Die Doku-Soap meines Herzens

Die Erzeug­nisse des Reality-TV fasse ich nor­maler­weise nicht einmal mit einem Stöckchen an. Doch für eine Sendung mache ich eine Aus­nahme. Nämlich für «Auf und davon» von SRF.

Wenn morgen das Fernsehen abgeschaltet würde, was würde mir dann fehlen? Sicherlich die «Tagesschau», das eine oder andere Polit-Magazin, gewisse Satire-Sendungen und Dokus zu Themen, die auf Netflix nicht behandelt werden. Und die Sendung «Auf und davon» des Schweizer Fernsehens.

Ja, heute ist Zeit für eine Beichte: Ich bin leidenschaftlicher Zuschauer dieser Doku-Soap, bei der Menschen begleitet werden, die die Schweiz verlassen und irgendwo sonst auf diesem Planeten neu anfangen.

Das grosse Wikipedia-Versäumnis

Es gibt diese Serie seit ungefähr zehn Jahren – so weit ich das auf die Schnelle in Erfahrung bringen konnte. Denn skandalöserweise existiert für diese Sendung keine Wikipedia-Seite, obwohl das unbestreitbar einem öffentlichen Bedürfnis entsprechen würde. Also, es gibt doch sicherlich einen unterbeschäftigten SRF-Mitarbeiter, der einen Eintrag ausarbeiten könnte – natürlich mit ausführlichem Episodenführer und einem Verzeichnis der Protagonisten. (Ich würde es selbst tun, wenn ich die Zeit dafür hätte.)

Ich habe mir überlegt, warum ich diese Serie mag, obwohl ich sonst mit dem Reality-TV in all seinen Ausprägungen nichts anfangen kann. Es ist mir zu flach, zu voyeuristisch und oft ausbeuterisch.

Das deutsche Gegenbeispiel

Das gilt gerade auch für das deutsche Gegenstück namens Goodbye Deutschland!, das in diesem Haushalt von einer Person konsumiert wird, die aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht namentlich genannt werden soll. Diese Sendung ist meines Erachtens ein typischer Vertreter des privatrechtlichen Fernseh-Trashs, dessen Hauptzweck darin besteht, dem Zuschauer das Gefühl zu geben, dass es Leute gibt, die noch dümmer/erfolgloser/lebensunfähiger sind als man selbst. Dafür habe ich keinen Bedarf.

Im Gegensatz dazu zeichnet sich «Auf und davon» durch ehrliches Interesse an seinen Protagonisten aus. Das äussert sich in einem respektvollen Umgang. Wir sollen Zuneigung für die Menschen entwickeln, die wir kennenlernen – keine Verachtung und kein Überlegenheitsgefühl. Das gelingt natürlich nicht mit allen porträtierten Personen gleichermassen, aber es gelingt erstaunlich oft. Wer auch immer die Auswahl trifft, welche Familien bei ihrer Auswanderung begleitet werden sollen: Diese Redakteurinnen verstehen ihr Handwerk.

Es menschelt (aber auf die gute Art)

Zweitens stimmt die Balance zwischen Nähe und Distanz: Wir erleben zwar auch die Krisen und die Konflikte mit, aber ohne voyeuristische Aufdringlichkeit. Die Sendung lässt den Personen ihre Würde auch in Situationen, in denen uns Zuschauerinnen klar wird, dass sich hier jemand in die Tasche gelogen oder selbst überschätzt hat oder einem Phantom nachjagt. Da ist der Eindruck beim Publikum nicht, dass ihm das niemals hätte passieren können – sondern eher, dass das eine menschliche Eigenschaft ist, von der niemand gefeit ist.

Schliesslich finde ich es immer wieder bemerkenswert, wie «schweizerisch» diese Auswanderer doch sind. Das zeigt einerseits, dass man seiner Prägung auch in Kanada, Schweden, Griechenland oder Florida nicht entkommt – aber auch, dass helvetisches Bünzlitum und kosmopolitische Aufgeschlossenheit nicht so gegensätzlich sind, wie es scheint, wenn man sich die nicht-auswandernden Compatriotes anschaut.

Mona, natürlich

Ein Highlight sind – das ist für mich als alter Fan eigentlich kaum der Rede wert – die Spezialfolgen mit Mona Vetsch. Sie schafft es wie kaum jemand sonst, bei den Auswanderern aufzukreuzen und sich sogleich wie eine alte Freundin am Küchentisch willkommen geheissen zu werden.

Unterm Strich ist «Auf und davon» ein gelungenes Beispiel für konstruktiven Journalismus – zwar nicht unbedingt lösungsorientierte Berichterstattung, wie man sie klassischerweise unter dem Begriff versteht. Aber ein Beleg dafür, dass nicht immer der Skandal, das Scheitern, sowie Mord und Totschlag für Interesse sorgen, sondern auch das fast ganz normale Leben. Klar, die Auswanderer bewegen sich aus ihrer Komfortzone und begeben sich auf ein Abenteuer. Trotzdem ist Auswandern eine Tätigkeit, die zum normalen Leben zählt. Darum beweist SRF hier, dass eben auch die «Hund beisst Mann»-Geschichten bewegen können – wenn sie bloss richtig erzählt werden.

Beitragsbild: Die Buholzers in Kreta, mit Mona Vetsch (SRF-Medienportal).

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