Was zum Teufel passiert da in Amerika?

Von wegen «It can’t happen here»: Die republikanische Partei liebäugelt mit dem Totalitarismus – und ich erkläre hier, wie ich versucht habe, das zu verstehen.

Wie den meisten von uns steckt mir die US-Wahl noch in den Knochen: Die Zitterpartie. Die Erleichterung. Und dann das Erstaunen über das demokratiefeindliche Verhalten der Wahlverlierer.

Nun, dass Donald Trump seine Niederlage nicht eingesteht, war nicht überraschend. Er hat uns schon 2016 zu verstehen gegeben, dass er nur einen Sieg akzeptieren werde. Doch was ich nicht erwartet habe, ist die Gefolgschaft seiner Partei. Was ist aus der guten alten Tradition geworden, einen Verlierer fallen zu lassen wie eine heisse Kartoffel?

Die Erkenntnis, wie stark die Methode Trump Fuss fassen konnte, hat mich erschüttert. Auch hier in der Schweiz: Wie eine kleine, aber lautstarke Minderheit ihn auf Twitter verteidigt und die Legende vom gestohlenen Sieg kolportiert, ist faszinierend. Zum Beispiel Roger Köppel: Er signalisiert seine Unterstützung für diese Irrmeinung mal ernsthaft, dann wieder als mässig amüsanter Komiker. (Damit ihr den Link nicht anklicken müsst: «Heute Morgen liegt plötzlich ein Riesenbündel Biden-Stimmen in meinem Briefkasten. Kann man die noch weiterleiten, oder ist die Frist schon abgelaufen?»)

Trump tut schlechte Dinge – und zwar auf schlechte Weise

Trump ist ein Demagoge, ein Populist und ein Möchtegern-Autokrat. Doch er ist all diese Dinge auf eine unfassbar schlechte Art und Weise: Er ist durchschaubar, widersprüchlich und er gibt sich nicht einmal die Mühe, rational zu erscheinen.

Klar, es kann sein, dass mehr Berechnung im Spiel ist als wir von aussen sehen. Trotzdem bleiben zwei bange Fragen: Erstens, wie ein solcher Hampelmann so erfolgreich sein konnte. Und zweitens: Was wäre, wenn einer käme, der das Gleiche tut wie Trump – nur mit Charme, Verführungstalent und einnehmenden Wesen? Die Antwort liegt auf der Hand.

Wie kann man das verstehen? Wir haben uns im Nerdfunk über die Krawall-Twitterer unterhalten. Ich denke, einige davon haben ihre Enttäuschung noch nicht überwunden. Andere tragen die Demokratie nicht in ihrem Herzen, sondern hegen echte Sympathie für die Autokratie und den Faschismus. Wir müssen feststellen, dass es solche Leute auch bei uns gibt.

Das war irgendwie zu vermuten, doch vor Twitter konnte man sich einreden, unsere grosse demokratische Tradition würde uns davor beschützen. Heute müssen wir das Gegenteil zur Kenntnis nehmen – weswegen wir den sozialen Medien eigentlich dankbar sein sollten.

Anne Applebaum hilft, im Gespräch mit Ezra Klein zu verstehen, was hier eigentlich passiert

Also, zurück zur Frage: Wie kann man das verstehen?

Podcasts hören hilft.

Ich habe einige Podcasts zum Thema gehört, und einen würde ich sehr gerne empfehlen. Das ist die Folge «The crisis isn’t Trump. It’s the Republican Party» aus der The Ezra Klein Show.

Die Folge ist zu hören bei Apple Podcasts, bei Spotify, bei Google Podcasts und bei Pocket Casts. Ezra Klein – den ich mit seinem Podcast zum Trump-Impeachment schon erwähnt habe – geht diese Frage auf die richtige Weise an. Er tut das in einem Gespräch mit Anne Applebaum, auf die ich gleich noch eingehen werde.

Im Gespräch lösen sich die beiden von Trump als Figur und erkunden, welche Gegebenheiten Trump in der amerikanischen Gesellschaft und in der republikanischen Partei angetroffen hat. Das tut sie mit folgenden Diskussionspunkten:

  • Sie besprechen Beispiele wie Lindsey Graham, der als republikanischer Senator Trumps Narrativ von der gestohlenen Wahl mitträgt, obwohl er sich am Anfang von Trumps Präsidentschaft ein innerparteilicher Gegner war.
  • Sie erklären, wie Kollaborateure entstehen: Wie können Personen über die Zeit von Ideen vereinnahmt werden, die ihnen ursprünglich zuwider gewesen wären?
  • Das hat mit dem «apokalyptischen Pessimismus» und der «kulturellen Verzweiflung» zu tun, die gemäss der Analyse der Weltsicht der enthusiastischsten Trump-Anhänger zugrunde liegen.
  • Und nochmals konkret, auf die Republikaner bezogen: Warum hat die Partei den Weg von Sarah Palin und Donald Trump und nicht den von John McCain und Mitt Romney eingeschlagen?
  • Und natürlich: Wie – wenn überhaupt – lässt sich eine solche Entwicklung zurückdrehen? Um hier bloss einen Vorgriff auf den Podcast zu nehmen: Indem sich die Politiker, wie Joe Biden das jetzt auch tut, um die Sachthemen kümmert und versucht, die Pandemie in den Griff zu bekommen und die Leute bei ihren realen Problemen abzuholen.

… was einleuchtend ist, aber auch nach sehr viel Arbeit klingt. Ich habe eine andere Empfehlung: Die Republikanische Partei sollte sich spalten, und zwar in einen Teil, der die sich sicher auf demokratischem Boden wähnt und in einen Rechtsaussen-Ableger, wo Donald Trump und seine Gefolgschaft hingehört.

Eine Volkspartei sollte sich nicht bis zum äussersten Rand hin erstrecken

Ich glaube eben nicht, dass eine grosse Partei – hierzulande würde man von einer Volkspartei sprechen – sich bis zum extremen Rand hin erstrecken kann. Beispiel SVP in der Schweiz: Es hat zwar zum Erfolg der SVP beigetragen, dass Christoph Blocher Parteien wie die Nationale Aktion (heute: Schweizer Demokraten) überflüssig gemacht hat. Aber es hat dem politischen Klima in der Schweiz geschadet.

Nun, wahrscheinlich ist es zu spät für eine Spaltung bei den Republikanern, weil mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit der extremistische Teil um Trump deutlich grösser wäre als der vernünftige Teil – zu dem man auch George H.W. Bush zählen müsste, der während seiner Präsidentschaft einen vernünftigen Umgang mit der Immigration fand. Heute oft vergessen, aber kein kleiner Teil des komplizierten Erbes von Bush Senior, wie der «Houston Cronicle» urteilt. Trotzdem wäre vielleicht eine produktive Koalition zwischen diesen konstruktiven Republikanern und den Demokraten möglich, wer weiss.

Das Buch zum Thema

Aber das ist meine Idee und nicht Teil des Podcasts. Der Gesprächspartner von Klein ist wie erwähnt Anne Applebaum, die für «The Atlantic» schreibt und mit einem polnischen Mann verheiratet ist und daher auch die Situation in Europa, speziell im Polen der Pis-Partei  gut kennt. Sie hat das passende Buch zum Thema geschrieben, Twilight of Democracy: The Seductive Lure of Authoritarianism (Amazon Affiliate), das es bislang leider nicht auf Deutsch gibt.

Beitragsbild: Carlos Herrero, Pexels-Lizenz

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