Obamas und Springsteens Mogelpackung

Ist es ein klassischer Laberpodcast oder doch ein politisches Manifest? Ich habe mir «Renegades: Born in the USA» angehört.

Früher waren es ein paar einsame Technikfreaks, die in ihren Männerhöhlen hingehockt sind und angefangen haben, in Mikrofone zu sprechen – mit dem Ziel, nicht unter Leute zu müssen und Konversationen von Angesicht zu Angesicht abzuhalten. Und wenn diese Formulierung abschätzig klingen sollte, so ist sie absolut nicht so gemeint: Als bekennender Nerd habe ich maximales Verständnis für diese sozial distanzierte Form der kommunikativen Interaktion.

Heute komme ich nicht umhin zu bemerken, dass es nicht mehr die Streber, Nerds und Eigenbrödler sind, die Podcasts machen. Spotify hat diese romantische Vorstellung im Februar mit einer Pressemeldung gnadenlos aus dem Weg geräumt. Es gebe nun einen Podcast mit Barack Obama und Bruce Springsteen, schrieb der Streaminganbieter. Ein ehemaliger US-Präsident und einer der kommerziell erfolgreichsten Musiker im Rockgeschäft: Es gibt wenige Kombinationen, die weniger outsidrig wären.

Ironischerweise geht es in Renegades: Born in the USA aber genau darum, wie sich die beiden Männer in ihrer Kindheit und Jugend als Aussenseiter gefühlt haben: Springsteen in seinem 10’000-Seelen-Kaff namens Freehold, New Jersey und Obama in Honolulu, Hawai. Beide erzählen von ihren Vätern: Springsteens Vater war schizophren, Obamas abwesend. Als er auftauchte, als Obama zehn war, konnte er mit ihm nicht viel anfangen.

Ungeklärte Frage 1: Einmal Outsider, immer Outsider?

Diese Auslegeordnung erlaubt zwei gegenläufige Interpretationen. Man kann den Schluss ziehen, dass das Aussenseitertum kein Schicksal ist, aus dem es kein Entrinnen gibt. Im Gegenteil, man kann Präsident oder auch Rocklegende werden.

Man kann aus dem Podcast aber genauso heraushören, dass man das Gefühl, nicht dazuzugehören, sein Leben niemals entrinnt. Denn wenn die beiden Männer es abgestreift hätten, dann hätten sie keinen Grund, in einem Podcast darüber zu sprechen.

Ausser vielleicht, um an der eigenen Legende zu stricken. Diese Absicht würde ich den beiden Männern nicht unterstellen, auch wenn nicht anzunehmen ist, dass die Podcastidee aus einer spontanen Bierlaune heraus entstanden ist. Denn Leute mit einer derart überragenden gesellschaftlichen Stellung haben vieles – aber nicht die Freiheit, solchen spontanen Bierlaunen nachzugeben.

Ungeklärte Frage 2: Wie viele Hintergedanken stecken in dieser spontanen Konverstation?

Damit sind wir beim zweiten Dilemma, das ich als Hörer des Podcasts nicht aufgelöst bekomme: Ich glaube Barack Obama nicht, wenn er sagt, der Podcast sei eine unverkrampfte Konversation zwischen zwei Freunden, bei der man zufälligerweise ein Mikrofon als dritten Anwesenden dazu gebeten habe.

Nein: Es ist unüberhörbar, dass man es nicht mit einer ungeschnittenen Aufnahme einer zufälligen Plauderei zu tun hat. Der Podcast ist subtil, aber hochwertig produziert. Das merkt man daran, wie diskret die O-Töne, aber auch Springsteens Geklampfe untergemischt sind. Okee – Geklampfe ist zu abschätzig; die musikalische Untermalung passt und gibt Stimmung.

