Wo feiert Hitler Geburtstag? Auf Twitter

Twitters Abodienst Blue fördert nicht die ver­nünf­tigen Stimmen, sondern die Extreme. Das gibt mir sehr zu denken.

Neulich hatte ich mich auf Twitter darüber ausgelassen, dass Elon Musks Twitter-Blue-Initiative ein Misserfolg sei: Ich habe mir die Liste der Leute angeschaut, denen ich folge und dort nach dem weissen Häkchen auf blauem Grund Ausschau gehalten.

Ich habe mir nicht die Mühe einer präzisen Auszählung gemacht. Aber auch eine Auswertung Handgelenk mal Pi ist offensichtlich: Es gibt einige Accounts mit einer Millionen-Gefolgschaft, deren Inhaber das Häkchen geschenkt bekommen haben. Abgesehen davon hat nicht einmal jeder Zwanzigste sich zu einem Abo durchringen können. Dabei gibt es gute Gründe für ein Abo; etwa die Möglichkeit, ein Tweet nachträglich zu bearbeiten.

Mehr Reichweite gegen Geld ist nicht sozial

Natürlich gibt es auch Gründe dagegen: Der gewichtigste scheint mir, dass ein solches Abo von aussen als implizite Befürwortung von Elon Musks Twitter-Strategie gewertet wird, selbst wenn es aus rein praktischen Gründen abgeschlossen worden ist. Diese Wahrnehmung zeigt sich im Boykottaufruf #BlockTheBlue. Der wiederum wäre überzogen und unsinnig, wenn Twitter Blue nicht eine algorithmische Bevorzugung beinhalten würde: Tweets von Abokunden werden bei Antworten, in Suchen und in den Erwähnungen begünstigt, und in der Für dich-Übersicht sollen bald nur noch Tweets von zahlenden Nutzerinnen und Nutzern auftauchen.

Diese Ungleichbehandlung wirft die Frage auf, ob ein soziales Netzwerk noch sozial ist, wenn sich solvente Nutzerinnen und Nutzer sich eine grössere Reichweite erkaufen können. Und es liegt auf der Hand, dass Leute, die nicht zahlen können oder wollen, das als unsolidarisch erleben. Für mich kommt dieses Abo daher überhaupt nicht infrage, weil ich überzeugt bin, dass in sozialen Netzwerken jede Stimme gleich laut sein muss.

Rassisten kaufen sich Reichweite

«Ich denke, er wäre stolz gewesen auf den Fortschritt, den wir jüngst erzielt haben.»

Meine Einschätzung, Twitter Blue sei ein Fehlschlag, hat zu einer Diskussion Anlass gegeben. Ich habe nämlich leicht polemisch ergänzt, «übelstes Nazigesocks» würde sich unter dem neuen Regime von Elon Musk «wohlfühlen». Ich habe das mit einem Screenshot unterstrichen, auf dem ein Account namens @svenskgroda mit Adolf Hitler Geburtstag gefeiert hat: «Einen glücklichen 134. Geburtstag, Onkel!»

Zugegeben: Diese Liebesbekundung an den Führer ist in ihrer ganzen Widerwärtigkeit kein Beleg für meine Behauptung, denn abscheuliche Hitler-Tweets gab es auch schon früher. Ein hervorragender Beleg für diese Unterstellung kommt indes von BBC-Journalist Shayan Sardarizadeh: Er schreibt, Twitter habe einem Follower des US-amerikanischen Rechtsextremisten Nick Fuentes, der das N-Wort in seinem Handle hat, ein blaues Abonnement mit voller Algorithmusförderung gewährt: «Selbst er konnte es nicht glauben.»

Ich habe eingangs dargelegt, dass viele «normale», das heisst, nicht extreme Nutzerinnen und Nutzer Bedenken haben, ein Abo für Twitter Blue abzuschliessen. Nazis und Rassisten haben im Gegensatz dazu überhaupt keine Skrupel. Wieso sollten sie auch? Diskriminierung und Ungleichbehandlung gehören zu ihrem Glaubenssystem. Sie werden noch so gern dafür sorgen, dass ihre Hassbotschaften besser zu hören sind als die Stimmen der Vernunft – dafür sind sieben Franken im Monat geradezu ein Schnäppchenpreis.

Twitter Blue stärkt die Extreme

Das bedeutet zwangsläufig, dass Twitter Blue den Extremen Vorschub leistet. Wer an Demokratie und Gleichheit glaubt, gehört zu den Verlierern. Und bereit ist, Geld auszugeben, um seine bösartigen Posts zu verstärken, der darf darauf zählen, dass das Häkchen hinter seinem Namen ihm zusätzliches Gewicht und (bei manchen) Glaubwürdigkeit verleiht. Darum ist ein Gefahrenpotenzial, dem Twitter, soweit ich sehe, in keiner Weise Rechnung trägt. Denn wie könnte es sonst passieren, dass der von Shayan Sardarizadeh erwähnte Twitter-Account ohne jede Prüfung für Twitter Blue zugelassen wurde?

Warum ist solcher Dreck auf Twitter?

Zum Glück ist die Content-Moderation bei Twitter noch nicht ganz abgeschafft: Die Meldungen von Nutzerinnen und Nutzern funktionieren noch: Der Account mit dem N-Wort im Namen ist inzwischen gesperrt. Das gleiche Schicksal hat auch @svenskgroda ereilt. ¹

Allerdings sind in dessen Umfeld noch viele weitere ähnlich gelagerte Posts aufzufinden, die Twitter mit einem Minimum an Eigeninitiative präventiv hätte eliminieren können. Und das wäre der Hebel, mit dem mich Musk zum Zahlen bringen könnte: Wenn die Einnahmen aus Twitter Blue vollständig in die Moderation gehen und nicht nur die gemeldeten Tweets angeschaut werden, sondern auch das Umfeld, in dem sie aufpoppen, dann bin ich dabei.

Fussnoten

1) Nachtrag: Zwei Tage, nachdem ich diesen Blogpost veröffentlicht habe, ist @svenskgroda wieder da – mit einem Retweet einer weiteren unverhohlenen Hitler-Verehrung. Ich fürchte, für Twitter ist Hopfen und Malz verloren.

Beitragsbild: Bei Twitter geht einiges durcheinander (Geralt, Pixabay-Lizenz).

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