Twitter sagt, ich sei eine linke Socke

Was ist eigentlich von The Blindspotter zu halten? Dieser Twitter-Analyst masst sich an, meine – und auch eure – politische Ausrichtung zu erkunden. Erkenntnis: Manchmal passt das, manchmal nicht.

Neulich bin ich dank meines lieben Twitter-Freundes @undifferanziert bei The Blindspotter gelandet. Letzterer verspricht, einem aufzuzeigen, ob man bei seinem Nachrichtenkonsum einen blinden Fleck aufweist. Sprich, ob man sich ausgewogen informiert oder bestimmte Quellen bevorzugt. Und ja, es geht um die politische Ausrichtung.

Wie zu erwarten war.

Bei mir kam der Blindspotter zu einem wenig überraschenden Ergebnis. Er hat einen starken Linksdrall konstatiert und den sogar mit einem Prozentwert ausgewiesen: 72 Prozent meiner Informationen stammen aus dem linken Lager.

Immerhin zwölf Prozent meiner Nachrichtenquellen sind schön zentriert. Und sage und schreibe 16 Prozent stammen von rechts. Und ich frage mich, wie das passieren konnte. Mein geschätzter Arbeitskollege @mmmatze hat es durch fleissiges Lesen (und Posten) von «The New York Times», «The Guardian» und «Spiegel Online» geschafft, zu hundert Prozent links zu sein.

Was machen Sie da drüben, Herr Schneider?

Diese Schubladisierungen sind meist amüsant und gelegentlich auch überraschend.

So viel «Bild», Peter Schneider?!

Da gibt es beispielsweise den Fall des Herrn Peter Schneider. Er schreibt nicht nur eine Kolumne für den linken Tagesanzeiger, sondern ist auch Satiriker beim ebenso linken Staatsradio.

Dort deckt er den «täglichen Irr­sinn bei der Zeitungs­lektüre» auf und muss zu diesem Zweck zugegeber­massen die Presse­land­schaft bis zu beiden Rändern hin ausleuchten. Trotzdem darf und muss es ver­wundern, dass @PSPresseschau von Blind­spotter als 64 Prozent rechts stehend verortet wird. Offensichtlich liest Herr Schneider zu viel «Bild» und «Welt.de».

Köppel? Fast ein Linksextremer

Tatsächlich, Roger Köppel?

Überraschend auch der Fall des KoeppelRoger, der hier im Blog in Das grosse Twitterer-Assessment, Folge 3 ausgiebig durchleuchtet worden ist.

In ihm sollte man das genaue Gegenteil von meinem Kollegen @mmmatze vermuten: Nämlich einen konsistenten Weiter­­ver­breiter von Nach­richten aus dem rechten Lager. Doch gefehlt: Köppel ist nur zur 64 Prozent rechts. Er liest das «Wall Street Journal», «The Daily Wire» und die «Financial Times».

Muss man an dieser Stelle noch darüber diskutieren, ob man die Einordnung ernst nehmen soll oder nicht?

Offensichtlich gibt es mehrere Probleme. Das erste ist, dass nur die Nachrichtenquellen in die Bewertung einfliessen, die The Blindspotter kennt. Wenn ich beispielsweise Beiträge aus dem ausgesprochen ausgewogenen Blog «Clickomania.ch» veröffentliche, dann spielt das für meine Bewertung keine Rolle, weil The Blindspotter diesbezüglich leider eine höchst bedauerliche Bildungslücke aufweist.

Zweitens kann man sich fragen, ob die Rechts-/Links-Verortung von Medientiteln als Ganzes funktioniert. In polarisierten Ländern wie den USA mag das gelten. (Schon die Farbgebung mit Blau = links und Rot = rechts verrät die USA-Zentiertheit. In den Staaten sind die Republikaner rot. Hierzulande würde man diese Farbe mit den Sozialdemokraten in Verbindung bringen.) Bei uns sind die Forumsmedien aber noch nicht ausgestorben.

Was sind News ohne Kontext?

Drittens, und noch viel schlimmer scheint der Algorithmus nur die Nachrichten anzuschauen, nicht aber den Kontext, in dem ein Twitterer sie veröffentlicht.

Und das ist ein tatsächliches Problem: Sollte nun KoeppelRoger – und das ist eine Unterstellung, weil ich es nicht überprüft habe – beispielsweise linke Quellen nur nennen, um sich über die dort veröffentlichten Meinungen lustig zu machen, dann wäre die Bewertung von The Blindspotter nicht nur falsch, sondern geradezu irreführend.

Zur Verteidigung: The Blindspotter verspricht keine Analyse des Twitterers, sondern nur von dessen Bubble; und die kann logischerweise auch von der Person abweichen. Trotzdem ist diese Einschätzung natürlich vor allem dann hilfreich, wenn man auf die Schnelle herausfinden möchte, mit was für einem Menschen (oder Bot) man es bei einer neuen  Twitter-Bekanntschaft zu tun hat.

Damit sind wir bei der gleichen alten Erkenntnis, zu der ich in letzter Zeit schon mehrfach gelangt bin: Daten ohne Kontext sind nur bis zu einem gewissen Grad nützlich und können ab einem bestimmten Punkt auch einen komplett falschen Eindruck liefern. Ich habe das im Beitrag Alibiübungen und Fehleinschätzungen von Google bei der personalisierten Werbung nachgewiesen, und es ist auch im Beitrag Die Wissenschaft hat festgestellt, dass Forschungsbedarf besteht zu Google Trends klargeworden.

Das heisst nun nicht, dass ich The Blindspotter in Bausch und Bogen verdammen würde. Aber ich rufe uns alle auf, ein gesundes Misstrauen gegenüber jeglichen Algorithmen zu entwickeln, die behaupten, uns durchschaut zu haben.

Beitragsbild: Hier ist auch die rechte Socke links (Kyle Van Alstyne, Unsplash-Lizenz).

Kommentar verfassen