese Dinge zeigen sich in Gesprächen, in überraschenden Begegnungen und in Hinweisen, die Figuren unabsichtlich geben. Wenn man die Geschichte nach der Aufklärung rückwärts abspielt, sieht man, wie sich die Anzeichen – selbst wenn sie nicht erkannt oder verstanden hat –, auf den Täter und dessen Motiv deuten.

In «Offline» bleiben die Figuren, abgesehen von der Täterin und von Jenny, mit der wir den Showdown erleben, flach und letztlich austauschbar. Und auch wenn Strobel etwas über ihre Charaktere und Biografien durchblicken lässt, so bleiben die zu seicht, dass die Gruppendynamik, der Streit und die Konflikte die Bezeichnung «Psychothriller» im Klappentext rechtfertigen würden.

Es bleibt auch das «plot hole», dass die irre Katrin den Schneesturm nicht voraussehen konnte – der kam nämlich für alle überraschend. Ohne den Schneesturm hätte ihr Plan aller Vorbereitung zum Trotz nicht funktionieren können, weil die Gruppe nach dem ersten Angriff nämlich einfach das Weite gesucht hätte.

Wirkliche Spannung rührt von Konflikten her, nicht von einer namenlosen Bedrohung

Für angehende Autoren gibt das Buch eine wichtige Erkenntnis her: Eine spannende Geschichte lebt von den Figuren, ihren Biografien und Motiven – auch wenn man sich als Autor über die Runden retten und Spannung aufbauen kann, indem man eine Drohkulisse aufbaut und die Hintergründe und Art der Bedrohung bis zum letzten Satz vor der Aufklärung komplett in der Schwebe lässt.

Wie oben erwähnt, finde ich eine Plot-Idee des Autors aber wirklich gelungen: Das ist die Art und Weise, wie Jenny mit der gelähmten Anna kommuniziert. Sie tun das über Ascii-Zeichen, die sie in binärer Form durch Ja-/Nein-, bzw. 1-/0-Gesten vermitteln. Das hat mich als Nerd erfreut…

Beitragsbild: Irgendwo hier oben müsste das fiktive Berghotel zu finden sein – bloss mit mehr Schnee (Felix Mittermeier, Pexels-Lizenz).

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