Mit Dramedy trotzt Mo Najjar selbst dem Terror

Dank der Netflix-Serie «Mo» gelingt uns ein spek­ta­ku­lä­rer Per­spek­ti­ven­wech­sel: Wir sehen die Welt durch die Augen von einem, dem jeder­zeit die «Re­mi­gra­tion» droht.

Letztes Jahr habe ich zehn Netflix-Serien vorgestellt, die das Potenzial haben, eine allfällige Streaming-Müdigkeit zu vertreiben. Eine Serie, die 2025 in dieses Aufgebot passt, ist Mo. Im Januar wurde die im Jahr 2022 gestartete Serie mit dem kurzen und bündigen Titel durch eine zweite Staffel fortgesetzt. Sie ermöglicht uns einen spannenden Perspektivenwechsel – und mit «uns» meine ich die Leute, die sich ihrer Herkunft und Heimat gewiss sein können und vielleicht sogar der Ansicht sind, dass Migranten keine Menschen, sondern die Wurzel allen Übels sind.

Mo steht kurz für Mohammed: Diesen Vornamen und einige Elemente ihrer Biografie teilt die Hauptfigur mit ihrem Darsteller, Mohammed Amer. Jener ist von Haus aus Stand-up-Comedian, und er liefert eine glaubwürdige Verkörperung dieses für «uns» unbekannten Wesen. Mo in der Serie ist ein staatenloser Palästinenser, dem man seine Herkunft durchaus ansieht, der jedoch den amerikanischen Lebensstil gleichzeitig so authentisch verkörpert, dass wir uns unweigerlich fragen, wie dieses Volk es in der Mehrheit vergessen konnte, dass es aus Leuten gewachsen ist, die aus aller Herren Länder eingewandert sind.

Mo ist ein Organisationstalent.

Geflohen vor den Folterknechten

In der ersten Staffel schlägt sich Mo Najjar so durch. Zusammen mit seiner Mutter Yusra, seiner Schwester Nadia und seinem Bruder Sameer (Omar Elba) ist er nach dem Golfkrieg aus Kuwait geflohen, nachdem der Vater den Folterknechten zum Opfer fiel. Mo verkauft gefälschte Handtaschen aus dem Kofferraum seines Autos, muss jederzeit mit der Abschiebung rechnen und gibt sich dennoch alle Mühe, so normal wie möglich zu leben. Das gelingt ihm dank seiner Freunde, zu denen u.a. Nick aus Nigeria zählt, der grossartig von Tobe Nwigwe gespielt wird. Auch seine Freundin María (Teresa Ruiz) ist ein Anker und eine Quelle des guten Einflusses für ihn. Sie ist Mexikanerin und katholisch, was natürlich für effektvolle Wendungen sorgt. Doch abgesehen vom Drama stellen María und Mo die Vorzüge eines solchen wilden kulturellen Cocktails unter Beweis. Dazu zählt nicht zuletzt die Polyglottie: Mo wechselt nahtlos zwischen Englisch, Spanisch und Arabisch.

Da die Familie noch immer auf ihren Asylbescheid wartet, ist die Lebensplanung schwierig. María strebt die Hochzeit an, doch hier stellt die Religion nun doch ein Problem dar; die Mutter Yusra würde sich mit den katholischen Gepflogenheiten nicht so wohlfühlen, fürchtet Mo und stellt sich bei der Familienplanung quer. Am Ende der ersten Staffel strandet Mo in Mexiko, weil er mit geklauten Olivenbäumen für seinen Bruder und die Familie ein Geschäft aufbauen will.

Mos Freund Nick hat ebenfalls eine lockere Zunge.

Die besten Falafel-Tacos weit und breit

Als staatenloser Flüchtling ohne Pass gibt es keine Rückkehr in die USA. Am Anfang der zweiten Staffel schlägt sich Mo in Mexiko durch, in dem er Falafel-Tacos aus dem Food-Anhänger verkauft. Aber natürlich will er zurück; zu María und zu seinem alten Leben. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als den Weg zu wählen, auf dem die vielen Menschen aus Südamerika in die USA streben: Durch eine Überquerung des Rio Grande, bei der auch eine Familie mit Baby dabei ist und wo am anderen Ufer eine texanische Bürgerwehr auf die Ankömmlinge wartet.

Wie zurück in die USA? Mo bleibt nur der Weg über den Rio Grande.

