Kein Kamera-Ei des Kolumbus

Halide wird weitherum als beste Kamera-App aller Zeiten gelobt. Diese hohe Anerkennung teile ich nicht, aber eine Empfeh­lung ist mir die App allemal wert, weil sie eine raffi­nierte Metho­de für die Belich­tung und RAW-Qualität berei­thält.

Kamera-Apps fürs iPhone gibt es … naja, aus Angst vor einem anprangernden Tweet der Floskelwolke verwende ich nun nicht die nahe liegende Formulierung, in der die Worte «Sand» und «Meer» vorkommen. Es gibt jedenfalls sehr viele davon. Unter anderem die hier vorgestellte und noch immer gern verwendete Manual Camera. Oder Halide. Die App ist für sechs Franken fürs iPhone erhältlich.

Ich habe diese App besorgt, weil ich neulich die Siri-Kürzel vorgestellt habe: Das sind einzelne App-Befehle, die man über Googles digitale Assistentin aufrufen kann. Mit Halide ist es möglich, per Sprachbefehl ein Foto zu machen – und sogar per Hey, Siri! Das ist schon ganz charmant – und es ist per Kurzbefehle-App auch möglich, einen ganzen Workflow dranzuhängen, der ein Bild zum Beispiel gleich bei Instagram postet. Es war nie einfacher, Influencer zu sein!

Von prominenter Abstammung

Die Sprachsteuerung ist aber nur ein Nebenaspekt. Einer der Hauptaspekte von Halide scheint zu sein, dass sie von einem ehemaligen Twitter-Entwickler fabriziert worden ist – zumindest erhält man den Eindruck bei der Lektüre dieses Techcrunch-Beitrags. Aus meiner Sicht wäre das eher ein Nachteil, zumal Twitter selten durch gute Entscheide in Sachen Nutzerfreundlichkeit aufgefallen ist – und die Verarbeitung von Kurznachrichten andere Ansprüche stellt als der geschickte Umgang mit einer Smartphone-Kamera.

Halide
Wer es mag: Das normale Bild, mit Tiefeninformationen überlagert.

Egal. Es handelt sich bei Halide um eine der Apps, die RAW aufnimmt und dem Nutzer mehr Einfluss auf die Aufnahmeparameter einräumt als die Standard-Foto-App das tut.

Der Clou ist, dass man die Belichtung per Wischgeste einstellt: Vertikales Wischen irgendwo, ohne dass man ein Bedienelement mit dem Finger treffen müsste, verstellt den Lichtwert. Über die Schärfeleiste unterhalb des Kamerabildes (respektive rechts im Querformat) schaltet man von der automatischen Scharfstellung auf den manuellen Fokus um, sodass man mittels horizontalem Wischen den Fokuspunkt manuell verschiebt. Eine zuschaltbare Konturenanhebung zeigt, was scharf ist.

Die Tiefeninformationen sichtbar machen

Man kann über diese Leiste im AF-Modus (Autofokus) auch zu Depth umschalten: In dieser Darstellung sieht man bei iPhones mit Doppelkamera die Tiefeninformationen, entweder separat oder übers Live-Bild gelegt – letzteres führt dann zu geisterhaftem Aufblitzen von Bildkonturen. Ob das wirklich einen fotografischen Mehrwert darstellt, scheint mir fraglich. Wenn jemand einen praktischen Nutzen sieht, dann lasse ich mich via Kommentare aber gerne belehren.

Über die Leiste am oberen Rand blendet man ein Histogramm ein- oder aus und schaltet von der Front- auf die Rückkameras um. Der Knopf in der Mitte wechselt vom automatischen Modus in den manuellen: Mit M gibt man ISO und Weissabgleich selbst vor. Die Leiste lässt sich für mehr Optionen herunterziehen: Dann kann man den Blitz steuern, den Selbstauslöser zuschalten, Gitternetzlinien einblenden und die Aufnahmequalität einstellen (RAW).

Diese sogenannte Aktionsleiste lässt sich über die Einstellungen (der Zahnrad-Knopf am rechten Rand) anpassen, indem man die Symbole umsortiert. Zusätzliche Befehle scheint man jedoch nicht einfügen zu können. In den erweiterten Einstellungen gibt man an, ob statt RAW ein unkomprimiertes Tiff gespeichert werden soll – das liefert die beste Bildqualität.

Per Siri fotografieren

Ansonsten legt man hier die erwähnten Siri-Kürzel fest: Nebst «Auslöser drücken» gibt es auch «Foto aufnehmen» (was immer auch der Unterschied sein mag) und «Im manuellen Modus öffnen». Hier wäre natürlich noch mehr möglich. Zum Beispiel eigene Kameramodi etwa mit einem vorgegebenen Weissabgleich, die man per Sprachbefehl aktivieren könnte.

Gelungen finde ich die Peek-Möglichkeit zur Visionierung seiner Aufnahmen: Tippt man per 3-D-Touch fest auf das kleine Symbol in der linken unteren Ecke, erscheint das letzte Foto in einer grossen Vorschau. Lässt man los, verschwindet es wieder. Das geht schnell und unkompliziert. Allerdings beherrscht auch die normale iPhone-Kamera diesen Trick.

Fazit: Eine nette Kamera-App, aber abgesehen von den Siri-Befehlen nicht herausragend, und darum zu teuer. Das Ei des Kolumbus (Tschuldigung, Floskelwolke) scheint bei den Kamera-Apps noch nicht gefunden.

Beitragsbild: Das echte «M»-Gefühl ist bei mir leider nicht aufgekommen. (Skitterphoto/Pexels, CC0)

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