Ein Upgrade für die Menschheit

Das neue Buch von Blake Crouch beschäf­tigt sich mit der Frage, ob unsere Spezies einer gene­tischen Ver­bes­serung bedarf, damit sie ihre gröbsten Probleme end­lich in den Griff kriegt.

Derzeit kommen die Werke in die Buchhandlungen. die die Autoren während der Pandemie geschrieben haben. John Scalzis neuestes Buch ist ein Beispiel dafür. Upgrade von Blake Crouch ebenso (die deutsche Übersetzung trägt den gleichen Titel).

Allerdings steht auch in diesem Werk nicht ein Virus im Zentrum. Eine Pandemie steht zwar zur Diskussion, aber die Umstände sind so anders, dass böse Corona-Flashbacks nicht zu befürchten sind. Es gibt im Buch indes eine latente Weltuntergangsstimmung, die allerdings genauso von der Klimakrise verursacht sein könnte. New York jedenfalls, wo der Showdown stattfindet, steht grossteils unter Wasser. Denn, der Meeresspiegel hat das gemacht, was zu befürchten war: Er ist gestiegen.

Was für Computer gut ist, kann für Menschen nicht verkehrt sein.

Damit ist klar, dass es sich um eine Near-Future-Science-Fiction-Geschichte handelt; also um eine Zukunftsvision, die für uns Zeitgenossen absehbar ist: Es gibt künstliche Intelligenz, den Hyperloop als Verkehrsmittel (lustigerweise nicht betrieben von Elon Musk, sondern von Virgin) und Fortschritte bei der Gentechnik. Die sind allerdings aufgrund des Gene Protection Acts fast zum Stillstand gekommen. Denn eine misslungene genetische Modifikation beim Reis hat eine riesige Hungersnot ausgelöst, der Millionen von Menschen zum Opfer gefallen sind.

Die Mutter aller Hungersnöte

Diese Katastrophe wird «Ramsay famine» genannt; nach der Forscherin Miriam Ramsay, die im chinesischen Shenzhen das verhängnisvolle Experiment durchgeführt hat. Miriam Ramsay ist die Mutter der Hauptfigur des Buchs, Logan Ramsay. Er war damals noch jung und nur am Rand am Experiment beteiligt, dennoch musste er deswegen ins Gefängnis. In der Gegenwart ist er Mitglied einer Spezialeinheit, die Leute hochnimmt, die gegen den Gene Protection Act verstossen.

Die Geschichte nimmt ihren Lauf, als bei einem Einsatz etwas Seltsames passiert: Logan wird mit einer Flüssigkeit angesprüht, die seltsame Auswirkungen hat. Er erinnert sich plötzlich an alles, was er jemals gelesen oder gesehen hat. Er kann die Mikroexpressionen seiner Mitmenschen deuten und ihre Gefühle und Absichten deuten, wie nie zuvor. Und er schlägt seine Tochter Ava im Schach, was ihm schon seit Jahren nicht mehr gelungen ist. Er wird körperlich leistungsfähiger, braucht weniger Schlaf und verändert sich in eine Art Superheld.

Eine Überprüfung seines Genoms zeigt, dass ein «Upgrade» stattgefunden hat, das weit über das hinausgeht, was technisch möglich ist. Klar, dass das in einer Behörde zur Kontrolle der Gentechnik hochgradig verdächtig wirkt. Logan wird denn auch aus dem Verkehr gezogen und in ein Geheimgefängnis verfrachtet, wo diese seltsamen Veränderungen untersucht werden.

Es will keine richtige Untergangsstimmung aufkommen

Aber bevor ich zu viel spoilere, hier mein Urteil zum Buch. Ich habe «Upgrade» gern gelesen, aber es hat mich bei Weitem nicht so gepackt wie die drei anderen Bücher, die ich von Blake Crouch kenne. Wer diesen Autor entdecken möchte, nimmt sich lieber Dark Matter, Recursion oder Pines vor (in der Reihenfolge): Sie sind raffinierter konstruiert und wirken im Vergleich nicht so, als ob es der Autor auf einen Erfolg im Thriller-Massenmarkt angelegt hätte. Das atmosphärische Element, das die Vorgängerbücher ausgezeichnet hat, tritt hier hinter die Action-Szenen zurück, die mich weitgehend kaltgelassen haben. Diese zukünftige Welt wird für mich als Leser viel zu wenig fassbar; dabei würde darin viel Potenzial stecken, wie die Fahrt im Hyperloop gegen Ende zeigt.

