Beitragsbild: Besser, als zu viel Zeit in den sozialen Medien zu verbringen (Taking a hammer and breaking a smartphone, Cindy Shebley/Flickr.com, CC BY 2.0).
Die sozialen Netzwerke haben ihre besten Tage hinter sich. Härter formuliert kann man auch sagen, dass sie ihre Existenzberechtigung verspielt haben. Das war meine These Ende des letzten Jahres.
Nun heisst das nicht, dass die sozialen Medien von einem Tag auf den anderen verschwinden. Es bedeutet auch nicht, dass ich selbst ihnen den Rücken gekehrt hätte. Ich rechne vielmehr damit, dass sich der Niedergang hinzieht – bis zum Punkt ihrer Irrelevanz.
Oder – und das wäre die andere Möglichkeit – die alte Freude an der virtuellen Vernetzung kehrt zurück. Ausschliessen will ich das nicht. Die Zuversicht ist in den letzten zwei Jahren zweimal aufgeflammt. Erst wegen Mastodon, dann wegen Bluesky. Nachhaltig war die Hochstimmung nicht. Aber wer weiss, vielleicht knackt ein Start-up, das wir bisher nicht auf dem Schirm haben, den Code?
Warum, so könnten wir uns fragen, war die Euphorie bei Mastodon und Bluesky nicht nachhaltig? Und wie entwickeln sich die anderen Plattformen? Eine kleine, persönlich gefärbte Bestandsaufnahme.
1) Linkedin
Ich finde Linkedin eine wichtigtuerische Plattform – pompous, wie die Angelsächsin sagt. Hier gilt ein aalglatter Umgangston als erstrebenswert. Jeder ist erfolgreich und geschäftig. Man erweckt den Eindruck, die Gefolgschaft grosszügig am eigenen Erfahrungsschatz teilhaben zu lassen. Man ist freigiebig mit guten Ratschlägen und will am Ende des Tages doch bloss einen Deal machen.
Die banalsten Plattitüden werden hier als Lebensweisheit verkauft, die den Tellerwäscher zum Millionär gemacht haben. Dann ständig diese gesponsorten Nachrichten in der Inbox und diese aufdringlichen Botschaften der Linkedin Sales Solutions, die mir eine dreissigtägige Probeversion von Linkedin Sales Navigator anbieten – was zum 😈 das auch sein mag.
Und trotzdem: Linkedin wäre derzeit die Plattform, die ich wählen würde, wenn ich mich für eine entscheiden müsste. Die Rate an Stuss ist hier relativ gering, obwohl die Leute viel zu viele Emojis benutzen. Und meistens herrscht auch bei Kontroversen ein einigermassen zivilisierter Ton.
2) Bluesky
Ich habe lange hin und her überlegt und schliesslich doch Bluesky vor Mastodon gesetzt. Das hat erstens technische Gründe: Ich finde den Look von Bluesky zwar zu technoid und zu wenig «heimelig», aber es gibt eine brauchbare Suchfunktion.
Mir gefallen auch die Möglichkeiten, neue Inhalte zu entdecken: Wenn die eigene Bubble nichts Interessantes von sich gibt, dann finden sich via Feeds Inhalte für den Zeitvertreib.
Trotzdem bleibt es dabei, dass Bluesky nicht die inhaltliche Vielfalt bereithält, die ich in der Anfangszeit der sozialen Medien so geschätzt habe. Daran bin ich auch selbst schuld: Ich habe zu wenig Sorgfalt in die Pflege, Erweiterung und Ausdünnung meiner Following-Liste investiert.
Mein Eindruck bleibt, dass die Nutzerschaft bei Bluesky nicht vielfältig ist, wie sie in der Blütezeit von Twitter war.
3) Mastodon
Mastodon wirkt träge auf mich. Die Oberfläche könnte eine Modernisierung vertragen und bei der Möglichkeit, Inhalte zu suchen und zu entdecken, hat Mastodon nach wie vor ein riesiges Defizit.
Inhaltlich ist mein Mastodon-Feed ein Chrüsimüsi. Es gibt wahnsinnig viel Nerdkram, der mir oft gut gefällt – der mitunter jedoch auch unglaublich anstrengt. Ich vermisse die leichteren Themen; die Memes und die Diskussionen über die alltäglichen und die grossen Themen und die Aktualität.
Einfach drauflosplaudern über den #Tatort, den #ESC oder die #EM kann man auch hier leider nicht. Die breite Masse ist nicht auf dieser Plattform angekommen. Es bleibt ein Dorado für Technikfreaks und für Personen, die sich von den kommerziellen Plattformen abgrenzen wollen. Das funktioniert nicht: Ein soziales Netzwerk – auch eines im Fediversum – muss den Anspruch haben, ein Marktplatz für alle zu sein.
