Ein Kuckucksei von Andreas Eschbach

«Frei­heits­geld» beginnt als traum­hafte Utopie: Im Jahr 2063 leben wir alle ohne finan­ziel­le Sor­gen in einer wohl­geord­neten Zukunft. Am Ende ent­puppt sich die Ges­chich­te als de­sillu­sionier­te Absage an die Gegen­wart.

George Orwell lässt grüssen.

Andreas Eschbach hat sich dem bedingungslosen Grundeinkommen angenommen und daraus eine Geschichte gestrickt, die sich wie eine Utopie anlässt: In seinem neuen Buch Freiheitsgeld taucht die Leserin und der Leser in eine Geschichte ein, die im August 2063 beginnt.

Manche der Lebensumstände, wie sie Eschbach en passant schildert, wirken ungewohnt. Da ist die Tatsache, dass Gated Communities inzwischen auch hierzulande eine normale Einrichtung sind – denn diese abgeschotteten Wohneinheiten wollen nicht zum europäischen Selbstverständnis des für alle zugänglichen öffentlichen Raums passen.

Doch auch wenn dieses Detail irritiert, so konnte ich mir ausgezeichnet vorstellen, in dieser Eschbachschen Zukunft zu leben. Denn wie man wiederum nebenbei erfährt, ist die Klimaerwärmung ein weitgehend gelöstes Problem. Nicht nur das: Drogen wurden legalisiert. Und vor allem:  Hey, es gibt das Freiheitsgeld. So nennt sich das bedingungslose Grundeinkommen, das jedem in Europa zusteht. (Wie sich die Sache für uns Schweizer verhält, verrät Eschbach nicht. Vielleicht sind wir eine Insel ohne Freiheitsgeld, vielleicht sind wir jetzt auch in der EU. Oder wir haben das bedingungslose Grundeinkommen im autonomen Nachvollzug auch eingeführt – das bleibt offen.)

Eine Utopie mit Rissen

Ich verrate nicht zu viel, wenn ich sage, dass sich in der Utopie Risse auftun. Es ist die Stärke der Erzählung, dass das nach und nach und subtil geschieht. Da ist Valentin, der mit seiner Frau Lina in die Oase, eine Gated Community einzieht. Valentin hat sich einen lukrativen Job als persönlicher Trainer für die Bewohner der A-Zone in der Oase gesichert. Als Mitarbeiter von des Unternehmens «Stay-Young» betreut er reiche Bewohner wie den Schlagerstar Hauke Bruhns und den ehemaligen Bundeskanzler Robert Havelock. Letzterer war für die Einführung des Freiheitsgelds verantwortlich. Er ist eine Legende, aber zutiefst sympathisch. Es könnte alles in Ordnung sein – wenn zu Valentins Job nicht zwei Aufgaben gehören würden, die reichlich seltsam und gar anrüchig sind.

Vier Fünftel des Buches habe ich mit Inbrunst gelesen. Wie jeder Leser ahnt, der Eschbach kennt, gibt es natürlich eine kritische Auseinandersetzung mit dem bedingungslosen Grundeinkommen. Ich bin ein Sympathisant der Idee und fand diese Passagen aufschlussreich. Doch mit dem letzten Fünftel – dem Finale – hadere ich. Denn Eschbach platziert am Ende eine Botschaft mit Sprengkraft. Die hat ihre Berechtigung – aber sie macht aus dem Buch ein thematisches und genremässiges Kuckucksei.

Das werde ich gleich ausführen, doch weil es nicht ohne Spoiler geht, hier erst einmal meine Empfehlung – damit ich niemandem den Lesespass verderbe: Und ja, ich empfehle das Buch. Im Vergleich zu Eschbachs anderen Werken mit monetärem Bezug fällt es ab. Ich würde «Eine Billion Dollar» (Mit einer Billion Dolllar die Menschheit retten) und (im weiteren Sinn) «Teufelsgold» (Doppelt unsterblich) den Vorzug geben. Und natürlich «NSA – Nationales Sicherheits-Amt» (Steampunk minus Punk, plus Bakelit und Nazis), weil Eschbach hier aufzeigt, welches Missbrauchspotenzial besteht, wenn ein Unrechtsstaat die Geldflüsse kontrolliert.

