Seit dem iPhone 11 gibt es den Nachtmodus: Er macht auch bei schlechten Lichtverhältnissen eindrückliche Fotos. Ich nehme an, dass er das mit dem gleichen Trick tut, mit dem auch Astronomiefotografen operieren: Sie machen während ein paar Minuten oder ein paar Stunden eine Reihe von Bildern, die dann zu einer Aufnahme zusammengerechnet werden. Man nennt das auch Exposure-Stacking.
Da für eine solche Aufnahme länger als üblich belichtet wird, ist die Bildstabilisation entscheidend: Nur wenn sich alle Fotos deckungsgleich übereinanderlegen lassen, entsteht ein schönes Resultat. Der Nachtmodus lässt keinen Zweifel daran, wie toll die Bildstabilisation beim iPhone ist: Selbst wenn man aus der Hand fotografiert, ist das Bild – wenn man nicht schlimm zittert – so scharf, dass bei Aufnahmen mit Nachthimmel sogar Sternchen zu sehen sind.
So toll ich den Nachtmodus finde, sosehr habe ich etwas bedauert: nämlich den Umstand, dass man ihn nicht auch während des Tages verwenden kann. Auch während des Tages hat das längere Belichten seinen Reiz: Bewegliche Objekte werden zu unscharfen Silhouetten oder verschwinden ganz. Fliessendes Wasser erscheint als Vorhang oder Schleier. Auch längere zeitliche Abläufe lassen sich in einem Bild verdichten – zugegeben, das ist fotografisch anspruchsvoll.
Vom gleichen Team wie Halide Kamera
Ich habe nach einer App gesucht, die Langzeitbelichtungen auch tagsüber ermöglicht, und ich habe Spectre Kamera gefunden. Die App stammt vom gleichen Team wie Halide Kamera und kostet vier Franken fürs iPhone. Sie ist simpel in der Benutzung: Man wählt die Kamera, also entweder Normal, Tele oder Weitwinkel, und man kann auch auf die Selfie-Kamera umschalten. Durch Tippen in der Live-Vorschau setzt man den Fokus, und über einen Regler dreht man die Belichtung hoch oder zurück. Über ein virtuelles Drehrad stellt man die Belichtungszeit ein. Man kann eine Dauer von drei bis neun Sekunden wählen.
Die App hält eine Einstellung für Lichtspuren bereit, bei der man die drei Optionen Auto, On und Off zur Verfügung hat. Die sorgt dafür, dass Lichtspuren erhalten oder aber weggerechnet werden.
Das letzte Element der Benutzeroberfläche ist – natürlich – der Auslöseknopf. Er zeigt einem Rechteck in einem Begrenzungsrahmen an, wie ruhig man das Handy hält.
Denn klar: Die Bildstabilisation kann nur innert gewissen Grenzen operieren; wenn man zu sehr wackelt, ist das nicht zu korrigieren. Trotzdem: Die Bildstabilisation funktioniert hervorragend. Wenn man eine Art Zoom-Effekt erzielen will und sich dafür z.B. mit der Weitwinkel-Kamera fotografierend langsam vorwärts bewergt, ergibt auch das schöne Resultate.
Es funktioniert und macht Spass
Mein Fazit nach ein paar Fotos: Spectre Kamera tut genau das, was ich erwarte – und zwar auf unkomplizierte und solide Weise. Es macht Spass, mit dieser App zu experimentieren, auch wenn ich mir wünschen würde, dass bei neun Sekunden noch nicht Schluss wäre. Warum nicht zwei, drei Minuten belichten – oder eine halbe Stunde? Zwar können nicht alle Leute den Arm so lange ruhig halten. Aber wofür gibt es Stative?
Allerdings gibt es für diesen Zweck vielleicht die Möglichkeit, die Frames aus einem Video zu stacken. Dieser Frage werde ich nachgehen. Und falls jemand dazu einen Tipp hat, bin ich froh über einen Hinweis in einem Kommentar.
Der faszinierende Live-Foto-Effekt
Übrigens: Standardmässig macht Spectre Kamera Live-Fotos. Das heisst, dass in einer kurzen Videosequenz gezeigt wird, welche Einzelaufnahmen zur Langzeitbelichtung verschmolzen wurden. Das sieht eindrücklich aus und ist ein Effekt, den auch erfahrene Analog- und Spiegelreflex-Fotografen nicht reproduzieren können. Darum: eine echte Empfehlung!
Eine Alternative zu Spectre Kamera ist Slow Shutter Cam: Sie kostet zwei Franken und hat eine interessante Funktion, die es bei Spectre Kamera nicht gibt. Man kann die Belichtungszeit nachträglich verkürzen und die Belichtung von hinten beschneiden. Trotz dieses Vorteils sind die Qualität und die Benutzung bei Spectre im Vergleich meines Erachtens deutlich besser.
Beitragsbild: Eine Langzeitbelichtung in der Marktgasse Winterthur. Nebenbei bemerkt eine brauchbar Möglichkeit, um Personen unkenntlich zu machen.