Ein bisschen Selbstkritik ist trotzdem nötig: Auch bei Mastodon müsste Zeit und Energie investieren, den richtigen Leuten zu folgen und einer Handvoll Personen den Laufpass zu geben; damit meine Timeline nicht mehr ganz so sperrig wirkt.
Auf Mastodon zeigt sich auch, wie sehr mich Twitter, Facebook und Linkedin mit ihren Algorithmen versaut haben: So problematisch die auch sind, sorgen sie doch dafür, dass immer etwas Unterhaltsames in der Zeitleiste vorzufinden ist.
4) Twitter
Twitter ist eine wirklich üble Plattform geworden. Es gibt dort exzessivem Engagement Farming, Trolle, Mobber, Bots und einen Algorithmus, der die politischen Vorlieben von Musk widerspiegelt. Der Chef mag alles, was rechts und ganz weit rechts ist. Der Für dich-Feed konfrontiert mich mit der jungen SVP, mit Köppel und seinen Adlaten, Julian Reichelt und unzähligen Leuten, die nichts Lesenswertes zu schreiben, dafür aber ein Verifizierungshäkchen besitzen.
Aber ich bin noch bei Twitter. Weil ich als Journalist verfolgen will, wie es dort weitergeht. Und weil ich nicht loslassen kann. Ein paar Leute gibt es noch, deretwegen ich ausharren will. Es handelt sich um eine Handvoll Promis, aber vor allem Twitter-Freunde aus den Anfangstagen, die sich bisher nicht bei einer der anderen Plattformen angemeldet haben – oder die ich dort bislang nicht gefunden habe.
Und ja, ich trauere dem Community-Gefühl von früher nach, als gemeinsam live Ereignisse wie #Tatort, #ESC und #EM kommentiert worden sind.
Und so schlecht die Stimmung auch ist, neulich hatte ich ein schönes Erlebnis. Stephen King hat ein Video geteilt, in dem ein Fan seine Dankbarkeit ausdrückt, dass der Autor seinen Autounfall vor 25 Jahren überlebt hat. Ich habe das mit den Worten «zum Glück ist er auch nicht an diesem Song gestorben» kommentiert.
Ich habe es als Witz gemeint, war mir aber bewusst, dass man den Tweet auch abwertend, zynisch und bösartig lesen kann. Aber weil es doof ist, Witze zu erklären, habe ich ihn nicht einmal mit einem Emoji ausgestattet.
Aber siehe da: Alle Beteiligten haben ihn so verstanden, wie er gemeint war. Der Musiker schrieb zurück: «Google translated this for me and 😂 very fair, thanks!»
Ja, es kann tatsächlich sogar auf Twitter noch passieren, dass Leute nicht jede Äusserung auf die negativstmögliche Weise interpretieren, sondern bereit sind, einen Vertrauensvorschuss zu leisten. Ich habe mich darüber so gefreut, dass ich zurückgeschrieben habe: «I’ll hire you to write me a song for my 101 birthday; it will be worth the risk then! 🤗»
5) Threads
Metas Kurznachrichtendienst ist, ich muss es zugeben, eine hervorragende Quelle für Memes aller Art. Viele davon sind tatsächlich lustig.
Ansonsten ist Threads für nichts zu gebrauchen; eine ernsthafte Debatte habe ich dort noch nie geführt.
Ich bin jedoch gespannt, wie sich Threads entwickeln wird. Von der versprochenen Verbindung zum Fediversum gibt es (vor allem ausserhalb Europas) erste Anzeichen zu sehen, auch wenn das noch keine echten Auswirkungen hat.
6) Facebook
Immer die gleichen Leute, die immer die gleichen Witze machen: Facebook hat seinen Zenit überschritten. Warum nimmt Mark Zuckerberg mir nicht die Entscheidung ab und macht den Laden dicht?
Klar, eigentlich sollte ich selbst die Konsequenzen ziehen. Aber meine Blogposts möchte ich dort noch zur Diskussion stellen. Und es gibt ein paar Familienmitglieder, die ich sonst aus den Augen verlieren würde. Trotzdem ist es fraglich, dass Facebook die Mühe noch wert ist.
Übrigens: Tipps zum Löschen eines Nutzerkontos finden sich hier.
Ja, Mastodon lebt einfach davon, dass man sich mit den richtigen Leuten vernetzt.
Und wenn man da ein paar nette Leute gefunden hat fühlt es sich auf einmal sehr sozial an …