Die Polemik des Podcast-Philosophs

Canceln oder nicht canceln? Aus aktuellem Anlass knöpfe ich mir «Lanz & Precht» vor.

Beitragsbild: So und nicht anders! (Richard David Precht an der Buchmesse in Frankfurt, Ji-Elle/Wikimedia, CC BY-SA 4.0)

Aus aktuellem Anlass habe ich mich in meiner Rolle als Podcast-Rezensent in fast ganz neue Gefilde vorgewagt. Ich habe Lanz & Precht angehört, der sich von meinem üblichen Beuteschema durch seine prominente Besetzung abhebt. Wenn man von Fest & Flauschig und dessen Aushängeschild Jan Böhmermann absieht, erstrecken sich meine Vorlieben auf Produktionen von Leuten, die es nicht in die Klatschspalten der Regenbogenpresse schaffen. Ach ja, und damit diese These aufgeht, musste ich diesen Podcast hier unter den Tisch fallen lassen (räusper)¹.

Der aktuelle Anlass, weswegen ich mich diesem Podcast zugewandt habe, war ein Aufruhr in den sozialen Medien. Die Empörung äusserte sich in Form von Tweets wie diesem:

Ich habe diesen Tweet mit einem Like versehen, mich aber kurze Zeit danach gefragt, ob ich das vor mir verantworten kann: Ist es in Ordnung, mich an einem Shitstorm zu beteiligen, ohne das Corpus Delicti einer eigenen Begutachtung unterzogen zu haben?

Nein, ist es natürlich nicht. Darum habe ich mir auf dem Laufband die Folge fünfundachtzig von «Lanz & Precht» (RSS, iTunes, Spotify) angehört.

Die Entscheidung, die ich nach 58 Minuten und 32 Sekunden zu treffen habe, lautet: Muss ich mein Like zurückziehen? Denn (wie häufig) ist die Sachlage komplizierter, als ein Tweet das erahnen lässt.

Lebensleistung, ey!

Könnte etwas mehr Diversität vertragen.

Klar, die inkriminierte Aussage ist völlig unhaltbar. Richard David Precht zieht auf eine Weise über Annalena Baerbock her, die er nicht einmal ansatzweise nachvollziehbar begründen kann. Er schwadroniert irgendeinen Schwachfug über die «Lebensleistung» daher, die einen dazu berechtigen würde, andere – in dem Fall die Chinesen – zu kritisieren. Das lässt bei mir als Zuhörer nur den Schluss zu, dass hier einer aus seiner persönlichen Antipathie keinen Hehl macht. Das ist eines Philosophen unwürdig.

Und ich verstehe den Vorwurf, das sei antidemokratisch. Precht behauptet, Baerbock habe rein gar nichts geleistet, unter «normalen Bedingungen im Auswärtigen Amt noch nicht einmal ein Praktikum bekommen», und sie solle daher die Klappe halten. Das impliziert, dass eine fair gewonnene demokratische Wahl nichts wert ist. Und ja, das ist antidemokratisch.

Oder vielleicht einfach nur polemisch? Ich bin zwiegespalten. Einerseits ist es meine Überzeugung, dass auch Polemik in Podcasts Platz haben sollte – sogar von Philosophen. Ein Podcast, der davon lebt, Gespräche integral wiederzugeben, muss auch Raum für Übertreibungen, Ausrutscher und Geschmacklosigkeiten lassen. Das unterscheidet ihn von durchchoreografierten Fernsehsendungen, in der alle nur ihre Talking Points platzieren wollen.

Aber gleich die Absetzung fordern?

Andererseits ist es eine Tatsache, dass ich in im Lager der alten weissen Männer zu verorten bin, die von dieser Anfeindung persönlich nicht betroffen sind. Ich kann die Wut theoretisch nachvollziehen. Aber ich spüre nicht selbst die Verletzung, wenn ein Mann, der sich ansonsten um Differenzierung bemüht, ausgerechnet dann zum tumben Macho mutiert, wenn es um eine Person geht, auf die die viel zitierte Floskel der «starken Frau» ohne Zweifel zutrifft.

