Diese Woche bringt einen unerwarteten Moment der Hoffnung. Eine regelrechte Aufbruchstimmung: weg von Twitter, hin zu Bluesky. Und plötzlich steht eine Frage im Raum: Ist der Moment gekommen, dass wir alle nicht nur noch bei Twitter (X) ausharren, weil beim Konkurrenten einfach noch etwas zu wenig los ist?
Noch letzte Woche fühlte ich mich extrem genervt über die Menschenfeindlichkeit auf Elon Musks Plattform, die wegen Elon Musks neuer Rolle in Donald Trumps Regierung noch schwerer zu ertragen ist als vorher. Trotzdem empfand ich Bluesky nicht als vollwertigen Ersatz: Wie im Sommer konstatiert, gab es dort bislang nicht die inhaltliche Vielfalt und die Diversität, die an Twitter so grossartig gewesen war.
Hat der Horrorautor oder die Bundesrätin diese Dynamik ausgelöst?
Und dann, am Wochenende, ging es los: Ich konnte die Bluesky-App überhaupt nicht mehr öffnen, ohne dass mir neue Follower gemeldet wurden – ich komme noch immer kaum dazu, das zu würdigen und zurückzufolgen; Entschuldigung dafür!
Hat Stephen King diese Dynamik mit seinem Abgang ausgelöst? War es Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider, die mit ihrem Wechsel zu Instagram die die Initialzündung für viele unglückliche Twitter-User lieferte? Ich weiss es natürlich nicht, vermute aber, dass langjähriger Unmut über den Kurs Twitters unter Musk und die jüngsten politischen Implikationen bei manchen den Entscheid die Entscheidung so weit haben reifen lassen, dass ein kleiner Impuls wie ein wechselwilliger Promi Grund genug waren, Elon Musk selbst den Rücken zu kehren.
Die Twitter-Bubble läuft in Scharen über
Dass es Twitter-Veteranen sind, die jetzt zu Bluesky strömen, scheint mir eindeutig: Viele Namen der Bluesky-Nutzerinnen und -Nutzer, die sich neu mit mir vernetzen, kenne ich von Twitter her. Der Exodus ist real; auch wenn er sich im Umfang schwer abschätzen lässt. Um mir ein Bild zu verschaffen, habe ich nach einigen Leuten gesucht, die in meiner Twitter-Bubble aktiv sind und denen ich auf Bluesky bisher nicht begegnet bin. Diese Stichproben ergaben, dass fast alle von ihnen auch einen Bluesky-Account haben, auch wenn die Intensität variiert, mit der er bewirtschaftet wird.
Weniger klar ist mir, ob Bluesky auch neue Nutzerinnen und Nutzer anzieht – also solche, die vielleicht auf Facebook oder Instagram aktiv waren, aber mit dem Sachverhalt des Mikrobloggings bislang nichts anfangen konnten. Dafür sehe ich keine Anzeichen. Bluesky dürfte im Gefüge der sozialen Medien eine Nischenrolle besetzen – nicht ganz so nerdig wie Mastodon, aber auch nicht so breitenwirksam wie Threads, wo sich die Anbindung an Instagram für Meta offensichtlich auszahlt.
Wie geht es weiter?
Bleiben einige Fragen: Twitter-Konto löschen oder nicht? Tabula Rasa zu machen, ist natürlich das stärkere Signal – eine unmissverständliche Botschaft an Elon Musk, dass er den Bogen überspannt hat. Ich werde mein Konto vorerst behalten. Es gibt zwei Gründe dafür: Erstens will ich X als Journalist weiterhin aus erster Hand besprechen. Und zweitens werde ich meine Blogposts dort weiterhin promoten. Denn Bluesky holt auch auf, was die «Referrer» angeht. Aber als darbender Blogger muss man nehmen, was man kriegen kann!
Auch noch offen: Ist diese Entwicklung nachhaltig? Werden die Neuankömmlinge bleiben, sich engagieren oder reumütig zu Musk zurückkehren? Das hängt massgeblich davon ab, wie viele Leute die Brücken hinter sich sprengen, d.h. ihren Twitter-Account auch tatsächlich löschen. Mein Bauchgefühl sagt, dass viele an dieser Stelle die Kurznachrichtendienste eher ganz aufgeben, als rückfällig zu werden.
Und schliesslich: Wird Twitter jetzt untergehen? Ich glaube nicht. Es gibt auch Leute, denen das von Musk geschaffene Klima behagt. Aber ob Twitter – bzw. X – in einem Jahr noch relevant ist, darauf wette ich nicht.
Beitragsbild: Der Höhenflug dauert noch an (Sirirak Boonruangjak, Pexels-Lizenz).
Ich finde diesbezüglich mehrere Sachen interessant: Als Elon Musk 2022 Twitter gekauft hat, ist das Fediverse (hauptsächlich Mastodon) stark gewachsen. Es war bezüglich Benutzerzahlen aber nie eine ernsthafte Konkurrenz. Trotzdem würde ich es als nachhaltig bezeichnen, denn es ist immer noch viel los. Viele, die gewechselt haben, sind geblieben. Gewechselt haben viele Leute aus meiner Blase, aber der Mainstream (Bundesrat, Politiker, Unternehmen) hat sich nicht für das Fediverse interessiert.
Der aktuelle Trend für den Wechsel zu Bluesky ist wesentlich grösser. Persönlich finde ich das etwas schade. Mit dem Fediverse hätte man eine offene, dezentrale Alternative, aber die grosse Masse bevorzugt wieder einen einzelnen Anbieter. Ich weiss nicht, wie lange Bluesky der Enshittification widerstehen kann.
Was könnten die Gründe dafür sein? Bevorzugen die Leute einen „Global Stream“ mit algorithmischen Empfehlungen? Oder wurde das Fediverse falsch verstanden? Hat man gemeint, man müsse eine eigene Mastodon-Instanz betreiben? Oder war die Vielfalt an Instanzen, betrieben von Leuten in ihrer Freizeit und mit ungewisser Lebensdauer, abschreckend? Hätte man besser eine Instanz („mastodon.io“ oder so) vermarktet und das Betreiben eigener Instanzen nur nebenbei erwähnt?
Ich pflichte dir bei; danke für den Input!
Ergänzen würde ich, dass auch Bluesky ein offenes Protokoll entwickelt, das AT Protocol. Ein Brückenschlag zum Fediversum und zu Mastodon-Apps wie Ivory ist möglich: Bluesky backs a project that would let Mastodon apps, like Ivory, work with its network.
Vielleicht wäre es sinnvoll, diese Offenheit gleich vom Fleck weg unter Beweis zu stellen. Es kann aber auch sein, dass es für den Start einfacher ist, wenn die Nicht-Nerds Bluesky als Plattform wahrnehmen, weil das vertrauter wirkt.
Danke! Ich bleibe vorläufig auf Mastodon, mir reicht das, neben dem FB, auf das ich aus verschiedenen Gründen (u.a. MusikerInnen) noch nicht verzichten kann. Auf Mastodon findet sich meine „Bubble“ aus der Informationswissenschaft und bspw. die Schlagzeilen der awp. Und ein paar sympathische ZeitgenossInnen – für mich als Rentner mehr als genug 😉