Zehn Jahre Netflix: ein Grund zum Feiern?

Im Herbst 2014 ging Net­flix in der Schweiz an den Start, doch zu Reden und zu Schreiben ge­ge­ben hat der Strea­ming­dienst schon vor­her.

Es ist nicht ganz zehn Jahre her, aber fast: die Ära Netflix in der Schweiz. Ende September 2014 konnten wir in der Schweiz endlich ein Abo abschliessen und uns mit dem Gedanken vertraut machen, dass lineares Fernsehen nicht der Weisheit letzter Schluss ist.

Vorher mussten wir uns hierzulande von den US-Medien und Podcasts wie Twit vorschwärmen lassen, wie toll, innovativ und disruptiv dieses Unternehmen doch sei. Wir wussten schon, dass Netflix die Distribution revolutionierte, indem die Kunden ihre DVDs nicht in der Videothek abholen mussten, sondern zugeschickt bekamen.

Netflix hat früher als andere das Potenzial des Streamings erkannt: 2007 ging es damit los. In dieser Zeit hatte kaum einer das Internet als Empfangskanal für audiovisuelle Unterhaltung auf dem Schirm. Youtube gab es zwar schon, doch diese Plattform war damals der Inbegriff für belangloses Kurzfutter in Daumennagel-Qualität. Die ernsthafte Unterhaltung würde noch lange dem Kabelanschluss, dem Kino und den klassischen Anbietern vorbehalten bleiben.

Das war damals die Überzeugung vieler. 2007 war nämlich auch das Jahr, in der hierzulande das Zeitalter des HD-Fernsehens begann. Diese zukunftsträchtige Technik würde die Stellung des linearen Fernsehens erst einmal zementieren; das schien damals klar.

Weniger revolutionär als Youtube und Filme aus dem iTunes Store

Man konnte zwar damals bereits Filme im Internet kaufen. Apple hatte 2005 mit dem Verkauf von Kurzfilmen und Serien im iTunes Store begonnen. Doch dort waren die Titel einzeln zu erwerben und zu bezahlen. Darum glaube ich, dass der Erfolgsfaktor von Netflix nicht das Streaming an sich war, sondern die Flatrate und die Möglichkeit, sich frei aus dem ganzen Katalog zu bedienen. Das machte den Unterschied: Der iTunes Store war wie Kino, das die meisten von uns nicht täglich besuchen. Doch Netflix konnte man jederzeit einschalten, genau wie den Fernseher.

Es kam noch etwas dazu: Netflix hat uns nicht bloss an die Annehmlichkeiten eines rundum verfügbaren Film- und Serienkatalogs gewöhnt, sondern auch mit den Eigenproduktionen gelockt. Wer vor zehn Jahren House of Cards, Lilyhammer, Orange Is the New Black oder Arrested Development gesehen hatte, konnte mitreden. Darum war Netflix eben nicht bloss eine etwas exotische Methode, um sich Filme ins Haus zu holen, sondern ein Gesprächsthema.

Der Markteintritt von Netflix in der Schweiz war ein Ereignis, das seine Schatten vorausgeworfen hatte: Wir Medien fühlten uns berufen, den Schweizer Fernsehkonsumenten zu erklären, was auf sie zukommt. In einem Coup hatte die UPC noch vor Netflix ein eigenes Angebot aus dem Boden gestampft. Ich habe Myprime anfänglich gute Noten gegeben, doch auf Dauer konnte die UPC dem amerikanischen Branchenprimus nicht das Wasser reichen.

UPC hat eine einmalige Chance verschenkt

Kein Wunder: Myprime war von Anfang an bloss Mittel zum Zweck gewesen: Der Streamingdienst sollte die Nutzerinnen und Nutzer an den Kabelanschluss und an Abos binden und nicht eigenständig überzeugen. Wenn es UPC ernst gewesen wäre mit der Netflix-Rivalität, dann hätten sie Myprime nicht als Bündel-Angebot lanciert, sondern frei für alle Nutzerinnen und Nutzer in der Schweiz, auch für diejenigen der Konkurrenz.

Wie ich aus meiner Netflix Viewing History weiss, bin ich seit dem 28. September 2014 Abonnent – und zwar ohne Unterbruch. Netflix hat die Fernsehgewohnheiten in diesem Haushalt nachhaltig verändert.

Wer mag, kann über die «Viewing History» jede einzelne vor Netflix verbrachte Minute Revue passieren lassen.

Lineares Fernsehen hat im letzten Jahrzehnt an Bedeutung verloren: Den «Tatort» schauen wir manchmal noch auf klassische Weise. Sporadisch nehmen wir an einem Fernseh-Grossereignis wie dem ESC teil und wenn es dreizehn schlägt, zappen wir kurz in die Übertragung eines Sportereignisses vom Rang einer Fussball-WM – allerdings ist auch das weniger geworden, je mehr wir über die korrupten Verhältnisse in dieser Branche erfahren haben. Doch auch das Echtzeit-Fernsehen kommt bei uns via Internet, nämlich über die Teleboy-App.

Die Inhalte der traditionellen Anbieter – vor allem die öffentlich-rechtlichen Fernsehstationen – sind uns weiterhin wichtig. Aber auch die konsumieren wir mehrheitlich via Replay oder über die Apple-TV-Apps der Fernsehanstalten, also Play SRF, ARD, ZDF und Arte.

Das Zappen vermisse ich gar nicht

Ein potenzielles Opfer der Streaming-Revolution.

Darum sind zehn Jahre Netflix schon ein Grund zum Feiern: Ich vermisse es nicht, durch die Kanäle zu zappen und beim ersten Programm hängenzubleiben, das irgendwie interessant ausschaut.

Es ist aber auch so, dass nach zehn Jahren eine Netflix-Müdigkeit vorhanden ist. Der so innovative Streamingdienst hat es nicht geschafft, die Strassenfeger-Qualitäten seiner Originalserien auf Dauer aufrechtzuerhalten. Auch die Hochphase der «neuen» Fernsehserien, die mit den Sopranos eingeläutet und mit Produktionen wie Breaking Bad oder Mad Men weitergetrieben wurde, konnte wohl nicht ewig dauern. Was das Streaming angeht, herrscht heute ein Überangebot und ein riesiger Hunger nach Content, was der Qualität auch nicht immer zuträglich ist.

Es war unvermeidlich, dass die Euphorie von damals verfliegen würde. Netflix zu einem Teil des Alltags geworden – so dröge der auch manchmal ist.

Dennoch gibt es einige Serien, für die sich das Netflix-Abo – trotz der ständigen Preisaufschläge – meines Erachtens noch lohnt. Auf einige davon komme ich hier im Blog zu sprechen:

Beitragsbild: Ja, liebe Kinder, so war das früher (Francisco Andreotti, Unsplash-Lizenz).

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