Bill, was für ein Bullshit!

Ist Bill Gates ein Visionär? Nein, son­dern ein hem­mungs­lo­ser Ge­schichts­klit­terer und ein selbst­ver­lieb­ter Macht­mensch, der sich 2001 nicht vor­stel­len konnte, dass Mic­ro­softs Ein­fluss­be­reich ir­gend­wann schrum­pfen würde.

Beitragsbild: Hey, Bill, dreh die Lautstärke zurück (Bill Gates delivering key note am IT Forum 2004 in Kopenhagen, von Kees de Vos/Wikimedia, CC BY-SA 2.0).

Neulich habe ich Bill Gates in die Mangel genommen. Er hat nämlich vor 22 Jahren in Zürich eine Prognose vom Stapel gelassen, die sich aus heutiger Sicht als Schuss in den Ofen entpuppt.

Wie es der Zufall will, ergibt sich heute eine weitere – und sogar noch bessere – Gelegenheit, die Weitsicht des Herrn Gates auf den Prüfstand zu stellen. Der «Tagesanzeiger» hat am 20. August 2001 einen längeren Text von Gates zum zwanzigsten Geburtstag des PCs veröffentlicht. In dem gibt es auch erstaunliche – und aus der Rückwärtsperspektive auch sehr lustige – Aussagen darüber, wie es mit dem Personal Computer weitergehen würde.

Doch an diesem Text ist auch alles andere bemerkenswert: Erstes spricht Gates nur vom «ersten PC» und schafft das Kunststück, IBM kein einziges Mal zu erwähnen – obwohl es natürlich um das Modell 5150 ging, das im Sommer 1981 auf den Markt kam. Nebenbei unterschlägt er die abweichende Meinung, wonach der 1976 Apple I von 1976 der erste Personal-Computer war. Das wäre indes noch zu verzeihen.

Scheinheilig und selbstgefällig

Bill Gates im TA vom 20.08.2001.

Zweitens, und deutlich problematischer, ist der euphorische und völlig unkritische Ton, den Gates anschlägt: Unglaubliche Fortschritte hätten seitdem stattgefunden. Die heutigen PCs seien preiswert, leistungsstark, zuverlässig und so anwenderfreundlich, dass sie von praktisch jedermann bedient werden können. Und: «PCs haben unsere Art zu leben, zu arbeiten, zu lernen und zu spielen revolutioniert.» Sie hätten auch die Kommunikation verändert und uns «kreativer gemacht».

An dieser Stelle konstatieren wir, wie scheinheilig diese Eloge ist: Gates tut so, als ob er die Hardware würdigen würde, zu der er persönlich nichts beigetragen hat. Aber eigentlich lobpreist er die Software und damit Microsoft, beziehungsweise sich selbst.

Und das nicht zu knapp. Eigentlich ist der Text eine Bewerbung um den Friedensnobelpreis: «Sie [die PCs] haben die Grenzen zwischen Nationen, Menschen und Wirtschaftsblöcken aufgehoben.»

Die riesigen blinden Flecken in Gates Sichtfeld

Nachdem die deponiert ist, gelangt Gates zu seinen Zukunftsaussichten: Der PC sei ständig mit dem Internet verbunden, sodass wir rund um die Uhr Nachrichten lesen und Musik hören können. Gates rühmt die Möglichkeiten im Bereich von Audio, Fotografie und Video, und er behauptet nebenbei:

Die heutige Software ist leistungsstärker und anwenderfreundlicher als jemals zuvor. Sie ist sogar in der Lage, sich selbst zu warten, indem sie Störungen erkennt und behebt, ohne dass der Benutzer überhaupt etwas davon mitbekommt.

Wohlgemerkt: Das war zur Hochzeit des Windows-Monopols, währenddessen wir es wegen der Arroganz und Kurzsichtigkeit von Microsoft mit massiven Sicherheits- und Datenschutzproblemen, mit brutalen Spam-Wellen und auch mit häufigen Abstürzen zu tun hatten. Wer sich nicht mehr erinnern kann: siehe hier.

