Zwei literarische Wetterextreme

In zwei Thril­lern von Thilo Falk ist der Klima­wan­del der Böse­wicht. Taugt er dazu? Und will man an­ge­sichts realer Über­schwem­mungen «Dark Clouds» und «White Zero» über­haupt lesen?

Klimathriller sind ein Ding: «Der neunte Arm des Oktopus» von Milliardär Dirk Rossmann ist ein missratener Vertreter dieses Genres. «°C – Celsius» von Marc Elsberg erachte ich als sehr gelungen. Romanautor Frank Schätzing hat ebenfalls zum Thema geschrieben, sich bei «Was, wenn wir einfach die Welt retten?» aber für die Form des Sachbuchs entschieden.

Und jetzt Thilo Falk: Er hat die beiden Bücher Dark Clouds (2022) und White Zero (2023) veröffentlicht (Amazon Affiliate), die beide im Europa des beginnenden Klimawandels spielen – d.h. in der Gegenwart.

Starkregen in Buchform.

Das Klima ist jedoch nicht nur Kulisse, sondern auch Akteur. Im Buch von 2022 herrscht Dauerregen: Es schifft mit derartiger Ausdauer, dass die Auswirkungen – von denen wir in diesem Jahr auch einige zu sehen bekommen haben – nicht auf sich warten lassen: Es gibt Überschwemmungen, Erdrutsche, die Verkehrsverbindungen und die Energieversorgung sind in Gefahr und für viele Menschen ist die Situation existenzbedrohend¹.

Kälte statt Hitze

Das Buch von 2023 präsentiert und eine Welt der Wetterextreme unter umgekehrten Vorzeichen. Statt warm und feucht wird es kalt und eisig. Der Klimawandel schreitet in diesem Buch zwar ebenfalls voran, aber durch ein anderes Ereignis überlagert.

Statt heiss wird es plötzlich kalt.

Als kleiner Spoiler ⚠️ sei hier eingeflochten, dass die Schuld daran Min Zhu Huang trägt. Er ist ein chinesischer Unternehmer, der im Tschad nach seltenen Erden schürft. Bei einer illegalen Sprengung löst er solche Vibrationen in der Erdkruste aus, dass sich der Erdmantel unter Europa so verdickt, dass von unten weniger Wärme nach oben gelangt und in Europa die Eiszeit ausbricht.

Ist das realistisch? Ich habe den Experten für alles (ChatGPT) gefragt und folgende Antwort erhalten: «Eine unterirdische Sprengung könnte theoretisch lokale Veränderungen in der Erdkruste verursachen, aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass sie signifikante Veränderungen im Erdmantel auslöst.»

Eine erzählerische Kapriole

Entsprechend lässt sich dieser Handlungsstrang als reichlich bemüht betrachten: Der Autor wollte dem Thema eine neue Seite abgewinnen, was ich nachvollziehen kann. Allerdings kann man sich fragen, ob eine so waghalsige Theorie dem Werk nicht schadet, wo es doch sonst Wert auf wissenschaftliche Genauigkeit legt: Wir lernen interessante Fakten übers Wasser, z.B., dass heisses Wasser schneller gefriert als kaltes und es weit unter null Grad gekühlt werden kann. In diesem Zustand kann eine Erschütterung eine schlagartige Kristallisation auslösen – was auch für den Plot eine Rolle spielen sollte.

Muss uns das stören oder nicht? Mich stört es ein bisschen. Dieser exaltierte Plot – den es so ähnlich auch im ersten Buch gibt – nimmt dem Buch seine Brisanz und Relevanz: Schuld an der Misere ist nicht der Klimawandel, für den wir alle die Verantwortung tragen. Nein, schuld ist schliesslich doch ein einzelner Bösewicht, der, nachdem er zur Strecke gebracht wurde, dem Happy End nicht mehr im Weg steht.

Das wirkt halbgar: Die beiden Bücher zeigen zwar auf, wie empfindlich das moderne Leben auf Kapriolen des Klimas reagiert. Aber sie reiten nicht auf den immer grösser werdenden Problemen herum, die wir mit dem tatsächlich stattfindenden Klimawandel immer häufiger haben. Dabei lässt das Jahr 2024 mit seinen vielen Starkregen-Ereignissen, Überschwemmungen, Hangrutschen, weggespülten Häusern und Strassen kaum mehr Raum für aktive Verdrängung.

Doch sowohl «Dark Cloud» als auch «White Zero» erlauben uns eine komfortable Flucht aus dem Alltag. Die Bücher ersparen und eine unangenehme Konfrontation mit der beängstigenden Realität der Gegenwart.