Der Plot der Geschichte ist solid, aber die Beziehung von Logan zu seiner Schwester Kara geht für mich nicht auf. Die beiden werden – Achtung, kleiner Spoiler – zu Gegenspielern, haben aber irgendwie, auch wenn sie sich auseinandergelebt haben, dennoch eine enge Beziehung. Ich verstehe keine Sekunde, warum sie sich nicht ernsthaft um eine Lösung bemühen – ausser natürlich, dass die Geschichte nach zwei Antipoden verlangt. Aber so bleibt die eigentlich spannende Frage – Ist das Überleben der Menschheit eine Frage der geistigen Kapazität? – nur ein Nebenschauplatz, der viel zu wenig ausgelotet wird.

Ein Supermensch, der ganz normal klingt

Zweites Problem: Die Veränderung von Logan, das Upgrade, wird während des Lesens nicht spürbar – sein innerer Monolog klingt vorher noch genauso wie nachher. Und klar, wenn sich diese neue, geistige Leistungsstufe im Text akkurat manifestieren würden, hätten wir normalsterblichen Leserinnen und Leser das Problem, dass wir ihm gar nicht mehr folgen könnten. Jedenfalls hat sich mir der Gedanke aufgedrängt, dass die Geschichte besser funktionieren würde, wenn sie aus der Perspektive eines Mitstreiters von Logan erzählt worden wäre, der selbst nicht upgegradet worden wäre – und uns auch die Entfremdung hätte spüren lassen. Ich bin überzeugt, dass seine Tochter Ava perfekt in dieser Rolle gewesen wäre – und sie davor bewahrt hätte, nur einen kleinen Auftritt zu haben.

Noch kurz zum Rest der Geschichte: Achtung, ab hier mit Spoilern!

Logan erfährt, dass auch seine Schwester Kara das Upgrade erfahren hat. Mit ihr zusammen findet er in seinem Genom eine versteckte Botschaft, die aus geografischen Koordinaten bestehen. Am Zielort finden sie einen Leichnam, den Logan als seine Mutter identifiziert. Es wird klar, dass sie hinter dem Upgrade steckt. Miriam Ramsay wurde nie zur Verantwortung gezogen, weil sie angeblich Suizid begangen hat.

Ein schweres Erbe fürs Geschwisterpaar

Doch der war nur vorgetäuscht. Sie hat ihre Arbeit weiter vorangetrieben und offensichtlich einen riesigen Durchbruch erzielt. Miriam Ramsay hat daraufhin den Plan entwickelt, die Menschheit zu retten. Zu diesem Zweck sollte das Upgrade breit ausgebracht werden: Als Virus, der sich selbst verbreitet und dafür sorgt, dass alle Infizierten die gleichen Veränderungen erfahren wie Logan. Doch selbst war sie nicht mehr in der Lage, diesen Plan in die Tat umzusetzen. Das sollten nun ihre Kinder tun.

Während Kara voll hinter der Idee ihrer Mutter steckt, ist Logan dagegen: Er stellt sich auf die Position, das Überleben der Menschheit lasse sich nicht durch das Upgrade, d.h. mehr kollektive Intelligenz sichern. Sein – überzeugendes – Argument besteht darin, dass sie beide das Upgrade erhalten haben, aber sich trotzdem völlig gegenteiliger Ansicht über das richtige Vorgehen seien. Das heisst, dass auch eine upgegradete Menschheit keine Einigkeit über ihren weiteren Kurs herbeiführen würde.

Kara lässt sich jedoch nicht von ihrem Plan abbringen und führt in Glasgow, Montana einen Feldversuch durch, der ein weiteres Problem aufzeigt: Es gibt eine Sterberate von 13,6 Prozent: Der Plan von Miriam Ramsay würde einen Blutzoll von Hunderten Millionen Menschen erfordern.

Das Finale des Buchs ist ein Duell der Geschwister, bei dem Logan obsiegt.

Beitrag: Hier besteht Verbesserungspotenzial (Sangharsh Lohakare, Unsplash-Lizenz).

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