Es gibt wenige Menschen, die mein Herz so schnell eroberten wie Anja Rützel. Sie hat einen wundervollen Humor, ist auf eine ironische Weise unironisch und pflegt einen so charmanten Umgang mit der Sprache, dass mir das Herz aufgeht. Und wenn ich hier so dreist sein darf, mich direkt mit ihr zu vergleichen, dann verbindet die Tatsache, dass wir uns beide über Themen schreiben, die in der redaktionellen Hackordnung weit unten stehen, wir das aber mit einer Leidenschaft und Ernsthaftigkeit tun, die nicht bei allen Kolleginnen und Kollegen in den wichtigen Ressorts wie Politik und Wirtschaft vorhanden sind: Sie schreibt beim «Spiegel» über die Niederungen des Privatfernsehens.
Sie gilt auch als Perlentaucherin im Trash-TV-Sumpf: Diesen Ehrentitel hat ihr Holger Klein in Holger ruft an verliehen. Das ist der wöchentliche Podcast von Übermedien, in dem Rützel das «Dschungelcamp» von RTL zerlegte, und wo ich sie zum ersten Mal hörte. Neulich war sie bei Fest & Flauschig. In dieser Sendung schaffte sie es, eine live vor Publikum aufgezeichnete Folge (die ESC-Afterglow-Party) zum ersten Mal auf nicht nur ein erträgliches, sondern auf ein ausgezeichnetes Niveau zu heben. Ich behaupte, dass das ausschliesslich ihr Verdienst war. Jan und Olli selbst neigen bei diesen Gelegenheiten nämlich zu einer Über-Performance, die entweder krawallig oder langweilig oder beides zusammen ist.
Die Frau, die Jan und Olli bändigt

Nebenbei war in «Fest & flauschig» zu erfahren, dass Anja Rützel seit letzter Woche einen eigenen Podcast hat. Den betreibt sie zusammen mit Schauspieler und Moderator Jochen Schropp. Und natürlich geht es auch in Sendepause Fehlanzeige (RSS, iTunes, Spotify) um jene medialen Erzeugnisse, bei denen die Unterhaltung höher gewichtet wird als ein Bildungsauftrag. Und sollte das Publikum trotzdem etwas lernen, dann erstreckt sich die Erkenntnis auf die schillernden Ausprägungsformen menschlicher Interaktion.
Die etwas abschätzige Einordnung stammt von mir. Sie rührt daher, dass ich meine Vorurteile zum Trash-TV nie ablegen konnte. Ich habe es allerdings auch nie ernsthaft versucht. Die einzige Doku-Soap, die mein Herz je erreichte, ist «Auf und davon»; und bei der ist der Inszenierungsgrad gering. Diese Unwissenheit ist für mich als Podcast-Rezensent an dieser Stelle natürlich ein Problem, und darauf komme ich gleich zu sprechen. Vorher muss ich unbedingt festhalten, dass Anja Rützel in der ersten Folge ihr «Mission Statement» verkündet: Das gibt uns klar zu verstehen, dass sie ihren Gegenstand als kulturelle Spielart behandelt – im Wissen, dass es «keine Hochkultur» ist. Da sie ihr privates Interesse nicht verhehlen kann, steht natürlich auch die Frage im Raum, ob die journalistische Distanz gewahrt bleibt. Ich bejahe, mache aber bei ihrem Co-Host ein Fragezeichen. Jochen Schropp moderiert ein Ding namens «Promi Big Brother» und ist als solcher nicht unabhängig. Aber klar, dieser Makel lässt sich beheben, indem man ihm die Rolle des Insiders zuschanzt. Und auch wenn eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema das erklärte Ziel ist, wollen wir nicht päpstlicher als der Papst sein.
Arabella? Da klingelt was
Aber nun zur entscheidenden Frage: Schafft es «Sendepause Fehlanzeige» über die Verehrung von Anja Rützel hinaus, mich mit der Metaebene bei der Stange zu halten, wo mich die Objektebene leider überhaupt nicht zu packen vermag? Nicht nur, dass ich die Sendungen nicht kenne; auch das Personal ist mir gänzlich unbekannt. Die einzige Ausnahme in der ersten Folge, die sich um Kampf der Realitystars dreht, ist Arabella Kiesbauer, bei der mich tatsächlich eine vage Erinnerung ans Privatfernsehen der 1990er-Jahre beschleicht.
Die Antwort ist zu meinem Leidwesen ein Nein. Den Bibel-Podcast «Unter Pfarrerstöchtern» kann ich auch als Agnostiker anhören. Doch hier fehlt es mir nicht nur an Grundlagenwissen, sondern auch an der Begeisterung für die Materie. Natürlich kann man sich den Podcast auch aus soziologischen Gründen oder aus Interesse an der Medienbranche anhören, doch dafür ist das Zeitinvestment zu hoch. Es bleibt eine riesige Herausforderung, ein Spartenthema so aufzuarbeiten, dass es für ein breites Thema zugänglich ist. Als Tech-Journalist weiss ich, wovon ich spreche: Ab und zu gelingt es, Bezüge von allgemeinem Interesse herzustellen. Aber in aller Regel muss man sich damit abfinden, zum Chor zu predigen. Vielleicht würde der Podcast an Zugänglichkeit gewinnen, wenn der zweite Gesprächspartner kein In-, sondern ein Outsider wäre?
Mehr Meta geht immer
Fazit: Ich werde nicht bei jeder Folge von «Sendepause Fehlanzeige» dabei sein. Aber ein Abo ist mir der Podcast trotzdem wert. Ich hoffe darauf, dass zwischendurch nicht um einzelne Fernsehformate geht, sondern um Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Formate, um analytische Themen oder um die breite Palette an manipulativen Mitteln, die dem Fernsehen zur Verfügung stehen.
Wie aufschlussreich das ist, beweist die Folge Untenrum, in der die Schnitttricks von RTL und die destruktive Versuchsanordnung in der Sendung (falls ich nichts verwechsle) Temptation Island besprochen wird. Als Recherche zu diesem Beitrag habe ich mich auch mit dem früheren Podcast Verbrechen am Fernsehen (RSS, iTunes, Spotify) beschäftigt, den Anja Rützel 2023 fürs Studio Bummens aufgenommen hat. Diese Folge bestreitet sie mit einer Frau, über die ich hier keine Lobeshymnen singen muss (weil ich das schon früher getan habe); aber es steht ausser Frage, dass Samira El Ouassil eine hervorragende Sparringpartnerin für Anja Rützel abgibt. Die Metapher, die mir von dieser Sendung immer in Erinnerung bleiben wird, ist die Moral, die den Fleischberg besteigt.
Beitragsbild: Das einzige Programm, um das es im Podcast nicht geht (Rubenz Arizta, Unsplash-Lizenz).