Was wäre, wenn sich unser Gehirn in einen Computer hochladen liesse und unser Geist in der Maschine weiterleben würde? Mit dieser Frage sieht sich die Hauptfigur des neuen Romans von Andreas Eschbach konfrontiert. James Windover ist von Berufes wegen Chef und Herausgeber einer exklusiven elektronischen Zeitung, die sich an eine Handvoll Milliardäre richtet, im Abo eine Million pro Jahr kostet und die Informationen liefert, die die reichsten der Reichen benötigen, um noch reicher zu werden.
In Die Abschaffung des Todes bekommt Windover von seiner Mäzenin Anahit Kevorkian den Auftrag, diese Frage zu klären. Ein Start-up namens Youvatar verspricht genau das: die Überwindung der Endlichkeit unserer menschlichen Existenz durch den technischen Fortschritt. Allerdings ist die Technologie nicht spruchreif. Youvatar hat, so behaupten die drei Gründer, die Grundlagen für den Upload entwickelt. Doch jetzt brauchen Peter Young, Victoria Watson und Arnesen Milliarden für die Realisierung. Die Investoren kämen in den Genuss eines Uploads – doch auf lange Sicht käme die ganze Menschheit zum Zug. Denn, so behaupten es die Gründer, eine Zweiklassen-Gesellschaft zwischen unvergänglichen und sterblichen Menschen wäre nicht in ihrem Sinn.
Ab ins Rechenzentrum
Anahit Kevorkian könnte es sich ein solches Investment leisten. Und da sie querschnittgelähmt im Rollstuhl sitzt, hat die Vorstellung, den Geist vom Körper zu befreien, eine besondere Faszination. Windower fällt die undankbare Aufgabe zu, herauszufinden, was dran ist an der Sache – die Youvatar in einer aufwändigen, eindrucksvollen und streng geheimen Show im Silicon Valley der globalen Geldelite schmackhaft machen will.
Wie wir es von Andreas Eschbach gewohnt sind, ist diese Erfindung nicht bloss Staffage für eine 0815-Thriller-Handlung (oder ein MacGuffin, wie es beim Film heissen würde). Er macht sich Gedanken darüber, welche Implikationen das hätte. Könnte man sich beliebig vervielfältigen – und wenn ja, wer müsste für eine Straftat den Kopf hinhalten? Mit welchem Alter würde man ewig leben wollen? Würde es nicht langweilig werden, wenn man sich in seiner ewigen Existenz zum hunderten Mal verliebt. Und wenn eine solche Beziehung unglücklich ausfällt: Wäre es dann möglich, einen früheren Bewusstseinszustand wiederherzustellen, in dem diese traumatisierende Erfahrung noch nicht erlebt hat?
Fazit: Ein Thriller reinen Wassers ist es nicht
Ich habe «Die Abschaffung des Todes» mit Vergnügen und Spannung gelesen. Es bleibt dabei: Eschbach schreibt im deutschsprachigen Raum die Bücher, die akribische wissenschaftliche Erkenntnisse – hier natürlich zum Gehirn und seiner Funktionsweise – am elegantesten mit Science-Fiction-Elementen verwebt und zu einer interessanten, unvorhersehbaren und vielseitigen Erzählung verstrickt, in der es an nichts fehlt: weder an menschlicher Tiefe, noch an spannenden Figuren, noch an interessanten Schauplätzen und überraschenden Wendungen.
Was mir besonders gut gefällt, ist die Doppelbödigkeit: Windover behauptet in dieser Ich-Erzählung am Anfang, er schreibe einen Tatsachenbericht, den wir aus juristischen Gründen aber am besten als Roman lesen würden. Gleichzeitig bekommt er es im Lauf der Geschichte mit dem Philosophieprofessor Raymond Ferdurci zu tun, der sein Geld mit Bahnhofkioskromanen verdient und von Peter Young eine beträchtliche Summe bekommen hat, damit er eine Kurzgeschichte für Nimmerwiedersehen verschwinden lässt. Ferdurci lässt sich darüber aus, dass welche Rolle er in der Handlung spielt und wie sich der Plot entwickeln müsste, dass er dem Genre des Thrillers gerecht wird.
Nur noch so wenige Seiten für den Showdown?
Angesichts dieser Meta-Ebene kann es uns wundern – oder auch nicht –, dass die Geschichte keinen typischen Verlauf nimmt. Ein Antagonist ist zwar bald erkennbar. Aber während wir am Ende des Buches auf den unvermeidlich scheinenden Showdown warten, werden wir immer weiter auf die Folter gespannt. Für Windower werden plötzlich andere Dinge relevant: Durch Ereignisse in seiner Familie ist er gezwungen, sich auf eine ganz neue Weise mit dem Tod auseinanderzusetzen – und ebenso mit dem beginnenden Leben. Und wenn nur noch ein paar Seiten übrig sind, mag man sich als Leserin oder als Leser fragen, wie der Autor in denen die endgültige Klärung noch unterbringen will.
So viel sei hier verraten: Es gibt sie noch, die überraschende Wendung. Aber sie fällt anders aus als erwartet. Und es ist nicht so, dass die Fronten endgültig geklärt wären. Ein Ende, das nicht untypisch für Andreas Eschbach ist – und das für manche Leserinnen und Leser ein gewisses Frustpotenzial bergen kann. Bei «Freiheitsgeld» von 2022 erging es mir so: Mir gefiel es nicht, dass mich der Autor erst eine Utopie in eine Dystopie verwandelt und der zurücklässt – ohne Silberstreif am Horizont und ohne Aussicht auf einen zweiten Teil, in dem dann das Gute siegt.
In «Die Abschaffung des Todes» bin ich mit dem Ende einverstanden. Trotzdem wünsche ich mir wieder einmal ein Eschbach-Buch wie Herr aller Dinge, das am Ende die maximal krasseste Wendung nimmt – und zwar auf galaktischer Ebene. Warum also nicht ein zweiter Teil, in dem Youvatar den Durchbruch erzielt und – um es den grösseren Massstab zu erzielen – die Upload-Technologie irgendwie Open-Source wird? Ich würde es auf alle Fälle lesen!
Beitragsbild: Hier ist Opa jetzt zuhause (Taylor Vick, Unsplash-Lizenz).