Aber sollte daraus der Ruf nach Absetzung folgen? Der Tweet stellt die Frage, wie lang Precht für das ZDF noch tragbar sei – womit wir natürlich mitten in der Schlangengrube der Cancel Culture gelandet wären. Mein kurzes, bündiges Urteil dazu: Wer polemisch in den Wald hineinruft, muss damit leben können, dass es ähnlich herausschallt. Darum ist der Shitstorm an dieser Stelle wohlverdient und auch mein Like bleibt dem Tweet erhalten.

Aber an dieser Stelle geht es um eine Gesamtbetrachtung des Podcasts. Ich fand, Markus Lanz hätte nachdrücklicher dagegenhalten können. Er hat es getan, allerdings sehr subtil, mit einem Hinweis auf den China-Korrespondenten Kai Strittmatter, der Annalena Baerbock explizit gelobt habe. Vor allem hat er den gröbsten Widerspruch unerwähnt gelassen: Er war sich zwar mit Precht einig darüber, dass die Menschenrechte bei Chinabesuchen jeweils angesprochen werden, dass das aber vor allem der Beruhigung der einheimischen Medien diene. Aber wenn man das kritisiert, dann muss man gleichzeitig anerkennen, dass es Annalena Baerbock anders gemacht hat und dafür Respekt verdient. Oder man muss offen dazu stehen, dass es nicht um die Menschenrechte und schon gar nicht um die Uiguren geht, sondern nur um die wirtschaftlichen Interessen.

Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen
Den Vorhang zu und alle Fragen offen.

Dieser Aspekt hat in der Diskussion einen breiten Raum eingenommen: Von Indien über Pakistan kamen die beiden nach China, und Precht hat sich darüber ausgelassen, warum man nur Gehör verdient hat, wenn man auch wirtschaftlichen Erfolg aufweist und warum der Westen als vom Rest der Welt als heuchlerisch und scheinheilig erlebt wird. Vieles davon sind unbequeme Wahrheiten, mit denen wir uns auseinandersetzen sollten. Das gibt dem Podcast eine Existenzberechtigung.

Das heisst aber nicht, dass ich ihn auch gut finden muss: Trotz der vielen Fakten und des eloquenten Austauschs lässt diese Show die wichtigen Fragen offen: Wie müsste denn eine Politikerin ihre Chinareise gestalten, um das Wohlwollen der Herren Precht und Lanz zu erlangen? Was zählen Menschenrechte überhaupt? Wie viel ist unser (westliches) Engagement für sie wert? Die alte Erkenntnis, dass ein guter Podcast von der Chemie der Protagonisten lebt, bestätigt sich hier einmal mehr – auf negative Weise. Hier ist mir zu viel Einigkeit, eine zu einseitige Perspektive und zu wenig persönliche Reiberei. Diversität wäre gefragt. Es bräuchte ein Host, der die Unstimmigkeiten nicht unter den Tisch fallen lässt, sondern auf ihnen herumreitet.

So bleibt das Fazit, dass sich hier zwei Musterschüler darin einig sind, dass nur Musterschüler dazu berufen sind, anderen gute Ratschläge zu erteilen.

Fussnoten

1) Und ganz strenge Richter würden vermutlich auch über Malcolm Gladwell (siehe hier) urteilen, dass er es als Autor zu einem beträchtlichen Bekanntheitsgrad gebracht hat und dass auch Ezra Klein (siehe hier) das ist, was der Ami als Household name bezeichnet. Aber wer wäre ich denn, wenn ich hier meine eigene These untergraben würde? Kein guter Thesenjournalist, auf alle Fälle.

2 Kommentare zu «Die Polemik des Podcast-Philosophs»

  1. Es ist schade, dass so schnell in die Polemik abgedriftet wird. Man darf Baerbock aus guten Gründen kritisieren, sie hat ihren Lebenslauf geschönt und Teile ihres Buches plagiiert. Nur sollte man dafür, gerade als Philosoph, anständigere Worte verwenden, als Precht sie verwendet hat.

    Aussagen von Regula Stämpfli nehme ich nicht ernst und würde keinen ihrer Tweets liken. Sie ist zweifellos eine gebildete Frau, aber ideologisch derart verblendet, dass sie aus allem eine Geschlechterfrage macht. Die Aussage von Precht war unanständig und unter seinem Niveau, aber nicht sexistisch.

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