Mo schafft es durch sein Improvisationstalent und trotz einer amourösen Attacke eines lüsternen Botshcafter-Paars dank anwaltlicher Hilfe aus dem Abschiebungsgefängnis zurück in seine Heimatstadt Houston. Dort versucht er, sein altes Leben wieder aufzunehmen. Das könnte nach Wunsch verlaufen, wäre da nicht María, die sich neu orientierte. Sie ist mit einem anderen Mann zusammen, und zu Mos grossem Unglück ist er Jude. Das Verhältnis der Palästinenser zu den Juden war in der Serie bisher kein grosses Thema. Doch unter diesen neuen Umständen ist es nun doch ein Stachel im Fleisch. Highlight: Der völlig gefrustete Mo, der den Widersacher Guy (Simon Rex) in schönster Anspielung an Abraham als verkrachten Cousin bezeichnet.

Überschattet vom Terror

Damit sind wir beim Problem dieser zweiten Staffel: Sie ist unter dem Einfluss des Hamas-Terrorangriffs auf Israel am 7. Oktober 2023 entstanden. Hätte sie direkt darauf reagieren sollen? Oder ist dieses Ereignis zu monströs, als dass man ihm in einer solchen Serie gerecht werden kann? Mir fällt es schwer, darauf eine Antwort zu finden. Nur eines ist klar: Wie man es macht, macht man es falsch. Mohammed Amer wurde natürlich dazu befragt; hier oder auch hier.

Im Beitrag von «Variety» spricht Mohammed Amer das offensichtliche Problem an, dass allzu konkrete Aussagen leicht von der Aktualität überrollt werden könnten. «Mo» finde einen eigenen Weg der Kommentierung, heisst es im Artikel:

In einer Szene kann Mos Mutter, Yusra (Farah Bsieso), ihre Augen nicht von ihrem Telefon losreissen und ist besessen von einer Nachrichtenmeldung über eine von Israel zerstörte palästinensische Schule, anstatt das Erntedankfest mit ihrer Familie zu geniessen. Mos Schwester Nadia (Cherien Dabis) ist der Meinung, sie sei es dem palästinensischen Kampf schuldig, ein fröhliches Leben zu führen. «Man sieht, was in ihren Herzen und Köpfen vor sich geht, und das sagt für mich alles, was man wissen muss», sagt Amer.

Versöhnung als einziger Ausweg

Hier wird dieser Ansatz «uneinheitlich, reduktiv und seltsam versöhnlich» genannt. Nach so vielen Eskalationen ist es wohl tatsächlich so, dass die Idee von Versöhnlichkeit auf manche Leute seltsam anmutet oder sogar als Affront ankommt. Aber gibt es denn eine andere Lösung?

Für den Foodtruck hats in Mexiko nicht gereicht – fürs Food-Velo jedoch schon.

«Mo» schwankt in der zweiten Staffel zwischen Abwendung und Annäherung. Da ist der Besuch Mos beim Botschafter, der ihm den Heimweg in die USA ebnen soll. Mo ist irritiert durch dessen anstössigen Vorschlag, doch zum unverbrüchlichen Krach kommt es aufgrund der Meinungsverschiedenheit, was das richtige Wort für die Situation im Gazastreifen ist: «Konflikt», wie der Botschafter beharrt? Oder «Besatzung», wie Mo es für angebracht hält?

Und da ist der diensthabende Offizier im Abschiebegefängnis, der den Gestrandeten mit allerhand abwertenden Bezeichnungen eindeckt und keine Anstalten macht, menschliche Regungen zu zeigen. Bis ganz am Ende, als schon die Freiheit winkt. Dann macht der Mann sehr deutlich klar, dass diese Arbeit, die er hier tagtäglich verrichtet, die grösste Annäherung an den amerikanischen Traum darstellt, die er jemals erreichen wird. Er bleibt an diesem Ort, den Mo verlassen darf. Mo ist, irgendwie, trotz allem, besser dran.

Am Ende der Staffel besucht Mo die Familie im Westjordanland. Die Behandlung, die sie dort von den Juden erfahren, wird krass, aber wohl nicht übertrieben dargestellt. Ein intensives Ende, bei dem ich mich frage, ob eine nüchternere Inszenierung nicht besser gewesen wäre. Trotzdem; Mo hält seine versöhnliche Haltung durch. Und dafür gebührt ihm höchsten Respekt.

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