Alibiübungen und Fehleinschätzungen von Google

Wie gut kennt Google uns Nutzer – und wie gut ist demzufolge die perso­nali­sierte Werbung? Ich bin dieser Frage nach­ge­gangen. Und habe erkannt, dass der Such­ma­schi­nen­kon­zern längst nicht so viel weiss, wie er wissen könnte.

Auf verschlungenen Klickwegen bin ich neulich bei Google auf der Seite adssettings.google.com gelandet. Das ist die Seite des Suchmaschinenbetreibers, auf der man die Einstellungen vorfindet, anhand derer Google einem Werbung vorsetzt. Und diese Seite hat es in sich!

Zuoberst gibt es den Schalter Personalisierte Werbung ist aktiviert, den man auch in die Aus-Position schieben kann. Man erhält dann nur noch Werbung, die  von «allgemeinen Faktoren» basiert. Beispiele für solche allgemeinen Faktoren sind «das Thema, mit dem Sie sich gerade beschäftigen, der Tageszeit oder Ihr allgemeiner Standort».

Google geht mit keinem Wort darauf ein, welche Auswirkungen die das Abschalten der Personalisierung auf das Interesse des Konzerns an persönlichen Nutzerdaten hat. Ich denke, das hat einen guten Grund – denn es dürfte überhaupt keine Auswirkungen haben. Meine Vermutung wäre, dass Google alle greifbaren Informationen weiterhin sammelt und bereithält und sie lediglich beim Ausspielen der Werbung nicht mehr berücksichtigt.

Um es noch etwas härter zu sagen: Ich unterstelle diesem Knopf eine reine Alibifunktion: Er soll den Eindruck erwecken, dass uns Google eine weitreichende Entscheidungsmöglichkeit einräumt, während die Wirkung in Tat und Wahrheit begrenzt ist.

Für Google ist Streuverlust kein Problem

Wenn man die Sache etwas weiterdenkt, kann es Google sogar recht sein, wenn ein gewisser Anteil von Leuten die Personalisierung abschaltet: Denn wenn Werbung weniger zielgenau ausgespielt wird, gibt es mehr Streuverlust. Es braucht seitens der Werbetreibenden mehr Aufwand, um die gewünschte Resonanz zu erzielen. Mit anderen Worten: Sie müssen mehr Geld in die Werbung investieren, um erfolgreich zu sein. Und Google verdient mehr.

Natürlich sollten nicht zu viele Google-Nutzer die Personalisierung abschalten, weil das den Ruf der Werbeplattform beeinträchtigen würden. Aber ein paar Personalisierungsverweigerer verträgt es allemal.

Betrachtet man die Sache aus Nutzersicht, gibt es keinen stichhaltigen Grund, sich der Personalisierung zu verweigern: Es bringt einem nichts, nur die allgemeine Werbung zu sehen.

Mit einer Ausnahme: Wenn man die Tendenz hat, sich zu Spontankäufen verleiten zu lassen, dann lässt sich damit womöglich ein bisschen Geld sparen. Trotzdem würde ich in diesem Fall eher zum Werbeblocker raten. Siehe dazu: Netzsperren für Werbung. Wenn man die Privatsphäre schützen möchte, dann sollte man etwas gegen das Tracking tun. Dazu finden sich Tipps im Beitrag Den Datensammlern eine lange Nase!

Die fragliche Seite von Google hat aber noch mehr zu bieten: Darunter findet man eine Liste mit den Interessen, die Google bei einem vermutet: Bei mir sind das 128 Eigenschaften und Interessen. Ein Screenshot davon findet sich am Ende des Beitrags.

Wie gut kennt mich Google denn nun wirklich?

Stellt sich die Frage: Wie gut kennt mich Google? Um das zu bewerten, habe ich eine Einteilung der Liste vorgenommen. Ich habe drei Kategorien angelegt. In der grössten Kategorie landen die Interessen, die zwar richtig, aber nicht schwer zu erraten sind. Die lasse ich an dieser Stelle weg, damit meine Auswertung überschau- und nachvollziehbar bleibt.

Deshalb kommen an dieser Stelle die beiden anderen Kategorien zum Zug.

Die erste der beiden anderen Kategorien sind die Interessen, von denen ich überrascht war, dass Google sie kennt:

  • Elternstatus: 3 Faktoren

Das Überraschende an dem Punkt ist vor allem, dass ich nicht weiss, was diese drei Faktoren sein sollen – und ich mit etwas Googeln auch keine Antwort darauf gefunden habe. Sollte diese Einschätzung richtig sein, weiss Google in der Tat mehr über mich als ich selbst – zumindest bei diesem einen Punkt.

