Das mag ein überraschendes Geständnis sein, aber beim Bloggen befallen mich oft Zweifel: Ist das ein Thema? Lohnt es sich, darüber zu schreiben? Oder ist es Verschwendung von Lebenszeit?
Diese Fragen stelle ich mir gerade, während ich zwei Tweets betrachte. Der eine hat inzwischen 22,9 Millionen Views. Der andere wurde zum Glück nur 72-mal angezeigt. Man könnte sagen: Der erste hat eine derartige Einschaltquote, dass es völlig aussichtslos ist, dagegen anzustinken. Der zweite ist so unbedeutend, dass sich eine Tirade nicht lohnt.
Das Hauptargument gegen diesen Blogpost besteht aber darin, dass jede Sekunde menschenfeindliche Tweets veröffentlicht werden, die man anprangern müsste. Als Blogger habe ich verloren, bevor ich anfange: Und was die Wirkmacht eines Blogs im Jahr 2024 angeht, lässt sie sich am einfachsten im Bild des einsamen Rufers in der Wüste ausdrücken.
Aber drauf 💩. Ich prangere in einer neuen Folge des Online-Shits der Woche diesen Widrigkeiten zum Trotz an, dass zwei Menschenfeinde Unsinn ins Internet geschrieben haben. Erst recht nach der zweiten Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten, die der Barbarei auf Twitter ein weiteres Mal Vorschub geleistet hat.
1) Der ehrenhafte Sklavenhalter
Der erste Misanthrop nennt sich The Hellenist. Das ist schon eine Schmähung in sich, weil ein Hellenist nach meinem Dafürhalten eine Person wäre, der die Kultur, Sprache und Philosophie des antiken Griechenlands schätzt. Sie macht sich Gedanken über alles, weiss, dass sie nichts weiss und ist sich bewusst, dass die Vernunft ihr einziger Verbündeter ist. (Und soll mir jetzt bloss keiner mit der Sklaverei im antiken Griechenland kommen, der nicht auf jeglichen Fortschritt verzichtet, der in den letzten 2000 Jahren erzielt wurde.)
Wenn so einer nun eine Hassbotschaft in die Welt entlässt, die aber in Worte der Zuneigung und Freundschaft kleidet, dann ist das nicht nur infam den alten Griechen gegenüber, sondern auch eine Schandtat an unserer modernen Gesellschaft. Und das hat dieser hässliche Mensch geschrieben:
Die Schwarzen sollten die Sklaverei unterstützen. Christen und Juden sind es, die uns auseinandergerissen haben. Früher haben wir euch beschützt, euch ernährt und euch ehrliche Arbeit gegeben; aber sie haben uns gezwungen, euch in der Kälte auszusetzen und euch nicht als Freunde, sondern als Feinde zu behandeln. Kommt nach Hause, Sklaven. Es gibt Arbeit für uns.
Die Wiedereinführung der Sklaverei als Akt der Menschlichkeit? Das einzige, was mir dazu noch einfällt, besteht im Vorschlag, dass dieser «Hellenist» ein paar Wochen Sklavenarbeit verrichten sollte. Wäre eine gelegentliche Auspeitschung angebracht? Darüber liesse sich diskutieren.
Anzumerken wäre noch, dass ich den Tweet natürlich gemeldet habe. Doch Twitter hat auch vier (!) Wochen später nicht eingegriffen: Der Hass ist immer noch im Netz und keine der diversen Community-Notes, die zu diesem Post natürlich erfolgten, wurden freigeschaltet.
2) Der «Biologe» im Dienst der Frauenfeindlichkeit
Wer mit der Biologie argumentiert, um bestimmten Menschen gewisse Rechte abzusprechen, der hat sich geistig von den Menschenrechten verabschiedet. Wer diesen Pfad begeht, der landet zügig bei Eugenik und Rassentheorien. Er ist ein Reaktionär, der die Wissenschaft missbraucht, um Diskriminierung zu rechtfertigen. Es versteht sich von selbst, dass die Benachteiligung anderer gleichzeitig eine Bevorzugung seiner selbst ist.
Und das ist die misogyne Botschaft dieses Anti-Humanisten:
Das Frauenwahlrecht ist frauenfeindlich. Frauen haben nicht die biologischen Voraussetzungen (XX), um für eine Gemeinschaft abstimmen zu können. Zum Glück gebären über 90 Prozent der Feministinnen nicht und sterben bald aus. Respektloses Verhalten gegenüber dem Herrn.
Bemerkenswert ist bei diesem Tweet, dass er mutmasslich unter einem Klarnamen abgesendet wurde.
Auch bei diesem Tweet hat eine Meldung nach vier Wochen nichts bewirkt. Dieser Hass steht ebenfalls noch immer im Netz.
Keine Möglichkeit, Widerspruch auszudrücken
Ich könnte deswegen in Schwermut verfallen. Aber lasst mich stattdessen zwei Dinge festhalten:
Was die Tweets verbindet, ist ihre religiöse Komponente. Der eine richtet sich offen gegen Juden- und Christentum. Der andere wirft sich für den Herrn im Himmel in die Bresche. Es ist in beiden Fällen offensichtlich ein vorgeschobenes Argument, das zu gar nichts führt, ausser vielleicht zur Erkenntnis, dass Jesus seine Solidarität mit Sklaven und Frauen zu wenig deutlich gemacht hat.
Die andere Bemerkung zielt auf die Leute, die bei solchen Entgleisungen die Meinungsfreiheit ins Feld führen. Um die geht es aber nicht – sondern darum, dass im ersten Fall Twitters Algorithmus diesem Tweet eine riesige Einschaltquote beschert. Twitter suggeriert ausserdem eine enorme Zustimmung: mehr als 10’000 Likes, 1130 Retweets, über 10’000 Zitate.
Natürlich wird es bei den Zitaten und Antworten auch negative Reaktionen gegeben haben. Es bleibt aber dabei, dass die Ablehnung und der Widerspruch sich in diesen Metriken nicht ausdrücken und viel weniger sichtbar sind. Twitter offeriert keinen Daumen-nach-unten-Knopf. Und schon gar kein Feature, jene fundamentale Ablehnung zu signalisieren, die hier angebracht wäre. Wie würde der aussehen? Ein Dreifach-Daumen nach unten? Eine Taste, mit der man Kack-Emojis an den Beitrag anheften kann?
Wie auch so ein Anti-Like aussähe: Es ist unbedingt notwendig, dass Nutzerinnen und Nutzer, die moralisch nicht völlig verwahrlost sind, ihr fundamentales Unwohlsein ausdrücken können. Wer solche Tweets sieht, muss wissen, dass es Menschen gibt, die sie aus dem tiefsten Grund ihrer Seele ablehnen. (Natürlich können wir unseren Twitter-Account aus Protest auch löschen. Doch das erhöht den Anteil der Misanthropie nur noch mehr.)
Es bleibt uns zu hoffen, dass diese beiden Tweets die Haltung einer absoluten Minderheit wiedergeben. Doch bei Twitter sieht es nicht danach aus, im Gegenteil. Da mir der Beitrag in der Für dich-Ansicht begegnet, muss ich davon ausgehen, dass dieser Hass in Elon Musks Welt normal und anscheinend sogar willkommen ist.
Beitragsbild: Und das ist viel zurückhaltender und höflicher ausgedrückt, als es verdient wäre (Monstera Production, Pexels-Lizenz).