Anton, Eric und ihre Tochter Lulu

Der Eskapismus klappt auch mit «White Zero» gut: Das Buch ist flott geschrieben. Es handelt, wie es sich für einen guten Thriller gehört, an diversen Schauplätze. Es gibt mit Frank Ticheloven eine schöne Parodie auf Richard David Precht.

Und das Werk ist ein bisschen woke, wenn ich so sagen darf: Die Haupt-Heldin ist Geophysikerin Dr. Jana Hollmer, die sich in der Bundeswehr behauptet. Anton und Eric sind ein schwules Ehepaar, die gemeinsam die Tochter Lulu grossziehen. Eric wiederum ist IT-Experte für Daytrading und Kryptowährungen, wodurch Min Zhu Huang in die Quere gerät und … aber damit soll es genug der Spoiler ⚠️ sein.

Fazit: Es gibt, wie es sich für Thriller gehört, in beiden Büchern mehrere verflochtene Handlungsstränge und Personen, die sich erst im Verlauf der Handlung über den Weg laufen. Was die Dringlichkeit des Hauptthemas angeht, muss Thilo Falk gegenüber Marc Elsberg zurückstecken. Bei ihm ist der Klimawandel nicht bloss ein Feigenblatt.

Es könnte noch immersiver sein

Kritik ist auch bei der Erzählweise angebracht. Ich habe mich bei «Dark Cloud» nie klamm und fröstelig gefühlt und bei «White Zero» keine kalten Füsse bekommen. Bei der Immersion muss Thilo Falk noch zulegen, denn Thriller leben von der Unmittelbarkeit der Ereignisse. Sie versetzen uns ins Katastrophengebiet. Sie zwingen uns, mit den Heldinnen und Helden mitzuleiden und uns ihre Gefühlswelt zu eigen zu machen.

Thilo Falk erspart uns das. Dabei ist der Autor durchaus in der Lage, Gefühle zu wecken. In «Dark Clouds» zeigt er beim Handlungsstrang von Jan und Mia Baumann. Vater und Tochter – er ist Witwer und alleinerziehend – werden durch die Ereignisse richtiggehend entwurzelt. Ihr Heim, das mit der verstorbenen Frau und Mutter aufgebaute Bed and Breakfast, ist nicht nur durch den Regen akut bedroht, sondern auch durch die ausbrechende Anarchie: Ein Nachbar schnappt Jan die letzten Sandsäcke und die Planen weg, die er noch vom Grosshandel bestellen konnte. Die Einsamkeit des Mannes, der weder seiner kleinen Tochter noch dem Schutz seiner eigenen Zukunft gerecht wird, ist berührend.

Am Ende bleiben zwei Fragen:

Warum haben beide Bücher englische Titel, wo sie doch in Deutschland verwurzelt sind? Das kann ich mir nur mit der Einfalt oder zumindest der Einfallslosigkeit in der Marketing-Abteilung des Verlags erklären.

Zweitens: Wer ist Thilo Falk? Der Name sei das «Pseudonym eines deutschen Journalisten und Bestsellerautors», lese ich bei DTV. Auf die Schnelle habe ich nicht herausgefunden, wer hinter dem Alias steckt und was der Grund fürs Versteckspiel sein könnte. Ein Anlass für eine kleine Recherche?

Fussnoten

1) Wir erfahren am Schluss – ⚠️ Spoiler! – dass der Dauerregen nicht allein dem Klimawandel zuzuschreiben ist. Die Fronte della Tempesta sind am Werk; Ökoterroristen unter der Führung des Amerikaners Timothy «Flack» Ruinam, die mittels Chemikalien und kleinen Flugzeugen die Wolken impfen und so die Nonstop-Niederschläge verursachen. Ein gewiefter Datenanalyst kommt ihnen auf die Schliche, weil die Muster der Niederschläge zu berechenbar sind, um natürlichen Ursprungs zu sein. Und klar: Der Klimawandel selbst gibt keinen guten Bösewicht ab.

Doch Ruinam und seine Gesellen sind Übeltäter von Bond’schem Zuschnitt. Sie planen, in einer nächsten Eskalationsstufe in der Eiffel einen Vulkan zum Ausbruch zu bringen. Der Einsatz für die Umwelt ist letztlich bei der angestrebten Ökodiktatur nur ein Vorwand.

Beitragsbild: Nein, die Bücher spielen nicht in Mexiko – auch wenn dort ein Wolkenbruch nicht alle vom Velofahren abhält (Genaro Servín, Pexels-Lizenz).

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