Blake Crouch passt gut auf die Lesecouch

«Pines» ist eine irritierende Geschichte über einen Mann, der sich in einer seltsamen Stadt wiederfindet, in der ihm niemand helfen will. Der Autor Blake Crouch lässt uns Leserinnen lange im Dunkeln, was hier eigentlich vor sich geht.

Ich bin neulich über das Buch «Dark Matter» gestolpert. Das Leseerlebnis war erfreulich, weswegen sogleich die Frage aufgetaucht ist: Wer ist der Autor, dieser Blake Crouch? Und war das nur ein Zufallstreffer oder würde es sich lohnen, noch etwas tiefer in dessen Werk einzutauchen?

Wikipedia ist kurz angebunden, und das, was man dort lesen kann, ist offensichtlich von Crouchs Homepage abgeschrieben, die auch eher auf der dürftigen, selbstgebastelten Seite angesiedelt ist. Es gibt ihn aber immerhin auf Twitter und Facebook, wobei sich aus dem Stöbern durch die sozialmedialen Ergüsse kein wirklicher Erkenntnisgewinn ergibt. Es bleibt mir daher nichts anderes übrig, als noch ein Buch von ihm zu lesen.

Das ist Pines (Amazon Affiliate), der erste Teil aus der Wayward Pines Trilogy. Die gibt es auch als Fernsehserie. Und in Buchform auf Deutsch, wobei der erste Band Psychose heisst. Und man kann fast nichts von der Geschichte erzählen, ohne zu viel zu verraten. Ausser natürlich den Klappentext:

Geheimdienstagent Ethan Burke hat in Wayward Pines, Idaho, eine klare Mission: Er soll zwei Bundesagenten aufspüren, die einen Monat zuvor in der abgelegenen Stadt verschwunden sind. Aber nur wenige Minuten nach seiner Ankunft wird Ethan in einen schweren Unfall verwickelt. Er kommt im Krankenhaus wieder zu sich, und sein Ausweis, sein Handy und sein Aktenkoffer sind verschwunden. Das Krankenhauspersonal scheint freundlich zu sein, aber irgendwas ist … merkwürdig

Niemand wil Burke helfen

Merkwürdig ist noch untertrieben. Niemand will Burke so richtig helfen, (im übertragenen und wortwörtlichen Sinn) wieder auf die Beine zu kommen. Der gestrandete Geheimagent hat kein Geld und niemanden an seiner Seite und muss sich nach seiner Selbstentlassung aus dem Krankenhaus ein Abendessen und ein Hotelbett erschnorren.

Ein seltsames Erlebnis reiht sich ans Nächste. Der Sheriff, der angeblich seine Habseligkeiten, inklusive Portemonnaie und Handy verwahrt, weiss von nichts. Er will Burke noch nicht einmal telefonieren lassen, damit der sich bei seiner Familie melden könnte.

Und das Unheimlichste an der Sache ist: Es scheint kein Weg aus Wayward Pines wegzuführen. Strassen führen in einem Bogen in die Stadt zurück. Und wenn man sich auf anderen Wegen davonmachen will, trifft man früher oder später auf ein Hindernis.

Die Serie zur Trilogie, die nach zwei Staffeln eingestellt wurde.

Der Autor lässt uns Leser fast bis ans Ende des Buchs im Ungewissen: Liegt Ethan Burke im Koma und findet die ganze Geschichte nur in seinem Kopf statt? Oder ist er tot wie Dr. Malcolm Crowe in The Sixth Sense? Das wäre nahe liegend, weil M. Night Shyamalan nicht nur der Regisseur dieses Films war, sondern auch die «Fox»-Serie verfilmt hat. Allerdings lässt man diese Vermutung schnell fallen, da Burke in der Lage ist, mit den Stadtbewohnern zu interagieren.

Eine Simulation? Eine Veschwörung?

Kurzer Einschub: Gemäss Wikipedia hat M. Night Shyamalan seine Teilnahme am Projekt in der «The Salt Lake Tribune» wie folgt begründet:

After reading the source material he said of the project, “As long as everybody isn’t dead, I’m in”, his “only rule” to secure his participation.

Dafür drängen sich andere Möglichkeiten in den Vordergrund: Ist diese seltsame Stadt eine Computersimulation, in die der Geheimagent, auf welchem Weg auch immer, hineingeraten ist? Oder sind seine Erlebnisse real und er ist Opfer eine grossangelegten Verschwörung? Doch welchen Zweck sollte die verfolgen? Oder geht es hier zu und her wie in Stephen Kings «Under the Dome» (King, King, Thor und Stephenson), und es hatte bloss keiner der Stadtbewohner Lust, Ethan Burke aufzuklären? Denn irgendwie erinnert Sheriff Pope doch ein bisschen an Stadtrat James «Big Jim» Rennie…

Diese Fragen hat man als Leser ständig im Hinterkopf, und sie geben den Erlebnissen eine Dringlichkeit, während Ethan Burke an der Stelle zu treten scheint. Egal, was er tut, nichts bringt Licht ins Dunkel. Dieses Unvermögen macht die Verzweiflung der Hauptfigur spürbar und hält die Spannung für den Leser aufrecht. Mit der Zeit fädelt Crouch ein paar weitere Handlungsstränge ein: Burkes Frau, die nach einem Jahr der Ungewissheit Abschied von ihrem verschollenen Mann nehmen will, damit sie und ihr gemeinsamer Sohn endlich loslassen können. Und eine (weniger überzeugende) Rückblende in die Vergangenheit des Geheimagenten, als er noch im Militär diente, mit seinem Helikopter über Falludscha abgeschossen wurde und sich einem Folterknecht ausgesetzt sieht.