Und wer dem Buch eine Chance gibt, der möge nach der Lektüre bitte hierher zurückkommen mit mir über meine – nachfolgend hier zu lesende – Einschätzung diskutieren.

Amiramin695, CC BY-SA 4.0

Also, ab hier mit Spoilern: Wie angedeutet, legt Andreas Eschbach uns ein Kuckucksei ins Lektüre-Nest. Man könnte auch sagen, dass «Freiheitsgeld» eine Mogelpackung beim Thema und vor allem beim Gerne ist.

Der Autor täuscht uns nämlich. Wir erwarten eine Auseinandersetzung mit dem bedingungslosen Grundeinkommen: Kann das überhaupt funktionieren? Ist es eine Fantasterei von Leuten, die nicht arbeiten wollen? Oder ist es im Gegenteil absolut notwendig, wenn die Automatisierung weiter voranschreitet und die Roboter in immer weitere Lebensbereiche vordringen?

Alle wurden getäuscht – auch wir Leserinnen

Darüber soll gestritten werden. Und diese Diskussion liefert uns Eschbach auch. Doch kurz vor Ende schwant uns, dass wir einem Ablenkungsmanöver aufgesessen sind – und nicht nur wir, sondern auch Valentin, Havelock und alle anderen. Das bedingungslose Grundeinkommen ist ein Zückerchen, mit der die Menschheit ruhiggestellt wird.

Im Jahr 2063 herrscht «Brot und Spiele». Das Brot ist das Freiheitsgeld, die Spiele das uferlose televisionäre Unterhaltungsprogramm – das kurioserweise nach wie vor weniger via Streaming als vielmehr über lineare Fernsehkanäle ausgestrahlt wird. Man kann seine Tage auch im Dämmerzustand verbringen, denn die Drogen wurden legalisiert.

Und wir finden heraus, dass Demokratie bloss eine Simulation ist. Eine Klasse der Superreichen hat es geschafft, den Neo-Feudalismus einzuführen. Diese Oligarchen leben in unermesslichen Luxus in ihren gigantischen Villen, die sie sich abseits der Städte inmitten der riesigen Naturschutzzonen geschaffen haben. Die sind zur Bekämpfung des Klimawandels entstanden, viele Dörfer und Städte mussten ihnen weichen. Zwischen den Siedlungen gibt es nun riesige Wäldern, in denen die Natur sich selbst überlassen ist. Die normale Bevölkerung darf diese Reservate weder betreten noch überfliegen. In diesem Niemandsland begegnet wir Ivana Quay, der vermögendsten Frau Europas.

Wer reich ist, ist unsterblich

Ivana Quay sieht aus wie dreissig, obwohl sie siebzig ist. Wie die anderen Superreichen ist sie nicht länger einem Alterungsprozess unterworfen. Wir denken an dieser Stelle sofort an Valentin: Er muss sich aufgrund seines Arbeitsvertrags mit «Stay-Young» regelmässig einer Blutwäsche unterziehen – zusammen mit Sperma-Spenden, die ihm seine Chefin Damira Almassy höchstpersönlich abzapft. Dabei wird das Prä-Hormon FY-01 gewonnen, das jung halten soll. Doch Superreiche wie Ivana Quay haben auf diesem Gebiet der Seneszenz-Prophylaxe noch viel weitreichendere Möglichkeiten.

Und noch etwas tun die Superreichen: Sie sorgen dafür, dass sich ganz langsam die globale Bevölkerungszahl reduziert. Das erfahren wir Leserinnen und Leser beim Showdown, als wir Ivana Quay in ihrer Villa begegnen – zusammen mit einer der Hauptfiguren. Das ist der junge Polizist Ahmad Müller, der ein verstecktes Mikrofon trägt und wild entschlossen ist, die Machenschaften aufzuklären. Ihm, Müller, erklärt Ivana Quay Folgendes:

«Oh, Sie unterschätzen uns. Der langfristige Plan ist der, allen Menschen ein Leben in demselben Luxus zu ermöglichen, den wir geniessen, in endloser Jugend und bei bester Gesundheit. Doch das geht nicht mit zehn Milliarden Menschen. Das geben die Ressourcen des Planeten Erde nicht her.»

Ahmad stockte der Atem. «Und das heisst …?»

«Dass wir die Menschheit reduzieren werden. Was haben Sie gedacht? Keine Sorge, das wird unblutig geschehen. Keine Seuchen, keine Kriege, versprochen – schon aus reinem Eigeninteresse.»