Der PC als Kernstück

Gates hatte die Mobilgeräte zwar auf dem Schirm, aber mit einer klaren Vorstellung, wer den Ton angeben würde:

Der PC entwickelt sich zum Kernstück eines stetig grösser werdenden Netzes aus intelligenten, miteinander vernetzten Endgeräten. Diese reichen von Mobiltelefonen über Fernsehgeräte und Handhelds bis hin zu Haushaltsgeräten. Einen Brief wird man aber auch künftig am einfachsten am PC verfassen.

Die eigentliche Fehlprognose kommt im letzten Abschnitt:

Im Lauf des kommenden Jahrzehnts wird der PC noch leistungsstärker und preiswerter. Er wird sich in Beruf und Freizeit zum wahrscheinlich wichtigsten Werkzeug des Menschen entwickeln. Über ihn bleiben Menschen in Verbindung. Und ich bin fest davon überzeugt, dass es uns nicht an Fantasie für neue Anwendungen fehlen wird. Bereits die vergangenen zwanzig Jahre waren beeindruckend. Aber all dies ist nichts im Vergleich zu dem, was wir in den kommenden zwanzig Jahren noch erleben werden.

Wir können festhalten, dass Gates die Rolle des PCs massiv überschätzt hat. Hätte er das Smartphone auf dem Schirm haben müssen? Das vielleicht nicht, sonst würden wir wohl auch heute mit Microsoft-Handys durch die Gegend laufen. Doch dass dem PC durch smarte Mobilgeräte eine echte Konkurrenz erwachsen könnte, das hätte man in seiner Position schon einkalkulieren müssen.

Gates hat auch die Cloud nicht vorhergesehen und die sozialen Medien schon gar nicht. Das allein würde ich ihm nicht übel nehmen. Aber was ich an diesem Text als stossend empfinde, ist erstens die völlige Ausklammerung der Probleme, die mit einer technischen Disruption einhergehen.

Microsoft-Dominanz auf Jahrzehnte hinaus

Zweitens, und noch schlimmer, ist die arrogante Selbstsicherheit, mit der Gates davon ausgeht, dass Microsofts Vorherrschaft auch die nächsten zwanzig Jahre fortgeschrieben werden würde: Das «uns» im drittletzten Satz klingt so schön Kumbaya-mässig nach der gesamten Menschheit. Aber gemeint ist natürlich sein Unternehmen – und das Quasi-Monopol, das Microsoft damals innehatte.

Die Zementierung dieses Monopols ist die Kernbotschaft von William Henry «Bill» Gates dem Dritten: Wir – ich bestimme diese Entwicklung. Ich werde das weiterhin tun – und niemand sonst kann uns bzw. mir etwas anhaben.

Dieses Elaborat hätte man sich sparen können

Bleibt die Frage, ob man diesen Text überhaupt hätte abdrucken sollten. Ein klares Nein, denn dem denkwürdigen PC-Jubiläum wurde er nicht gerecht. Mit Verlaub, mein Text zum vierzigsten Geburtstag war um Welten besser.

Warum ist er doch erschienen? Ich war damals schon Teil der Redaktion des «Computer»-Bunds und habe sogar das Aufmacherbild gestaltet: Das ist ein Mosaik des IBM-PCs, bestehend aus vielen Einzelbildern mit PCs. An eine Diskussion zum Sinn dieses Beitrags mag ich mich nicht erinnern. Es war wohl eine Entscheidung meines damaligen Chefs, der in einer Box das Gates’sche Elaborat so ankündigte: «Einer, der es wissen muss, hat die letzten zwanzig Computerjahre Revue passieren lassen. Der TA veröffentlicht die Kolumne von Bill Gates exklusiv in der Schweiz.» Die Überlegung war, so behaupte ich: Wir haben Gates. Da ist egal, was er schreibt.

