Der Sennheiser HD 620S (263 Euro bei Amazon, teure 319 Franken bei Thormann) macht es mir als Rezensent einerseits einfach. Es handelt sich um einen Kopfhörer, wie wir ihn «von früher» her kennen: Er hat ein Kabel, das in eine Klinkenbuchse eingesteckt werden will. Ansonsten hat er nichts: keinen Akku, kein Bluetooth, keine Touchbedienung und kein Mikrofon. Ich kann mich bei der Besprechung somit ganz auf Klang und Tragkomfort konzentrieren.
Andererseits bringt diese Reduktion aufs Audiophile auch gewisse Hürden mit sich: Der 6,3-mm-Klinkenstecker würde nicht ins Handy passen, selbst wenn das noch einen Kopfhöreranschluss hätte. Wenn man kapiert, dass der 6,3-mm-Adapter aufgeschraubt ist und beim abgenommenem Adapter eine 3,5-Millimeter-Klinke zum Vorschein kommt, dann würde man ihn ins Handy kriegen, wenn das noch eine Buchse hätte. Ich habe auch einen Adapter (USB-C auf Klinke), aber dem traue ich nicht über den Weg.
Um den Klang begutachten zu können, sollte eine High-End-Audioquelle verwendet werden. Die gibt es in meinem Haushalt leider nicht, weswegen das Macbook Pro herhalten muss. Ich schliesse den Kopfhörer probehalber nicht nur direkt an, sondern auch über das Focusrite Scarlett Solo, aber ohne einen markanten Unterschied herauszuhören.
LAUT!
Als Erstes fällt auf, wie laut dieser Kopfhörer im Vergleich zu den leisen (manchmal zu leisen) Ohrstöpseln wie den Airpods von Apple ist. Am Macbook liegt meine Schmerzgrenze bei drei Vierteln der Anzeige. Bei einem Probelauf mit dem HP Spectre muss ich auf sechs Prozent zurückdrehen. Sollte der Sound linear und ohne Begrenzung ansteigen, könnte man sich locker einen Hörschaden holen. Oder ich über die Jahre zu einem Mimöschen geworden.
Wie auch immer: Der Sound ist differenziert, nuanciert und detailliert. Ich fühlte mich allerdings bemüssigt, etwas am Equalizer herumzudrehen. Ich habe die Höhen etwas zurückgedreht und dafür die Tiefen aufgedreht – und das, obwohl ich normalerweise kein Bass-Fetischist bin. Wenn ich mich an meinen Test der Momentum True Wireless 4 zurückerinnere, dann fand ich den Klang bei denen deutlich beeindruckender.
Auf Augen- bzw. Ohrenhöhe mit Sennheisers Top-Ohrstöspeln
Das will etwas heissen. Zwar handelt es sich um Sennheisers Top-Modell bei den In-Ears. Aber es sind eben Ohrstöpsel, die eine viel kompaktere Form aufweisen und daher konstruktionsbedingt im Nachteil sind. Ich erkläre mir das so, dass die ausgeklügelte Kombination der Aufsätze (je ein Gummiring und eine Kappe) den Sound so gut in den Gehörgang hineinbekommt, dass sie den Over-Ear-Kopfhörer übertrumpfen können. Leider konnte ich dieses Verdikt nicht im direkten Vergleich erhärten, da ich mein Testmodell der True Wireless 4 längst zurückgeschickt habe.
Also, klanglich ist der HD 620S ein solider Mittelklasse-Kopfhörer. Dass er «Massstäbe setzt», wie es in der Pressemeldung heisst, unterschreibe ich nicht. Er zeigt vielmehr, dass es noch Luft nach oben gibt. Wenn ich derzeit ein Bügel-Modell von Sennheiser würde kaufen wollen, dann würde ich noch etwas tiefer in die Spardose greifen und mir den vor einem Jahr getesteten HD 660S2 anschaffen. Der ist mit Glück unter vierhundert Franken zu haben (372.60 Franken bei Digitec, leider fast 500 Euro bei Amazon). Wenn man den zum Schnäppchenpreis bekommt, ist er den Aufpreis allemal wert. Während der HD 620S äusserlich etwas bieder wirkt, finde ich den HD 660S2 optisch ansprechend.
Abgekapselt
Bleibt der Tragkomfort. Der HD 620S sitzt gut auf dem Kopf. Für meinen Geschmack ist er eher schwer (330 Gramm), aber er ist gut gepolstert. Die Kissen dichten ausgezeichnet ab, was für eine gute passive Isolierung der Umgebungsgeräusche sorgt. Ob man es mag, wenn die Ohren dicht abgeschlossen sind, ist natürlich eine Frage der persönlichen Vorliebe.
Fazit: Es fällt auf, wie enorm die Preisunterschiede bei den Sennheiser-Kopfhörern sind. Darum kann die Empfehlung nicht lauten, ein bestimmtes Modell zu kaufen oder nicht. Ausschlaggebend ist, zu welchem Preis wir es bekommen. 350 Franken finde ich für den Sennheiser HD 620S zu teuer. Wenn er für deutlich unter dreihundert Franken zu haben wäre, dann fände ich das angemessen.