Zurück zu der inhaltlichen Absicht hinter «Renegades», die kaschiert, deswegen aber umso wichtiger ist. Man könnte sie auch Impetus nennen. Er wird schon in der ersten Folge klar, in der sich die Erzählung um die Jugend der beiden, um ihre Wohnorte und um Springsteens Song My Hometown rankt: Es um die Spaltung in der Gesellschaft, um Rassismus und um die Segregation in der Gesellschaft, gegen die die beiden Männer antreten, indem sie ihre ungewöhnliche Freundschaft zelebrieren.

«Wir haben probiert, unsere individuelle Suche nach Bedeutung, Wahrheit und Gemeinschaft mit der grösseren Geschichte Amerikas zu verbinden», sagt Obama zu diesem Podcast.

Somit ist «Renegades» kein klassischer Laberpodcast, sondern eine hochpolitische Angelegenheit: Springsteen und Obama erklären den Hörerinnen, was das wahre Amerika ist. Das wahre Amerika ist das, in dem  jeder etwas fürs Gemeinwohl in der Hometown beiträgt. Und in dem nicht die trennenden Elemente, sondern die Gemeinsamkeiten betont werden.

Auch das machen Springsteen und Obama meisterlich, wenn sie quasi beiläufig darauf zu sprechen kommen, dass sie beide irische Wurzeln haben. Und damit das auch noch gesagt ist: Genau das finde ich an den Vereinigten Staaten grossartig: Dass der Melting Pot nicht nur ein Versprechen, sondern gelebte Realität ist, der solche Parallelen hervorbringt.

Natürlich ist der Podcast auch eine Absage an das Amerika der republikanischen Partei, wie sie sich nach vier Jahren Trump präsentiert. Und ein dicker Stinkefinger in Richtung Trump steckt schon im Titel: «Born in the USA» ist nicht nur ein bekannter Song von Springsteen, sondern auch subtiler Hinweis darauf, dass Trump mit seinem Beharren auf der Birther-Theorie sich selbst in eine Ecke gestellt hat.

Damit das klar ist: Ich finde es nicht nur legitim, dass Springsteen und Obama diese Botschaft verbreiten. Nein, es ist dringend nötig – und ich finde, die beiden treffen den richtigen Ton und liefern eine Unterhaltung ab, der ich gerne zuhöre. Was auch nicht selbstverständlich ist, zumal ich das Interview, das Stephen Colbert neulich mit Obama geführt hat, sehr langweilig fand – obwohl ich ansonsten auch Mr. Late Show sehr schätze.

Ungeklärte Frage 3: Ist das überhaupt noch ein Podcast?

Aber aus Sicht des Podcast-Puristen ist und bleibt das eine Mogelpackung: «Renegades: Born in the USA» ist nicht das unscheinbare Projekt, als das es sich ausgibt.

Und auch hier tut sich eine zweite Sichtweise auf. Es könnte auch  sein, dass die puristische Definition des Mediums Podcast  überholt ist. Der Podcast ist nicht mehr die unangepasste Ausdrucksform einer Graswurzel-Bewegung, wie ich sie noch vor sechs Jahren im Artikel Mauerblümchen der Medienrevolution beschrieben habe. Nein, der Podcast ist nun eine Erfindung, die den Pionieren entrissen wurde. Sie wird von grossen Medienhäusern gepflegt, von grossen Produktionsfirmen wie Wondery professionalisiert und von Leuten wie Obama und Springsteen dominiert.

Es zeigt sich auch auf der inhaltlichen Ebene, dass Erfolg ein zweischneidiges Schwert ist. Das kann man bedauern – aber zumindest in dem Fall kann man es auch einfach nur toll finden, dass ein Mann wie Obama nicht nur weiss, was ein Podcast ist, sondern sogar selbst einen macht.

Und ja, ich hoffe, dass er Geschmack daran gefunden hat. Vielleicht fängt er mit einem ganz klassischen Format an, in dem es tatsächlich ums spontane, sinnlose Labern geht. Falls er dafür einen Co-host braucht, würde ich mich dafür gerne zur Verfügung stellen.

Beitragsbild: Spotify Newsroom

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