Die Spannung bleibt, trotz wenig Handlung

«Pines» zeichnen zwei Dinge aus: Erstens, dass Blake Crouch den Spannungsbogen trotz wenig Handlung mühelos aufrechtzuerhalten vermag und eine atmosphärische Geschichte abliefert. Und zweitens, dass auch die Auflösung am Ende nicht enttäuscht. Natürlich ist sie an den Haaren herbeigezogen. Es kann natürlich gar nicht anders sein, dass so viele nicht-alltägliche Ereignisse und Vorfälle eine fantastische Ursache haben. Und das stört uns als Leser von Mystery-Thrillern auch nicht. Ärgerlich ist bloss, wenn man mit dem Gefühl aus einer Geschichte geht, der Autor habe die allererste Idee verwurstelt, die ihm gerade durch den Kopf geschossen ist. Oder wenn man die gleiche abgeschmackte Erklärung nun zum x-ten Mal vorgesetzt bekommt.

Die Auflösung in «Pines» hat auf alle Fälle Novitätscharakter, auch wenn manche Rezensenten bei Goodreads sich an schlechte Geschichten von Dean Koontz erinnert fühlen. Sie hat ausserdem den Vorteil, dass sie den Weg für die Fortsetzung ebnet.

Ich habe mich noch nicht entschieden, ob ich mir auch Teil zwei und drei zu Gemüte führen werde. Denn es könnte zumindest sein, dass sich die weitere Handlung ins Action-Genre verlagert. Und darauf habe ich etwas weniger Lust. Es kann auch sein, dass man nach diesem Buch Lust auf eine Geschichte mit mehr Interaktion, mehr Dialog und Witz hat. Denn auch wenn ich verstehe, dass Ethan Burke das Lachen vergangen ist, so ist mein Bedürfnis danach nicht so ganz versiegt…

Eine Stadt voller Aberrationen

Kurz noch ein bisschen mehr zur Geschichte, aber ab hier mit Spoilern:

Ethan Burke findet die Agenten, die er sucht. Der eine ist tot und verrottet in einem leeren Haus. Die andere ist zufällig die, mit der er eine Affäre hatte. Sie scheint sich nicht mehr an ihn zu erinnern, und lebt in dem Kaff – obendrein als verheiratete Frau. Seine einzige Verbündete ist Beverly Brown. Sie gibt ihm erst versteckt einen Tipp, die ihn zum toten Agenten führt. Dann verrät sie Burke, dass er einen implantierten Chip im Bein trägt, mit dem er jederzeit lokalisierbar ist. Und schliesslich befreit sie ihn aus dem Spital. Und zwar kurz vor einer Operation, mit der Burkes angebliche Psychose geheilt werden sollte. Beverly wird von der Stadtbevölkerung gejagt und schliesslich von Sheriff Pope hingerichtet. Burke entkommt nur knapp.

Als er weiter nach einem Weg aus der Stadt sucht, gelangt er an einen elektrifizierten Zaun, der scheinbar nicht zu überwinden ist. Er schafft es trotzdem und begegnet seltsamen Wesen, den sogenannten Aberrationen oder «Abbies». Sie sind offenbar das, was von der Menschheit noch übrig ist. Denn Wayward Pines ist, so muss Burke am Ende erfahren, alles was von der Menschheit noch übrig ist. Die «Abbies» sind unsere Nachkommen: Die Natur hat sich gewissermassen gerächt für das, was die Menschen ihr angetan haben und für ziemlich üble Mutationen gesorgt.

Der alte Schlag soll überleben

Der Wissenschaftler David Pilcher hat sich nun einen Weg ausgedacht, ein paar Menschen des alten Schlags am Leben zu erhalten. Die wurden eingefroren und zweitausend Jahre später in Wayward Pines wieder aufgetaut. Dort leben sie nun in dem Städtchen, das als einziges von der Zivilisation übrig geblieben ist. Auch Ethan Burkes Frau und Sohn haben von Pilcher das Angebot erhalten, ihrem Vater nach Wayward Pines zu folgen, und das angenommen. Am Ende des Buchs übernimmt Burke das Amt des Sheriffs, weil Pope in den Augen David Pilchers etwas zu sehr Gefallen an seiner Machtposition gefunden hat. Er ist mit seiner Familie vereint und muss sich nun an die Vorstellung gewöhnen, zu einem kleinen Häufchen Überlebender zu gehören.

Beitragsbild: Screenshot aus der Fernsehserie (bloody-disgusting.com)

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