2 Kommentare zu «Bill, was für ein Bullshit!»

  1. Lieber Matthias,

    ein bisserl überheblich, Deine Meldungen, meinst Du nicht?

    Du bezeichnest Gates als Visionär, und dann ist doch klar, was er tut. Im beruflichen Kontext beschreibt der Begriff „Visionär“ eine Person, die innovative Ideen, Strategien oder Vorstellungen von der Zukunft hat und diesen Zukunftsentwürfen konsequent folgt.
    Und ja, PC’s waren – aus heutiger Sicht – ein vermutlich erster Schritt, Kommunikation anders zu machen – wir sehen ja unter anderem Deinen Blog hier, und ohne PC’s wäre der wohl so nicht entstanden.

    Wie würdest Du denn so heutzutage so verbreitete Begriffe wie „proaktives Monitoring“ oder „automatisches Update“ beschreiben, wenn es kaum jemanden gibt, der versteht, was Du meinst? Du meinst, dass es „Software“ geben wird (gibt), die „automatisch“ (natürlich nicht ganz..) nach Verbesserungen des eigenen Quellcodes sucht (Windows-Update; sudo apt-get update …)…?

    Fakt ist: Software wird besser

    So naiv kannst Du nicht sein, wenn Du Gates‘ Aussage von „… der PC wird zum Kernstück…“ einzig un alleine dem IBM-Klon 386, 486, Pentium & Co im Heimbereich zuschreibst, oder? Ich wage Herrn Gates zu unterstellen, dass ihm sehr wohl klar war, dass es ein Backbone in der Art von „Servern“ geben muss und dass die Entwicklung – wie er ja selbst sagte – über den PC als einziges Gerät hinausgehen werde.
    Übrigens, damals schrieb man Briefe per Hand oder Schreibmaschine; das äquivalent zu einem Brief ist eine „ordentliche“ Email – und die meisten ordentlichen Emails werden nach wie vor am PC geschrieben.
    Postings und Zwitschereien sind keine E-Mails.
    Ach ja, von wo aus postest Du Deinen Blog? Vom Handy?

    Wo erkennst Du eine Fehlprognose? Bis Du der Meinung, dass Smartphones „einfach so“, ohne einer starken Präsenz des PC’s (inkl. Unix, Apple, & Co), entstanden wären?

    Fantasie ging „uns“ – im Sinne von „Vielen der Menschheit“ – eben nicht aus und daraus entstanden auch Technologien und/oder Marketing-Schmähs wie „die Cloud“, das Smartphone oder die unsozialen Medien…
    (Fantasielose gab und gibt es immer…)

    Ich spare mir (fast) auf Deine sehr abschätzigen Bemerkungen gegen Ende Deines Blogs einzugehen, doch scheint es eine Art Hass-Liebe zu Bill Gates zu sein, die Dich zu starken negativen Formulierungen und klar negativ konnotierten Seitenhieben hinreissen lässt…

    What’s Up Matthias?
    Selten schreib ich Dir zurück, auch wenn ich Deine Artikel oft lese, und die meisten davon gut sind – ich teile manchmal Deine Meinung, nicht immer – doch das ist nicht entscheidend.
    Entscheidend ist – meiner Ansicht nach – der wertschätzende und offene Umgang.
    In diesem Blogartikel merke ich davon wenig.

    1. Botschaft angekommen. Ich habe als Journalist und auch als Blogger eine wohlwollende Grundhaltung. Wir alle sind Menschen, die Fehler machen. Bei den Grossen und Mächtigen muss das Wohlwollen allerdings der kritischen Grundhaltung weichen. Wir sollten nicht vergessen, dass Bill Gates in jenen Jahren Microsoft gegen den Vorwurf des wettbewerbswidrgen Verhaltens verteidigen musste. Er hat sich eine kritische, harte Begutachtung redlich verdient.

Kommentar verfassen