Die Superreichen tun das mithilfe personalisierter Medikamente. Die helfen mit Wirkstoffen, die exakt auf den individuellen Organismus abgestimmt sind. Nebenbei sorgen die Medikamente dafür, dass sich nur noch ein kleiner Bruchteil der Menschen fortpflanzen kann – nämlich diejenigen, die als wertvoll für die Gesellschaft erachtet werden, indem sie trotz des Freiheitsgeldes eine Leistung erbringen. Die anderen werden unfruchtbar. Das Freiheitsgeld ist nebenbei nämlich auch ein Selektionskriterium bezüglich Reproduktion.

Und damit ist die Sache klar: Diese Zutaten – Bevölkerungsreduktion und ewige Jugend für die Eliten – kennen wir aus den Kreisen der Verschwörungstheoretikern. Bill Gates wird unterstellt, die Zahl der Menschen reduzieren zu wollen. Die Psycho-Verschwörungssekte QAnon wiederum behauptet, es gebe unterirdische Lager, in denen Kindern die körpereigene Substanz Adrenochrom abgezapft würde, weil sich mit der das Altern aufhalten liesse.

Die Untertanen merken noch nicht einmal, dass sie Untertanen sind

Von wegen bedingungsloses Grundeinkommen: Andreas Eschbach überlegt sich, wie die Welt aussehen würde, wenn die Verschwörungstheoretiker recht behalten würden.

Das ist düster – und es ist ironisch, weil in einer solchen Welt niemand ernsthaft an Verschwörungstheorien glauben würde: Dank des Freiheitsgelds – das im orwellschen Sinn Unfreiheitsgeld heissen müsste, weil es als fortwährende Bestechung wirkt, um das Leben in Abhängigkeit auszuhalten – muss sich niemand benachteiligt fühlen: Manche sind zwar unzufrieden, doch objektiv betrachtet geht es allen gut.

Und sollte trotzdem einer aufmucken, dann ist das auch kein Problem. Ivana Quay und ihresgleichen kontrollieren das Internet. Aufklärerische Videos verschwinden augenblicklich von sämtlichen Plattformen – egal, ob sie bei Looki, BillionEyes, Zanga, WorldGlass oder Videoko hochgeladen wurden.

Wie lückenlos die Zensur funktioniert, findet Polizist Ahmad Müller auf die harte Tour heraus. Er will die Welt wissen lassen, was er herausgefunden hat. Denn er ist bei seinen Ermittlungen auf die Pläne von Alt-Bundeskanzler Robert Havelock und dem Journalist Günter Levent gestossen. Die wollten die Bevölkerung aufrütteln: Über die Jahre hat Havelock Zweifel entwickelt, ob das Freiheitsgeld seinen Zweck erfüllt, und darum hat er mit Levent einen grossen Artikel geplant. Doch bevor sie ihre Aktion starten können, kommen beide unter mysteriösen Umständen ums Leben. Aber Polizist Müller treibt während seinen Ermittlungen ein Video auf, das die Bedenken in die Öffentlichkeit tragen könnte – wenn es sich denn online stellen liesse.

Im letzten Kapitel entpuppt sich «Freiheitsgeld» nicht als angenehme Utopie darüber, wie wir in vierzig Jahren leben werden – sondern als desillusionierte Abrechnung mit der Gegenwart. Die Vernunft hat verloren und die Verschwörungstheoretiker wussten es schon immer besser.

Die Superreichen wissen, was gut für alle ist

Und irgendwie ist es gar nicht so schlimm, sich mit diesen Verhältnissen zu arrangieren. Denn im Kern hat Ivana Quay schliesslich recht. Es geht uns allen besser, wenn weniger Menschen auf der Erde leben:

«Sie kennen nicht alle Leute, die in Ihrer Strasse leben. Sie kennen nicht einmal alle Leute, die im selben Haus leben wie Sie! Würden über Nacht 99,9 Prozent aller Menschen verschwinden, Sie würden es nicht einmal bemerken, vorausgesetzt, es wären nur Leute, die Sie gar nicht kennen.»

Damit hatte sie womöglich sogar recht, und das ärgerte Ahmad umso mehr.

