Beruflich habe ich viel mit Computer-Anwendern zu tun. Bei meinem Umgang mit dem Homo Computeriensis fällt mir immer wieder ein Phänomen auf, das ich in diesem Blog und ab sofort und für immerdar die inkongruente Zuverlässigkeitswahrnehmung, kurz IZW nennen will. Wobei, ich wäre auch mit dem Namen Morbus Schüssler zufrieden – jaaa, ich sehe viel «House».
Zuerst zu den medizinischen Fakten: Morbus Schüssler verläuft in aller Regel tödlich – wenn auch nicht für den an IZW leidenden Computeranwender (es sei denn, er kriegt vor Schreck einen Herzinfarkt). Ex gehen (jaa, definitiv zu viel «House»!) hingegen die Daten und Dokumente. Reanimation zwecklos.
Also, bei der inkongruente Zuverlässigkeitswahrnehmung ist zu beobachten, dass viele Leute ihrem Betriebssystem mit Misstrauen begegnen und ihm allerhand Schwächen attestieren: Es stürzt ab, es verhält sich unberechenbar, ist ein wahrer Psychopat und stammt von Bill Gates.
Dass Computer abrupt zu Willkür neigen können, wissen auch die Wissenschafter des Schweizerischen Zentrums für Technologiefolgen-Abschätzung in Zürich. Fachleute des Zentrums aus verschiedenen Forschungsbereichen veröffentlichten eine Studie zur «Verselbstständigung des Computers». (Berner Zeitung; 21.04.2008; Seite 11)
Ein tiefes Misstrauen der Forscher (die es besser wissen könnten) spricht aus dieser die Verselbständigung anklagenden Studie. Das ist meines Erachtens plumper Populismus, der abzielt auf das Misstrauen der Anwender.
Das Vertrauen ist grenzenlos
Aber das nur nebenbei; und jetzt zurück zur IZW: Trotz des grossen Misstrauens in die Software ist das Vertrauen in die Hardware offenbar grenzenlos. Dass Festplatten versagen könnten, ist für viele Anwender undenkbar. Was einmal gespeichert ist, bleibt einem für immer erhalten. Das Vertrauen in die ferromagnetische Datenhinterlegung auf oberflächenbehandelte Metallscheiben ist offenbar so gross, dass nicht einmal die psychopatische Grundveranlagung des Computers zu besonderen Sicherheitsmassnahmen anregt.
Und auch an die eigenen Mängel denkt keiner; neiiin, das ich statt die Powerpoint-Präsi mit lustigen Bildli aus dem Mail von meiner Mutter die annähernd fertige Fassung meines Romans mit dem Arbeitstitel «Perry Hotter» lösche, könnte mir niemals passieren! Und die Viren! Denkt denn niemand an die Viren!
Was ich mit besonderen Sicherheitsmassnahmen meine, wissen alle, die ab und zu einen meiner Artikel im Tagi lesen. Datensicherung, Datensicherung, Datensicherung, Datensicherung, Datensicherung, Datensicherung. DA-HA-TEN-SI-HI-CHE-RU-HUNG!
Doch das Mantra hilft nicht; mindestens jede Woche kommt ein verzweifeltes Mail von jemandem, der diese oder jede Datei verloren hat. Meistens ist es dann sowas wie die Outlook.pst mit zwölf Gigabyte, was sich garantiert nicht mehr wiederherstellen lässt (und auch nicht im Windows-Papierkorb landet, weil Windows in solchen Fällen sagt «Diese Datei ist zu gross für den Papierkorb und wird sofort gelöscht»). Oder zehntausend Bilder von der dreimonatigen Reise in den Tibet. Man könnte sowas auf einen oder zwei DVD-Rohlinge brennen; kostet vier Franken und zehn Minuten Arbeit.
Unglaublich, was alles liegenbleibt
Aber nein… Leute haben Daten einzig auf ihrem Laptop, den sie mit sich herumtragen und nur ein einziges Mal fallen lassen müssen, damit alles weg ist. Das Ding könnte auch geklaut oder am Flughafen liegen gelassen werden – es ist ja nachgerade erschütternd, was alles an Flughäfen liegen bleibt.
«Unglaublich, was Passagiere alles verlieren», sagt Christian Ammann von Swissport International. Rund 120 Handys, unzählige USB-Sticks und etwa dreissig Laptops findet der «Arrival Services»-Manager jeden Monat – entweder auf dem Flughafengelände selbst oder bei Airlines, die Zürich anfliegen. (Aargauer Zeitung; 25.07.2007; Seite 33)
Naja, vielleicht ist IZW gar kein neues Phänomen, sondern eine Variante der galoppierenden Tachinose, einem Krankheitsbild, das es schon vor den Computern gab?
Mein Empfehlung auf alle Fälle: Misstraue deinem Computer, aber richtig!
Entwickler sind fehlerbehaftete Menschenkinder
Verlass dich darauf, dass er grundsätzlich schon das tut, wozu er programmiert wurde – von wegen «Verselbstständigung des Computers». Sei dir bewusst, dass die Entwickler jedoch fehlerbehaftete Menschenkinder waren, die nicht alle Fälle, möglichen Probleme und Pannen voraussehen konnten. Und verlass dich auf die Statistik:
Wenn man Angst vor Bombenattentaten im Flugzeug hat, nimmt man selbst eine Bombe mit. Die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Bomben in einem Flugzeug sind, ist extrem winzig. Solange man die eigene Bombe nicht zündet, ist man sicher. (Mein Mathe-Lehrer am Gymnasium)
Bombe ist in diesem Fall gleichzusetzen mit defektem Speichermedium, das Flugzeug mit: Dein Computer-Alltag. Sprich: Dass zwei Datensicherungen zum gleichen Zeitpunkt hochgehen, ist unwahrscheinlich – es sei denn, im Keller des Wohnhauses oder Büros geht eine, äh, Bombe hoch und zerstört Computer und Datensicherung. Das kann man vermeiden, indem man wichtige Daten sichert und gut geschützt auswärts lagert. Was ich mit wichtigen Daten tue. (Mit der Datensicherung dieses Blogbeitrags aber vermutlich nicht.)