19-mal daneben gehauen

Aber nun zur zweiten der beiden anderen Kategorien. Das ist die interessanteste – nämlich die Kategorie, bei der Google schlicht und ergreifend falsch liegt. Das sind Dinge, die mich null interessieren:

  • Audi
  • Bankwesen
  • Bau und elektrische Werkzeuge
  • BMW
  • Berg- und Skiresorts
  • Bildungsgrad: Erweiterter Universitätsabschluss
  • Blumen
  • Bootfahren
  • Brancheneinträge und persönliche Einträge
  • Geschäftsdienstleistungen
  • GPS und Navigation
  • Grusskarten
  • Handys
  • Heimwerken
  • Java (Programmiersprache)
  • Katzen
  • Luxusfahrzeuge
  • Marketing
  • MLM und Geschäftschancen

Das sind immerhin 19 Fehleinschätzungen von 128 Punkten oder fast 15 Prozent. Das ist nicht gerade eindrücklich, sondern im Gegenteil ziemlich schlecht. Vor allem, weil es auch einige spektakuläre Fehleinschätzungen gibt: BMW, Audi, Luxusfahrzeuge? Die finde ich nicht nur uninteressant, sondern lösen bei mir Gefühle der Abneigung aus.

Es kommt hinzu, dass ich noch einige Interessen habe, die ich durchaus auch mittels Google auslebe, die nicht in der Liste vorkommen: Zum Beispiel Open-Source-Software, Medien, Office-Software, Delphi-Programmierung, Verschwörungstheorien, Podcasts, Hörbücher, Tees – um nur einige Kategorien zu nennen, die jeder erraten kann, der sich mein Blog hier ansieht.

Womöglich weiss Google mehr

Nun kann es natürlich sein, dass Google sich hier nur ansatzweise in die Karten blicken lässt, und noch ein paar Dinge über mich weiss, die in dieser Liste nicht ersichtlich sind. Als natürlich komplett hypothetisches Beispiel würde ich vermuten, dass Google besondere sexuelle Vorlieben an dieser Stelle nicht ausweisen würde, selbst wenn sie sich deutlich manifestiert haben. Denn es liegt auf der Hand, dass dies das Misstrauen gegenüber Google wecken oder schüren würde.

Trotzdem zeigt die Liste meines Erachtens sehr schön die Grenzen der Personalisierung auf: Big Data führt eben nicht automatisch zu einem umfassenden Verständnis.

Im Gegenteil: Ohne die richtige Interpretation können solche Datensammlungen irreführend sein. Beispiel «MLM und Geschäftschancen». Ich nehme an, dass MLM für Multi-Level-Marketing steht, was meines Erachtens fast nur in einem höchst fragwürdigen bis betrügerischen Kontext anzutreffen ist. Ich habe natürlich schon zu solchen Maschen recherchiert – was aber nicht bedeutet, dass ich ein privates Interesse habe oder für Werbung zu diesem Thema empfänglich wäre.

Und das ist Googles Problem: Die Suchmaschine kennt meine Motive nicht, wenn ich google. Ich kann eine Suche aus persönlicher Neugierde starten. Als Journalist recherchiere ich allerdings sehr oft aus beruflichen Gründen zu Dingen, die mich selbst nicht direkt betreffen. Und wenn ich nun ein Ökoterrorist wäre, würde ich vielleicht nach Luxusautos googeln, um herauszufinden, wie ich sie am besten in die Luft sprengen kann. (Hier wiederum der Hinweis, dass das ein hypothetisches Beispiel ist!)

Es kommt ein Punkt hinzu: Indem sich Google auf diese Interessen konzentriert, werden Bereiche ausgeklammert, die für mich relevant wären, von denen Google aber noch nichts weiss – es gibt eine Blasenbildung, die unter Umständen den Blickwinkel zu weit einengt. (Siehe dazu auch Wer will sich von einem Algorithmus bevormunden lassen?)

Fazit: Es ist begrüssenswert, dass Google hier zu einer Demystifizierung seiner selbst beiträgt. Auch die Werbetreibenden sollten die Gelegenheit wahrnehmen, die Personalisierung der Werbung endlich nüchtern zu betrachten. Zumal im Fall von Audi oder BMW die Datenhörigkeit zur Folge hatten, dass die Autohersteller völlig unnötigerweise Werbegelder an mich verschwendet haben.

Beitragsbild: Google hat eine verzerrte Wahrnehmung von uns Nutzern (Kai Wenzel, Unsplash-Lizenz).

Diese lange Liste von angeblichen Interessen hat Google über mich zusammengestellt.

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