Eschbach zieht diese Einsicht gnadenlos durch: Es gibt kein Happy End. Der Polizist Ahmad Müller, der wild entschlossen war, die Leute aufzuklären, gibt auf. Er nimmt die Beförderung entgegen, ebenso die Möglichkeit, in ein riesiges Apartment in der Oase einzuziehen. Und er sieht ein, dass gegen diese Verschwörung kein Ankommen ist.

Also, eine grossangelegte Täuschung: Sowohl von den Geldeliten an der Bevölkerung, wie auch von Eschbach an uns Lesern. Was bleibt unterm Strich von diesem Buch?

Natürlich die Erkenntnis, dass sich niemand gern in die Irre führen lässt. Das gilt insbesondere für die Erwartungen, die man als Leser hat: «Freiheitsgeld» hat zwar mehrere Handlungsstränge, doch im Kern ist es ein Krimi: Ahmad Müller versucht, mehrere Verbrechen aufzuklären. Er tut das mit seinem Kollegen und zwischenzeitlichen Rivalen Ulf Pfenning, und am Ende klärt er den Fall auf.

Im Unterschied zu einem «normalen» Krimi kommen die Verbrecher davon. Und nicht nur das: Der Polizist kapituliert innerlich und ergibt sich der Korruption.

So desillusionierend wie die Wirklichkeit

Damit verstösst Eschbach gegen die eisernen Gesetze des Kriminalromans. Es mag angehen, dass ein Ermittler einen ertappten Verbrecher wegen übergeordneten Interessen laufen lässt. Dass ein Ermittler seine kriminalistische Integrität fahren lässt, ist jedoch ein dickes, fettes No-Go. Das läuft den Erwartungen der Leserinnen und Leser derart zuwider, dass viele das Buch enttäuscht und frustriert zur Seite gelegt haben dürften.

Mir ging es auch so. Ich wollte, dass in einem fulminantes Finale das Gute siegt. Mein Instinkt als enttäuschter Leser ist es, auf «Freiheitsgeld, Teil zwei» zu hoffen, in dem mir Gerechtigkeit widerfährt.

Aus Sicht des Buchkritikers ringt es mir Respekt ab, dass sich Eschbach getraut hat, uns Leser in voller Absicht um unser verdientes Happy End zu prellen. Er nimmt nicht nur unsere Enttäuschung in Kauf, sondern auch die schlechten Bewertungen. (Wobei es, soweit ich sehen kann, auf den einschlägigen Plattformen mehr Sternchen gibt, als ich erwartet hätte.)

Abschliessend bleibt eine Frage: Ist dieses schicksalsergebene Ende notwendig – oder hätte auch ein klassischer Krimi den Zweck erfüllt?

Ich neige zur zweiten Ansicht. Es ist zwar unbestritten, dass der Schock über die Verschwörung umso tiefer sitzt, wenn das glückliche Ende fehlt. Aber für meinen Geschmack gibt Eschbach den Verschwörungstheoretikern zu viel Legitimität, indem er ihnen kompromisslos deutlich zugesteht, dass sie recht haben. Klar, man kann sich auf den Standpunkt stellen, dass aufgeklärte Leserinnen seinen Trick durchschauen.

Eschbach bleibt eine Antwort schuldig

Trotzdem würde ich es vorziehen, wenn die Verschwörungstheoretiker nicht recht bekommen würden – und im Gegenteil in all ihrer Lächerlichkeit unserem Spott preisgegeben würden. Denn wir leben eben nicht mehr in einer Zeit, wo man QAnon und Konsorten als harmlose Spinner abtun konnten. Wir leben in einer Zeit, wo es die abgefahrenen Hirnfürze aus Telegram-Kanälen in die klassischen Medien schaffen und von Ex-Präsidenten weiterverbreitet werden.

Umgekehrt gibt Eschbach der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens zu wenig Legitimität, wenn er sie bloss im Rahmen einer Verschwörung diskutiert. Ich wäre an seiner ernsthaften Meinung interessiert: Hält er das Freiheitsgeld für machbar – und für eine gute Antwort auf Roboter und künstliche Intelligenz? Oder ist mein Eindruck korrekt, dass er nicht daran glaubt, dass die Gesellschaft funktionieren könnte?

Beitragsbild: Die Wahrheit ist irgendwo da hinten (Ulvi Safari, Unsplash-Lizenz).

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